Anm. d. Red. [06.03.2018]: Der Autor des folgenden Beitrags, Johannes Schüller, schrieb in den Jahren 2010 und 2011 für Litaffin. Mittlerweile bewegt er sich in rechtspopulistischen Kreisen und gilt als Mitbegründer der Identitären Bewegung in Deutschland. Wir, die Litaffin-Redaktion, wollen uns hiermit ausdrücklich von Johannes Schüller und jeglichem rechten Gedankengut distanzieren.
Preisverleihungen sind eigentlich nicht so mein Ding. In feierlichem Rahmen werden zumeist steife Reden gehalten, die entweder für die Institution des Laudatoren oder aber für den Bepriesenen selbst Eindruck schindensollen. Selbst eine Wasserglaslesung kann da spannender sein. Dass das durchaus auch anders geht, bewies vergangenen Dienstag Laudator Michael Krüger, seines Zeichens Geschäftsführer des Carl Hanser Verlags bei der Verleihung des Prix de l’Académie de Berlin an die Kleinverlage Matthes & Seitz sowie L’Arche Éditeur. Letzterer trieb u.a. die Verbreitung deutscher Dramatiker in Frankreich voran.
Die Académie de Berlin wurde 2006 gegründet und will den kulturellen Austausch und Dialog zwischen Deutschland und Frankreich fördern. Finanziellen Rückhalt erhält sie vor allem von der Robert-Bosch-Stiftung. Ehrenpräsident der Académie de Berlin ist Richard von Weizsäcker, zu den Mitgliedern zählen Prominente wie Wim Wenders, Karl Kardinal Lehmann, Peter Scholl-Latour und Patrick Süskind. Wer es noch rechtzeitig in den Festsaal schaffte, konnte also das ein oder andere Autogramm ergattern oder Moderator Ulrich Wickert die Hand schütteln.
Krüger ritt einen Großangriff gegen die drei Riesen des Konzernbuchhandels in Deutschland. „Es geht nicht mehr um die literarische Deutungshoheit, sondern um die Macht am Markt“, kritisierte er in der Berliner Akademie der Künste. Soweit, so gut. Das ist freilich ein Allgemeinplatz geworden, kein Lyrikautor würde Gegenteiliges behaupten. Deutlicher legte Krüger den Finger in die Wunde, als er auf die Qualität der Bestseller zu sprechen kam. „Nur Kitsch“ sei dabei und insgeheim dachten wohl die meisten vor allem an Vampirromane. Lediglich die Kleinverlage würden noch intellektuelle Qualität absichern. Er verstieg sich sogar zu der These, dass es ohne Verleger wie Peter Suhrkamp keine nennenswerten deutschen Interpretationen der französischen Strukturalisten gegeben hätte.
Das ist aber zu bezweifeln angesichts der zahlreichen Soziologie-, Philosophie- und Linguistiklehrstühle in Deutschland. Weit wahrscheinlicher wäre es gewesen, dass die meisten Bücher von Roland Barthes und Michel Foucault die Unibibliothek kaum verlassen hätten. Inzwischen gehören sie aber zum geisteswissenschaftlichen Allgemeingut. Auch die Verbreitung von Friedrich Nietzsches „Dynamit“ wäre ohne nicht vollkommen durchökonomisierte Verlage undenkbar gewesen. Auch wenn Nietzsche bereits um 1900 langsam in den bildungsbürgerlichen Kanon einfloss, hätte seine bis zur Verzweiflung narzisstische Autobiografie Ecce Homo oder auch Jenseits von Gut und Böse ohne einen finanziell mutigen Verleger nicht den großbürgerlich-akademischen Tellerrand verlassen. So aber wurde Nietzsche zum Ideengeber im Negativen wie im Positiven.
Leider spielt neben ökonomischen Kriterien und dem breiten Publikumsgeschmack auch das sensationssüchtige Feuilleton eine gewichtige Rolle. So hat es der kleine Verlag Edition Nautilus mit der Verlegung der radikalen französischen Flugschrift Der kommende Aufstand u.a. in die FAZ, ins Deutschlandradio Kultur und die Süddeutsche Zeitung geschafft. Auch Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab griff die Medienlandschaft dankbar auf, konnte man doch mit brisanten Themen zahlreiche Leser binden.
Insofern ist es Andreas Rötzer, Geschäftsführer von Matthes & Seitz hoch anzurechnen, dass er eben nicht auf die Ware Aufmerksamkeit setzt. Denn obwohl die Schriften aus der hauseigenen, von Nietzsche inspirierten Reihe Fröhliche Wissenschaft alles andere als zahme, intellektuelle Langweiler sind, haben sie es bisher kaum ins deutsche Feuilleton geschafft. Das dürfte zum einen daran liegen, dass es sich bei Autoren wie Eric Voegelin, Jean Baudrillard und Arthur Rimbaud um zeitlose, aber vergessene Klassiker handelt. Zum anderen dürfte es auch in der Themenwahl selbst begründet sein.
Die 72 Seiten starke Schrift des aus Südkorea stammenden und in Deutschland lehrenden Philosophieprofessors Byung-Chul Han namens „Die Müdigkeitsgesellschaft“ etwa widmet sich nichts weniger als einer Gesellschaft, die an einem Übermaß von Positivität leidet. Sie kennt, so Han, nur Leistungsgrenzen nach oben und führt ihre Bewohner damit auch in die Depression oder den Burn Out. Als Alternative verlangt er einen grundlegenden Ausstieg aus der Reizüberflutung durch positive Müdigkeit und die Entdeckung der nur langsam wachsenden Form: „Die Müdigkeit gliederte (…) – das übliche Gewirr durch sie rhythmisiert zur Wohltat der Form – Form, soweit das Auge reichte“, zitiert Han Peter Handke. Hans spannende Ideen hätten in Deutschland wohl höchstens einen staatlich subventionierten Universitätsverlag gefunden, wäre nicht Matthes & Seitz gewesen.
Insofern hat Matthes & Seitz den Prix de l’Académie de Berlin verdient. Nicht nur für die Publikation „intellektueller Leckerbissen“, wie Krüger die Bücher des Verlags nannte, sondern vor allem für großen unternehmerischen Mut.
Bild: Matthes & Seitz-Geschäftsführer Andreas Rötzer erhält von Gesine Schwan (SPD) den Prix de l’Académie de Berlin / Fotograf: Jürgen Keiper
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By the way: Byung-Chul Han’s Zeitdiagnose wurde inzwischen auch vom Spiegel „entdeckt“ und neben anderen als Traktat schlechter Laune abgestempelt… http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,732096,00.html Dieser Umstand, von dem man halten kann, was man will, ändert aber natürlich nichts daran, dass M&S ein hervorragendes Programm bieten…
Da kann man nur davon ausgehen, dass der entsprechende Spiegel-Journalist das 60- Seiten- -Buch nicht mal in die Hand genommen hat. Denn Han plädiert ja gerade für mehr Gelassenheit und weniger Frust wegen des Versagens an den falschen Maßstäben. Bei der „Fröhlichen Wissenschaft“ gibt’s einige gute Sachen, u. a. die:
http://www.matthes-seitz-berlin.de/scripts/buch.php?ID=288
Dieses Buch passt auch gut zum letzten Seminar über das Berliner DAAD-Stipendium:
http://www.matthes-seitz-berlin.de/scripts/buch.php?ID=76