Mit Das Licht ist hier viel heller ist Mareike Fallwickl nicht nur ein feministischer und aufwühlender Roman gelungen, zudem skizziert sie auch ein gestochen scharfes Bild unserer Gesellschaft zwischen Schönheitswahn, Social-Media-Lifestyle und Alltagssexismus.
Fallwickl beschreibt einen Stereotyp Mann, der für eine gesamte Generation steht.
„Es ist 11.23 Uhr, und Wenger versucht, sich zu ´Sturm der Liebe´ einen runterzuholen. Er schaut zu der blonden Schauspielerin, sein Schwanz rührt sich nicht.“
Das Licht ist hier viel heller – Mareike Fallwickl
So beginnt Fallwickls Roman und beschreibt Maximilian Wenger sehr treffend – gescheiterter Bestsellerautor, ohne neue Schreibidee, heute höchstens noch selbsternannter Lebemann. Ein Antiheld, der im großen Stil scheitert. Wenger wirkt schon auf den ersten Blick (und auch auf den zweiten) unsympathisch, ist selbstverliebt, frauenfeindlich, arrogant und narzisstisch – ein Arschloch eben.
Und doch kann man ihn nicht nicht mögen. Die Autorin schafft es, dass man in einigen Momenten sogar mit oder vor allem über ihn lacht und fast (ich wiederhole, nur fast!) Mitleid mit ihm bekommt. Denn da liegt er nun – der weiße, toxische Mann, ehemaliger Bestsellerautor, verlassen von seiner Frau für einen Jüngeren, ohne Beziehung zu seinen Kindern, einsam und bemuttert von seiner Schwester – im Selbstmitleid. Aber es gibt auch Momente, in denen er reflektiert.
In kurzweiligen Situationen, wenn ihm der Spiegel vorgehalten wird und er nicht anders kann, als hineinzusehen. Dann flammt Hoffnung auf, die sich jedoch jäh zerschlägt, sobald Wenger wieder in seine alten Denk- und Verhaltensweisen zurückfällt. Das Erschreckende dabei ist: Jeder kennt wohl mindestens einen „Wenger“. Oder nicht?
Von kurzen Blicken und unscheinbaren Gesten, die zuletzt in mutwilligen Taten enden.
Die junge Österreicherin veröffentlichte mit Das Licht ist hier viel heller ihren zweiten Roman und sie ist scharfzüngiger, direkter, aber auch einfühlsamer, als je zuvor. In diesem beschäftigt sich die Autorin, die sonst unter dem Kolumnennamen Zuckergoscherl schreibt, mit Tabubrüchen, dem Literaturbetrieb, (männlicher) Macht und sexualisierter Gewalt, mit einer Intensivität, die uns wanken lässt.
Was ist (männliche) Macht und wie äußert sie sich? Wo fängt Missbrauch an? Wann ist die Grenze überschritten? Diese Fragen beantwortet die Autorin in ihrem Buch. Jedoch nicht durch das Klischee: alter, weißer Mann gegen junge, starke Frau – das wäre zu simpel. Fallwickl zeigt uns kritisch und mehrschichtig, aber ohne erhobenen Zeigefinger, wie sich privilegierte Verhaltensweisen und bewusster Machtmissbrauch in unserer Gesellschaft widerspiegeln.
Durch einen Zufall erhält Maximilian Wenger namenlose Briefe einer Frau an seinen Vormieter adressiert, und wie zu erwarten, ist er zu neugierig, um sie nicht zu öffnen. Was ihn dabei erwartet, hatte er nicht kommen sehen. Diese messerscharf formulierten Briefe erzählen Stück für Stück eine Geschichte voller Tragik, Wut und sexualisierter Gewalt, so scharf, dass sie einem unter die Haut gehen, sie buchstäblich aufschneiden. Diese Briefe tun weh. Fallwickl ist in ihrer Wortwahl schonungslos, rau und quälend direkt, zugleich aber auch feinfühlig und literarisch. Sie bringen einen Stein von Ereignissen ins Rollen, die Wengers weiteres Leben bestimmen sollen.
