Viermal Sommer

Für alle, die den Sommer auch nicht mehr erwarten können, geben wir vier Buchempfehlungen, die diese Jahreszeit im Titel tragen und sie auf verschiedene Weisen literarisch verarbeiten. 

© Nils Berkey

Langsam wird es wieder heller und wärmer und man erinnert sich, wie es sich anfühlt, wenn Sonnenstrahlen das Gesicht berühren. Die ersten Blumen bringen Farbe an die grauen Straßenränder und die Winterjacke wird langsam gegen die Übergangsjacke ausgetauscht. Der Winter ist zum Glück vorbei, der Frühling kommt und dann ist es bis zum Sommer auch nicht mehr weit. Für alle, die wie ich die beste aller Jahreszeiten auch nicht mehr erwarten können und jetzt doch nochmal zwei Fleecejacken unterziehen, weil das mit der Übergangsjacke etwas waghalsig war, kommen hier vier Buchempfehlungen, die den Sommer trotz der kalten Temperaturen schonmal etwas näher bringen. Die vier Texte stellen Sommer auf verschiedene Weisen dar und dabei ist die Jahreszeit nicht nur Kulisse für Eisschlecken und Freibadbesuche. Denn in Zeiten der Klimakrise können Hitze und Trockenheit, die die heißen Monate mit sich bringen, zur echten Bedrohung werden, wie der erste Roman direkt sehr eindrücklich zeigt.

© Nils Berkey

Franziska Gänsler – Ewig Sommer

Obwohl ich über das kalte Winterwetter jammere und mich in den Sommer sehne, befinden wir uns in einer Zeit, in der jedes Jahr neue Hitzerekorde aufgestellt werden. Die milden Temperaturen, die wir in dieser Jahreszeit erleben, sind zwar angenehm, gleichzeitig sind sie aber auch und vor allem ein Zeichen für den schnell voranschreitenden Klimawandel und ziemlich beängstigend. Nachdem die Temperaturen im vergangenen Jahr mehr als 1,5 Grad höher als in vorindustriellen Zeiten lagen, waren dieser Januar und Februar die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Auch die Literatur kann davor nicht mehr die Augen verschließen: Immer mehr literarische Texte nehmen dieses Thema auf und verarbeiten es auf verschiedene Weise. Ein Beispiel für einen solchen Text ist Franziska Gänslers Debütroman Ewig Sommer, der im vergangenen Jahr bei Kein und Aber erschienen ist.

Iris lebt in einem ehemaligen Kurort und betreibt dort ein Hotel am Rande des Waldes. Was nach einer Idylle klingt, ist schon lange keine mehr. Seit Jahren gibt es immer länger andauernde Waldbrände und ein Großteil des Ortes, der einmal für seine gute Luftqualität bekannt war, ist mittlerweile fast menschenleer. Die Protagonistin Iris verschließt ihr Augen vor der immer näher rückenden Bedrohung und den Vorhersagen der Wissenschaftler*innen:

„Meine eigene Auseinandersetzung mit dem Brand erschöpfte sich im Beseitigen der Flugasche, im Instandhalten meiner kleinen Welt.“

Durch dieses scheinbar irrationale und aus unserer Perspektive nicht nachvollziehbare Verhalten bleibt die Ich-Erzählerin den Lesenden lange fremd.

Doch auf einmal stehen eine Frau und ihr Kind, Dori und Ilya, vor der Tür des Hotels und suchen Unterschlupf. Mit der Zeit kommen sich die beiden Frauen näher und auch als Leser*in nähert man sich Iris immer mehr. Die kurzen, aber klaren Sätze, mit denen Gänsler ihre Figuren und deren Handlungen beschreibt, tragen dazu bei:

„Sie legte die Arme um mich, erst, als müsste sie einfach Halt finden. Dann war es wirklich ich, mein Körper, den sie festhielt. Näher. Ihre Wange an meinem Hals. Ich drehte meinen Kopf, meine Lippen an ihrem Haar, an ihrer Stirn.“

Mit Dori kommt neben der Bedrohung durch die Feuer auch eine Bedrohung durch einen Menschen ins Haus, denn Dori flieht vor ihrem Mann, der sie überall sucht. Damit erzeugt der Roman von Beginn an ein Unbehagen beim Lesen, aus verschiedenen Richtungen droht permanent Gefahr. Und obwohl die Geschichte unaufgeregt erzählt wird, bleibt sie dadurch über ihre 200 Seiten hinweg durchgehend spannend und man möchte das Buch bis zu seinem Ende nicht mehr aus der Hand legen.

