Von „Another Country“ aus reisen wir gleich weiter in frankophone Gefilde und besuchen diesmal die Buchhandlung „Zadig“ in Berlin-Mitte. Zwischen Neuer Synagoge und Oranienburger Tor befindet sich seit nunmehr sieben Jahren einer der Berliner „hot spots“ französischer Kultur. Mit Litaffin sprach Patrick Suel, der Inhaber, über Voltaire, Houellebecq, die Konkurrenz und das Jahr 2011.
Litaffin: Patrick, welche Idee steckt hinter der Namenswahl? Warum der Bezug zu Voltaires Erzählung Zadig ou la destinée?
Suel: Zunächst einmal hat Voltaire als Franzose auch einen Bezug zu Berlin – er lebte und publizierte ja eine Weile am Hof von Friedrich II. Der Name Zadig ist mehrdeutig: im Arabischen steht er für Wahrheit, im Hebräischen für Gerechtigkeit, er verkörpert die Idee der Aufklärung. Weder Voltaire noch die Figur Zadig sind Vorbilder für mich, aber auf intellektueller Ebene sind sie interessante Charaktere. Manchmal frage ich mich auch, ob Zadig nicht eigentlich ein schrecklicher Name für eine Buchhandlung ist, denn die Figur in Voltaires Erzählung macht viel Furchtbares durch. Doch am Ende zählt, dass er sich diesen Dingen stellt (und als Sieger aus dem Kampf hervorgeht). Das ist doch eine gute Philosophie!
Litaffin: Welches Publikum kommt zu Zadig? Vor allem Franzosen oder doch mehr Deutsche?
Suel: Fifty-fifty, das Verhältnis ist sehr ausgeglichen. Die Franzosen, die zu uns kommen, sind entweder auf der Durchreise und suchen nach neuer Lektüre oder leben in Berlin. Für beide sind wir eine Art „hot spot“, gleichzeitig Treffpunkt und Informationsquelle. Ich glaube, wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort: die Franzosen haben uns als ernsthaftes Projekt akzeptiert, die Deutschen haben uns sowieso von Anfang an unterstützt. Das ist wichtig in einer Stadt wie Berlin, in der das wirtschaftliche Leben nicht das stabilste ist. „Arm aber sexy“ ist ein lustiger Slogan, hat aber für uns als kleine Buchhandlung auch etwas Demagogisches… (Anm. d. Red.: Er überlegt einen Moment, öffnet schließlich den Reißverschluss seiner Jacke und grinst – darunter trägt er ein knalloranges „Arm aber sexy“-Shirt)
Litaffin: Konntest du Unterschiede im Kaufverhalten feststellen?
Suel: Das ist schwierig, die Unterschiede verschwinden immer mehr. Grundsätzlich kann man jedoch schon sagen, dass die deutschen Kunden hauptsächlich aus intellektuellen Milieus kommen. Sehr oft kommen Eltern hierher, die möchten, dass ihre Kinder auf Französisch lesen. Früher wurde viel Sartre oder Romain Gary gekauft, aber auch Houellebecq läuft seit einer Weile (besonders jetzt, nachdem er den Prix Goncourt erhalten hat) sehr gut. Houellebecq trifft einen Ton, den die Deutschen mögen, dieses Ironische, Zynische… das kommt hier gut an! Man merkt jedenfalls, dass auch das Leseverhalten immer mehr in Bewegung gerät. Bei den Franzosen war die Kundschaft von Anfang an deutlich gemischter.
Litaffin: Eine französische Buchhandlung in Deutschland – eigentlich ein spezielles Konzept. Aber die frankophone Gemeinschaft in Berlin ist groß, dementsprechend gibt es auch Konkurrenz. Fühlst du dich von größeren Ketten wie den Galeries Lafayette mit ihrer Buchhandlung oder Buchhandlungen mit großen fremdsprachigen Abteilungen (z.B. Dussmann) bedroht?
Suel: Ja, schon. Durch die und auch durch das Internet.
Die französische Abteilung im Lafayette wächst, ich glaube aber, dass wir immer noch das bessere Bild abgeben. Oft gehen die Leute zu größeren Anbietern, weil sie glauben, bei uns sei das Angebot kleiner und die Preise höher. Weder das eine, noch das andere stimmt. Unser Angebot ist anders, würde ich sagen, vielleicht haben wir von den Mainstreambüchern nicht alle und nicht alle mehrfach im Laden, dafür bekommt man bei uns Bücher von kleinen, feinen Verlagen, die man teilweise selbst in Frankreich nicht unbedingt in einer Buchhandlung findet. Darüber hinaus bekommen die Leute eine angenehme Atmosphäre, Zeit und eine gute Beratung. Und wir können jedes lieferbare Buch bestellen, wenn auch das Großhändlersystem in Frankreich nicht so wunderbar funktioniert wie in Deutschland, wo man ja die meisten Bücher innerhalb von 24 Stunden bekommt. Unsere Stärke liegt in der Qualität und Vielfalt der Bücher, die man hier findet, das wissen die Kunden zu schätzen. Dennoch: Einfach ist es nicht. Wenn ich an 2011 denke, werde ich schon etwas unruhig.
Suel: 2011 wird ein schwieriges Jahr, befürchte ich. Wie gesagt, die Wirtschaft steht auf wackeligen Beinen. Man darf uns nicht vergessen, der kleine Einzelhandel muss weiterhin unterstützt werden, sonst sehe ich schwarz. Wenn alle Stricke reißen, verkaufen wir vielleicht auch bald DVDs – das ist riskant, da oft an harte Verträge mit dem Vertrieb gebunden, aber auch eine Chance.
Litaffin: Ihr veranstaltet bei Zadig auch Lesungen. Letzte Woche erst gab es eine lecture-performance, eine Lesung mit DJ. Auf was darf man sich als nächstes freuen?
Suel: Etwas ganz Spannendes! Am 29. Januar um 18 Uhr wird der schweizerische Autor Arno Camenisch bei uns aus seinem Buch Sez Ner lesen. Die Lesung ist auch deshalb so besonders, weil sie auf drei Sprachen stattfinden wird: auf Deutsch, Französisch und Rätoromanisch.
Litaffin: Zum Schluss vielleicht noch eine Empfehlung? Was sollte man 2010 gelesen haben? Oder vielleicht eine Geschenkidee?
Suel: Gelesen haben sollte man CosmoZ (in Anlehnung an den Zauberer von Oz) von Christophe Claro – ein tolles Buch!
Ein schönes Geschenk wäre Marthe et Mathilde von Pascale Hugues, die das Leben ihrer Großmütter im Elsass beschreibt – auf Deutsch wie auf Französisch sehr gut!
Und Comics sind natürlich auch immer toll, z.B. die von Joann Sfar, Chagall en Russie oder Gainsbourg (passend zum Film).
Librairie Zadig
Linienstraße 141
10115 Berlin
Das Interview führte und übersetzte Sarah Ehrhardt.
Fotos © Sarah Ehrhardt
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Ein Grund mehr, mein verstaubtes Schulfranzösisch zu reaktivieren.
Ich würde mich freuen, über Buchvorstellungen und Autorenlesungen in franz. Sprache in Ihrer Buchhandlung informiert zu werden.