2014 – das 50. Jubiläumsjahr des Wagenbach-Verlags ist für Eva Roman zugleich ihr Debütjahr. Nach einigen Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien erschien im März nun ihr Roman „Siebenbrunn“. Dabei wagt sich die junge Autorin an Tiefgründiges, ja an schwere Kost, arbeitet sich an großen Emotionen ab. Und doch ist es ein leichtfüßiges Stück geworden.
Es regnet oft und stark in Siebenbrunn. Tatsächlich fallen im Nachhinein besonders die Tage ins Auge, an denen kurz die Sonne scheint. Es geht viel um’s Wetter in dem Debütroman. Jeanne wird pitschnass auf ihrem Fahrrad, ein Mädchen schläft in einem regennassen Schlafsack und Antonia flüchtet vor dem niederprasselnden Hagel. Es scheint, also würde irgendetwas da oben die Stimmungen der Protagonisten noch unterstreichen wollen. Denn auch die sind dunkel, wolkenverhangen, trüb und tränennass.
Wir sind in Siebenbrunn, einem kleinen Ortsteil, der früher einmal angegliedert war an die große Stadt. Nun aber ist er verlassen, „vom Wald verschlungen“ heißt es in der ersten Zeile des Romans. Nur noch wenige Häuser stehen hier. Die alte Schule, ein paar Wege und ein Gutshaus. Hier wohnt Jeanne. Um Jeanne dreht sich, so meint man anfangs, die Geschichte. Der wahre Protagonist ist aber vielmehr ein Toter. Ein Mann – Welf, von dem die LeserInnen nicht mehr wissen, als dass er schönes braunes Haar hatte, eine uneheliche Tochter – „Jugendsünde“ nennt es seine Mutter – und eine Freundin. Jeanne eben. Bald merkt man: Alles rankt sich um Welf, um seine Person, seinen Tod und um sein Schaffen.
Welfs Gegenspieler
Seine Tochter, Jeanne und Antonia – Eva Roman lässt uns durch das Augenpaar eines auktorialen Erzählers auf die Leben dieser drei Frauen blicken, deren Wege sich ohne es zu ahnen durch Welf kreuzen. Dabei haben sie eines gemeinsam: Sie befinden sich auf der Suche, wenn auch nach sehr unterschiedlichen Dingen. Antonia, die Künstlerin, nach Inspiration lechzend, interessiert sich sehr für die wissenschaftliche Arbeit des ehemaligen Architekten, welche ein geheimnisvolles Heilbad im Siebenbrunner Wald beschreibt. Welfs Tochter sucht verzweifelt nach einem Vaterbild, da sie ihren eigenen ja nicht kannte und Jeanne ist völlig aufgelöst durch den Verlust ihres Partners und versucht nur eines zu finden: einen Weg, ohne Welf weiterleben zu können. Der Roman gibt abwechselnd Einblicke in die Leben der drei Frauen bis sich ihre Wege schließlich kreuzen. Und schließlich? Happy End. Oder genauer gesagt offenes Happy End mit fadem Beigeschmack – denn so einfach ist es dann doch nicht.
Viele, riesengroße Themen auf wenigen Seiten
Man merkt kaum ein Gewicht, wenn man den Wagenbach-Roman in den Händen hält. Klein, fein, handlich eben. Doch im Inneren befindet sich alles andere als leichte Kost. Es sind große Fragen, mit denen sich Eva Roman in ihrem Debüt beschäftigt. Aber es sind keine neue Fragen. Die Suche nach dem nie gekannten Vater, die Trauer nach dem schwersten Verlust, eine Künstlerin ohne Idee (aber mit Muse – in Gestalt des blutjungen Praktikanten Josh mit perfekten Gesichtszügen) und eine Ehe, die an dem Verlust des Kindes scheitert. All das auf 124 Seiten. Wahrscheinlich ist es die Masse an Emotionen auf kleinem Raum, die den Leser und die Leserin manchmal überfordert. Auf der anderen Seite gibt es insgesamt eine starke Nähe zur Realität, die einen hineingleiten lässt in die Handlung und man neugierig weiterliest. Eva Roman hat einen Roman vorgelegt, in dem die Sätze nur so strömen und fließen: Die wörtliche Rede ist ohne Hindernisse wie Anführungszeichen in den Text eingebettet und Gedankenströme wurden heruntergeschrieben – alles geschieht einfach. Die Autorin lässt es laufen und es scheint fast, als wäre ihr der Stoff einfach so aus den Fingern geflossen. Ja, das ist gut, aber ebenfalls ja, es ist auch manchmal schwer, dem zu folgen. Längere Traumpassagen der Tochter lassen einen dann doch manchmal aussteigen, abdriften. Zu fließend ist es an manchen Stellen, es gibt nichts, woran man sich stößt, nichts was Geschwindigkeiten verändert. Das Buch treibt. Es wird nicht schneller und nicht langsamer. Alles scheint wie eine Ultranahaufnahme der Köpfe von Menschen, die man vorher nicht kannte. Ein Hineinzoomen in Gesichter – traurige, verzweifelte, ignorante, einfühlsame, egoistische Gesichter. Manchmal dreht man sich auch im Kreis, wenn es immer wieder um Jeannes Gefühle geht, die Unfähigkeit den Verlust zu verarbeiten.
Doch das ist der Ton des Buches. Die Charaktere hängen fest und das spiegelt sich in den Beschreibungen, die den Leser und die Leserin schließlich davon überzeugen, dass nur das Erreichen der einzelnen Ziele alles aufbrechen kann. Roman gelingt es, ein großes Tagebuch in dritter Person zu verfassen und sie zaubert mit ihren Ortsbeschreibungen einen mysteriösen Schleier rund um das abgelegene Siebenbrunn. Es liegt ein Zauber auf dem Ort und der erreicht die LeserInnen ohne Frage.
Ein Debüt mit magischem Schauplatz
„Siebenbrunn heißen folgende geographische Objekte: Ein Ortsteil der Gemeinde Markneukirchen, Vogtlandkreis, Sachsen; eine historische Gemarkung im Stadtbezirk Untergiesing-Harlaching von München, Bayern; Augsburg-Haunstetten-Siebenbrunn, Stadtteil von Augsburg, Bayern; etc.“, Wikipedia verrät, dass Eva Roman sie vielleicht sogar kennt, die Magie des Ortes, den sie als Schauplatz für ihren ersten Roman gewählt hat. Die 34 Jahre alte und in Augsburg aufgewachsene Autorin hat einen Roman verfasst, der uns von der zauberhaft schrecklichen Realität erzählt. Die Gestaltung des Covers impliziert zwar einen jugendlichen und frechen Inhalt, der kann jedoch ohne Frage vor allem für Leserinnen jenseits der Pubertät spannend sein. Es ist ein gesetzter Roman mit schweren Themen und es sind erwachsene Fragen, die sich die Protagonisten stellen.
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