Bald wird die kleine Gruppe durch eine Nachbarin und Klimaaktivistinnen ergänzt, die ihr Protestcamp im nahen Wald aufgrund der Waldbrände verlassen mussten. Während draußen das Inferno wütet, findet sich in Iris verlassenem Hotel eine Schicksalsgemeinschaft verschiedener Frauen zusammen. Und durch sie entstehen Momente, in denen die permanente Anspannung aufgebrochen wird und ein anderes Gefühl Einzug erhält. Denn die unterschiedlichen Frauen bringen Hoffnung mit. Hoffnung für Iris, die so in der Vergangenheit und der Gegenwart lebt, dass sie schon lange nicht mehr an eine positive Zukunft glaubt.

„Je länger ich den beiden zuhörte, sie meine Fragen beantworteten, desto deutlicher wurde neben meiner Scham die Vorstellung, dass nichts entschieden war.“

Diese Vorstellung und Hoffnung, dass noch nichts entschieden ist, wenn wir nicht passiv bleiben, gibt Gänsler auch an die Leser*innen weiter. Grade im Kontext der Klimakrise kann Literatur, im Gegensatz zu abstrakten Zahlen, seine Leser*innen emotional erreichen – das wird erneut durch Franziska Gänslers Roman „Ewig Sommer“ bewiesen.

Sommergefühl: „Draußen stieg die Hitze sofort durch den Körper in den Kopf, dröhnte in den Ohren, brannte in der Luft.“

Franziska Gänsler: Ewig Sommer. Erschienen 2023 bei Kein & Aber, 205 Seiten.


© Nils Berkey

Ariane Pinel – Sommer auf der Fahrradinsel

Auch das Bilderbuch Sommer auf der Fahrradinsel von Ariane Pinel setzt sich mit dem Einfluss von Menschen auf unsere Umwelt auseinander – und doch nähert sie sich diesem Thema ganz anders an als Franziska Gänsler. Das Buch handelt von Zoé, die in den Sommerferien ihre Cousine Louise auf einer Insel besucht, auf der es keine Autos gibt. Die beiden Mädchen erleben auf der Insel eine unglaubliche Freiheit, die Zoé vom Festland nicht kennt, weil es dort durch den Autoverkehr viel zu gefährlich ist. Bei ihrer Rückkehr zurück nach Hause möchte Zoé sich nicht vom Fahrradfahren abhalten lassen und macht sich allein auf den Weg zurück zur Insel. Dabei stellt sich die Frage: Wie könnte eine Welt aussehen, in der es keine Autos mehr gibt und alle sich nur noch auf Fahrrädern fortbewegen?

Warmherzig zeigt Ariane Pinel den kindlichen Wunsch dieser Welt, in der es keine Autos mehr gibt, „Lastwagen [..] zu Konzertbühnen oder Eisdielen“ werden und „Autobahnen […] zu gigantischen Radwegen“. Ihre Zeichnungen zaubern einem ein Lächeln auf die Lippen und ein paar Sonnenstrahlen ins Herz. Die Farben der Bilder sind in Gelb, Rot und Petrol gehalten, wobei Rot und Gelb dominieren.  Beim Anschauen der Bilder bekommt man das Gefühl, man schaue mit geschlossenen Augen in die Sonne. Das Gefühl von Freiheit und Freude über den Sommer schwappen durch die Bilder auf die Leser*innen über. Am liebsten möchte man sich sofort auch auf sein Fahrrad schwingen und hinter Zoé und Louise her radeln. Wenn man gerade kein Fahrrad und keinen Sonnenuntergang zur Hand hat, kann man das Bilderbuch einfach nochmal von vorne lesen und sich vorstellen, man täte es. Ariane Pinels Bilderbuch ist eine Geschichte und über den Mut eines kleinen Mädchens und über eine Freiheit, die man nur im Sommer spürt, perfekt geeignet, um sich den Sommer herbei zu träumen.  