„Ich schreibe es weg von mir, raus aus mir, runter von mir. Vielleicht fühle ich mich dann endlich wieder sauber. Vielleicht fühle ich mich dann endlich wieder.“
Das Licht ist hier viel heller – Mareike Fallwickl
Die Autorin beschreibt in einem Interview von 2019 selbst, wie sie 2017 angefangen hat, ihr Buch zu schreiben, zu diesem Zeitpunkt noch mit einer ganz anderen Idee im Kopf. Doch die Geschehnisse des Jahres (das Jahr der #Metoo-Bewegung) schlichen sich langsam in ihren Kopf und Roman hinein. Sie haderte lange mit sich, ob sie ein Buch über sexualisierte Macht schreiben könnte und sah es zuletzt sogar als ein MUSS an, an diesem Punkt nicht zu verstummen, sondern weiterzuschreiben.
„Ich möchte mir die Zunge abschneiden und sie ausdrücken über dir, damit alles auf dich tropft, was ich nicht sagen kann.“
Das Licht ist hier viel heller – Mareike Fallwickl
Und dann ist da noch Zoey, Wengers 18-jährige Tochter. Sie bildet die dritte Perspektive des Romans, formuliert in poetischen Monologen mit literarischen Metaphern und ironischem Unterton. Zoey ist ein introvertiertes Mädchen, das sich zwischen dem Erwartungsdruck ihrer Eltern, Schönheitsidealen und dem gefaketen Social-Media-Lifestyle ihrer Generation bewegt. Die Beziehung von Wenger und Zoey ist von einer ungesunden Nicht-Kommunikation geprägt. Auch sie liest die Briefe der Unbekannten. Das verbindet Vater und Tochter auf eine gewisse Weise, doch es führt die beiden nicht zusammen, da sie diese auf unterschiedliche Weise interpretieren. In Zoey lösen die Briefe ein ganz anderes Gefühl aus, nachdem sie selbst mit sexualisierter Gewalt konfrontiert wird. Mareike Fallwickl versteht es hierbei sehr behutsam, Wort für Wort, zu formulieren und Zoey ihre eigene innere Stärke finden zu lassen.
Wenger kämpft mit dem Scheitern, Zoey mit dem Erwachsenwerden.
Mareike Fallwickl schreibt sarkastisch, voller Ironie und ist trotzdem jederzeit authentisch und empathisch mit ihren Figuren und deren Stärken und Schwächen. Die Buchseiten teilen sich zwei Frauen und Wengers Ego, das manchmal kaum Platz zu machen scheint. Sie alle befinden sich in ganz unterschiedlichen Lebensräumen und doch werden diese durch dieselben Ereignisse miteinander verwoben.
Doch der Roman ist nicht nur sprachlich ausgezeichnet, sondern besticht auch durch stilistische und inhaltliche Brillanz. Die Kapitelüberschriften aus Wengers Perspektive verlaufen beispielsweise rückwärts, wie ein Countdown, der unerlässlich abläuft. Im Zusammenspiel mit den Briefkapiteln wird dieser immer lauter und schneller, bis er nicht mehr aufzuhalten zu sein scheint.
Ein Roman über Grenzen, die ständig neu gezogen oder überschritten werden.
Es ist nicht nur mutig gewesen, sich an dieses sensible Thema zu wagen, sondern auch beeindruckend wie originell, ehrlich und authentisch Mareike Fallwickl drei so unterschiedliche Töne in einem Buch zu vereinen weiß. Jede der Figuren hat ihre einzigartige Stimme erhalten, vereint durch die pointierte Zunge der Autorin. Das hebt den Roman von vielen anderen feministischen Literaturen der letzten Jahre ab und genau deswegen sollten Sie dieses Buch auch unbedingt lesen!
Auch zwei Jahre nach #Metoo verliert Das Licht ist hier viel heller nicht an Aktualität. Es zeigt vielmehr, wie wenig sich in diesen vierundzwanzig Monaten getan hat. Eine Ermächtigung, dass sich Frau und Mann näherkommen, eine Lösung oder gar Hoffnung gibt es am Ende des Romans nicht. Vielmehr eine indirekte Aufforderung mit dieser inneren Sprachlosigkeit, Unruhe und Wut, mit welcher der Roman uns zurücklässt, selbst aktiv zu werden und die Welt ein wenig heller zu machen.
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