Sommergefühl: „Sie schwingt sich auf ihr Rad und fährt in Richtung Meer.“

Ariane Pinel: Sommer auf der Fahrradinsel. Erschienen 2024 bei mairisch, 40 Seiten.


© Nils Berkey

Irina Kilimnik – Sommer in Odessa

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 sind uns viele ukrainische Städtenamen traurigerweise bekannt. Auch Odessa ist einer diese Städte, die plötzlich zum Kriegsschauplatz wurden. In Irina Kilimniks Roman Sommer in Odessa wissen die Protagonist*innen noch nichts von den schrecklichen Ereignissen die ihre Heimat zukünftig ereilen werden. Denn die Geschichte spielt im Jahr 2014. In einem Interview mit dem Kulturmagazin intellectures betont die Autorin, dass der Roman explizit nicht in der Gegenwart spielt und kein Kriegsroman sein soll. Ein Großteil des Romans war vor dem Februar 2022 fertig und Kilimnik wollte ihr Schreiben nicht zu sehr von dem Angriff Russlands auf die Ukraine beeinflussen lassen. Trotzdem kann man beim Lesen die aktuelle Lage in der Ukraine nicht verdrängen. Gerade mit dem Wissen um den Krieg, der in der Ukraine tobt, erscheint das Sommerglück von dem Kliminik erzählt, besonders fragil.

In Sommer in Odessa geht es um Olga und einen Sommer, der einen wichtigen Schritt in ihr Leben als Erwachsene bedeutet. Olga befindet sich in ihrem Medizinstudium – glücklich ich sie damit aber nicht:

„Dass ich Ärztin werden soll, hat meine Verwandtschaft beschlossen, als ich sieben Jahre alt war. Im Nachhinein wurde zwar behauptet, es sei mein eigener Wunsch gewesen, aber das ist gelogen.“

Der Einfluss dieser Verwandtschaft bestimmt den Roman maßgeblich mit. In der Familie dreht sich alles um den Opa, den Familienpatriarchen, der der einzige Mann im Haushalt ist. Obwohl die Frauen in der Familie eindeutig in der Überzahl sind, steht der Opa im Mittelpunkt und alle tanzen nach seiner Pfeife, während er die anderen schikaniert. Doch während des Sommers kommen mit dem Auftauchen eines alten Freunds des Großvaters Geheimnisse ans Licht, die diese scheinbar unverrückbare Familienkonstellation in sich zusammenfallen lassen.

Doch auch außerhalb ihrer Familie sind Olgas Beziehungen verworren: Ihr bester Freund ist unerwidert in sie verliebt, ihre beste Freundin möchte in den Westen und von ihrem Kinderheitsfreund möchte Olga mehr als nur Freundschaft. Diese Beziehungen und die Zweifel, die Olga zu jedem ihrer Lebensbereiche hat, prägen ihren Sommer. Und dann ist da noch ihre Heimatsstadt Odessa:

„Die Menschen zieht es zum Meer, an die Stadtstrände oder weiter raus, um den Touristen zu entfliehen. Und während die Wellen an den Felsen in kleine Wasserperlen zerbrechen, ahnt man leise, was Glückseligkeit bedeutet. Meistens bleiben die Odessiter ihrer Stadt lebenslang treu. Manchmal müssen sie aber woanders hinziehen, und es bricht ihnen das Herz.“

Die Stadt in der Olga aufgewachsen ist, pulsiert um sie herum und ist beinahe eine eigene Protagonistin.

Mit ihrer einfachen, aber humorvollen Sprache lässt Kilimnik einen eintauchen in diesen Sommer 2014 in der Hafenstadt Odessa. Kilimnik wurde 1978 selbst dort geboren und kam mit 15 Jahren nach Deutschland, wo sie Humanmedizin und Mediapublishing studierte. Doch auch wenn der Sommer in der Stadt im Mittelpunkt steht, kommt auch die die politische Situation, in der sich die Ukraine im Jahr 2014, dem Jahr der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland, befindet immer wieder zur Sprache. Überall sind die Spannungen zwischen Russland und dem Westen zu spüren, zwischen denen sich die Figuren befinden.

„Ich schweige und denke an Maschas Eltern, an all die Familien, durch die plötzlich ein Riss geht.“

Auch die Zukunft, die der Ukraine zu der Zeit noch bevorstand, wird immer wieder angedeutet. Olgas Freund Rajd warnt:

„Ihr werdet noch bittere Tränen vergießen, wenn eure schöne Welt endgültig zugrunde geht. Schau, was gerade mit der Krim passiert.“

Der Roman versucht, die „schöne Welt“, die Rajd hier beschreibt durch einen halbwegs unbekümmerten Sommer noch einmal aufleben zu lassen. Gerade durch das Miterleben dieses Sommers wird der Verlust dieser Welt umso tragischer. Sommer in Odessa ist ein schöner Roman über Familiengeheimnisse, Freundschaft, unglückliche Liebe und über das Erwachsenwerden in einer Stadt, die für den Sommer lebt.

Sommergefühl: „Eines Abends, es war noch hell, aber die überladene Beleuchtung verwandelte bereits die Promenade in einen Jahrmarkt, saßen wir in einer Strandbar, tranken süßes, klebriges Zeug und versuchten, die Mückensticke zu ignorieren.“

Irina Kilimnik: Sommer in Odessa. Erschienen 2023 bei Kein & Aber, 287 Seiten.


© Nils Berkey

Mareike Krügel – Almuth und der Hühnersommer

Und ein letzter Tipp für Sommersehnsucht: Lest mehr Kinderbücher! Denn was ist schöner als die Erinnerung, an die unendlich lang scheinenden Sommerferien, die man als Kind hatte? Ein Buch, das dieses Feriengefühl zurückbringt, ist Almuth und der Hühnersommer von Mareike Krügel.

Almuth, eigentlich ein Berliner Großstadtkind, zieht mit ihrer Familie in ein Dorf, weil ihr kleiner Bruder Jonathan eine Krankheit hat, für die er die gute Landluft braucht. Ihre Mutter arbeitet fast immer, der Vater ist mit ihrem Bruder in weit entfernte Therapiezentren unterwegs und kommuniziert mit Almuth meist über Zettel auf dem Küchentisch. Almuth muss allein klarkommen, aber da sie eine furchtlose Retterin werden möchte nutzt sie diese Freiheit gekonnt als Übung. Dabei lernt sie ihren alten Nachbarn, den Öhi, und seine zehn Hühner kennen. Und gemeinsam mit zwei weiteren Kindern, die bald zu Freund*innen werden, lebt sie das Leben so doll es geht.  

Aufmerksam wurde ich auf das Buch durch die Illustratorin Melanie Garanin, deren Arbeiten ich sehr mag. Ihre liebevolle Zeichnungen runden die Geschichte ab und bringen einen Witz ins Leseerlebnis. So zum Beispiel, wenn der Öhi sagt, dass ihn „keine zehn Pferde […] in ein Krankenhaus“ kriegen und einen genau diese zehn Tiere ein paar Seiten später unschuldig vom Seitenanfang anschauen, als der alte Nachbar tatsächlich ins Krankenhaus muss.

Auf eine leichte Weise behandelt Krügel in diesem Kinderbuch auch schwerere Themen. Wenn zu Hause von der Krankheit ihres Bruders gesprochen wird, der Öhi vom Tod seiner Frau erzählt oder ein Huhn vom Habicht getötet wird, singt Almuth im Kopf das Lied von Hänsel und Gretel, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen. Doch ihre neuen Freund*innen und die Erlebnisse des Sommers lassen sie auch mit diesen schweren Seiten einen Umgang finden. Am Ende des Sommers denkt Almuth:

„Der Tod und ich, wir konnten uns immer noch nicht leiden. […] Eigentlich war ich genau die gleiche Person, die ich vor ein paar Wochen gewesen war, als ein Huhn unter mir durchraste. Ich war noch immer Almuth, Retterin der Hummeln und Geschichtensammlerin für Jonathan. Aber ich fühlte mich ganz anders.“

Sommergefühl: „Die ganze Welt stand kopf. Das lag daran, dass ich in unserem Garten verkehrt herum an der Reckstange hing. Mein Gehirn wurde ganz warm, und die Sonne schien mir auf die Beine. Ob ich es schaffte, einen Sonnenbrand auf den Knien zu bekommen, wenn ich es hier lange genug aushielt?“

Mareike Krügel: Almuth und der Hühnersommer. Erschienen 2023 bei BELTZ, 192 Seiten.

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