Das Brecht-Haus und das Museum für Naturkunde hatten zu einer Lesung der ganz besonderen Art geladen: Jonathan Franzen erzählte über seine Leiden-schaft als Vogelbeobachter und darüber, was das mit dem Schreiben zu tun hat.
Es war doch sehr erstaunlich, wie viele Besucher sich am vergangenen Sonntagmorgen im Hörsaal 7 der Humboldt-Universität einfanden, um sich von Jonathan Franzen erklären zu lassen, warum „Vögel gewissermaßen das bessere Ich der Dinosaurier sind“ und was im Allgemeinen so faszinierend daran sei, jenes Federvieh stundenlang zu beobachten. Anwesend waren vermutlich mehr Kenner der Ornithologie als Kenner des Oeuvres des amerikanischen Bestsellerautors. Die im Anschluss gestellten Publikumsfragen zumindest waren sehr speziell, wollten doch einige wissen, ob Herr Franzen bereits die Kraniche in Berlin gesehen habe oder um welche Vogelart es sich bei der sich im Central Park ausbreitenden handle. Die Antwort kam prompt: eine amerikanische Variante des Rotkehlchens.
Aber immer der Reihe nach. Moderiert wurde das Ganze vom Leiter des Ökowerks Berlin Andreas Meißner, der seit nun knapp sechs Jahren Franzen auf seinen Streifzügen durch das Berliner Umland begleitet. Man kennt sich also. Im übrigens auf deutsch geführten Gespräch betonte Jonathan Franzen mehrfach die Gemeinsamkeiten zwischen dem Beobachten von Vögeln – dem sogenannten bird watching – und dem Schreiben von Romanen. In beiden Fällen müsse man ein hohes Maß an Geduld aufbringen, bis sich schließlich das gewünschte Exemplar einer besonderen Vogelspezies zeigt oder im anderen Fall sich die Blockade löst und der kreative Schreibprozess einsetzt. Sowohl im Reich der Natur als auch auf dem nackten Papier gehe es darum, etwas Neues mühsam zu „entdecken“. Außerdem erklärte Franzen, die Vögel erinnerten ihn an das Außenseitertum des Schriftstellers. Denn der Vogel an sich verfügt über keinen Besitz, ist gänzlich auf sich allein gestellt und ständig dazu angetrieben, unterwegs zu sein, sich seine Nische in der Welt zu suchen. In dieser „Armut des Lebens“ liege für ihn zugleich eine gewisse Anmut, die für den Schriftsteller unabdingbar ist, ermahne sie ihn doch daran, nicht bequem zu werden und den einfachen Erklärungen keinen Glauben zu schenken.
Des Weiteren hat Jonathan Franzen das Vogelbeobachten, mit dem er vor knapp acht Jahren begann, dazu verholfen, seine ungeheure Wut als Umweltaktivist zu kanalisieren und in etwas Positives umzuwandeln. Die Natur war nicht mehr bloß etwas Abstraktes, sondern gab ihm nun etwas, ein Projekt, das er nach eigenen Aussagen „lieben“ und dem er sich zuwenden konnte. Die Frage, ob dementsprechend sein neuer Roman „Freiheit“ (Rowohlt Verlag), auch als Pamphlet für die Erhaltung der vom Aussterben bedrohten Vogelarten zu verstehen ist, verneinte Franzen jedoch entschieden. Ihm gehe es in seinen Romanen überhaupt nicht darum, den Leser für umweltpolitische Fragen zu sensibilisieren, sondern in erster Linie zu unterhalten und all die möglichen Dramen der menschlichen Freiheit vorzuführen. Die Umweltthematik sei lediglich ein geeignetes Feld dafür, mehr nicht. Werde eine Sensibilisierung des Lesers en passant erreicht, sei das ein willkommener Nebeneffekt, aber nicht sein Hauptanliegen. Als Journalist für den New Yorker dagegen möchte Franzen selbstverständlich darüber aufklären, dass jährlich eine Milliarde Zugvögel im Mittelmeerraum von Wildern getötet und als Delikatessen verkauft werden, beispielsweise in seinem neuesten Artikel „Emptying the sky“ (ein Podcast für den ansonsten kostenpflichtigen Artikel gibt es hier).
Gegen Ende der Veranstaltung wandte sich Jonathan Franzen deshalb an die versammelte Zuhörerschaft und legte allen ans Herz, sich bewusster mit den Vögeln auseinanderzusetzen. Denn als Vogelbeobachter werde man seines Erachtens „automatisch zum Demokraten“ und damit wohl, so seine unausgesprochene Hoffnung, zum besseren Menschen. Ob diese Analogie wirklich zutreffend ist, muss jeder Einzelne für sich klären. Tatsache ist jedoch, dass ich mich zumindest nach dem Verlassen des Hörsaals in der Umwelt etwas genauer umgeschaut habe.
Foto: confusion – Marfis 75, flickr.com, creative commons
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Markus ahoi! gehst mit gutem Beispiel vorran :) ich find es übrigens legitim und gut, dass Autoren die Aufmerksamkeit, die sie bekommen, auf Bedeutsames lenken, das neben dem litaffin-weltvergessenen Dasein ihrer Leser sonst vielleicht unbedacht bleiben würde (siehe J.S. Foers „Tiere essen“)
Jonathan Franzen ist Bestseller-Autor, Gewinner des National Book Award, Übersetzer, Journalist – in der Branche also ein ganz Großer. Dass jemand wie er sich noch Zeit für Umwelt- und Artenschutzfragen nimmt, ist lobenswert und kann den einen oder anderen vielleicht sogar für diese Themen sensibilisieren. Aber die Aussage, der Vogel würden ihn an das „Außenseitertum des Schriftstellers“ erinnern, da er „über keinen Besitz“ verfügt und „ständig dazu angetrieben [ist], unterwegs zu sein“ finde ich persönlich extrem klischeehaft, hart an der Grenze zu heuchlerisch. Der National Book Award ist immerhin mit 10.000 Dollar dotiert. Gerne Vögel beobachten und sich für Umweltfragen einsetzen: ja; Daraus abstruse Rückschlüsse auf das Leben eines Schriftstellers an sich ziehen: nein. Ich kenne die Rotkehlchen im Center Park nicht, aber die Rotkehlchen Berlins und Brandenburgs sind übrigens Standvögel.
Ich sehe das genauso wie du, Miriam! Dieses Bild, das Franzen von Autoren malt, finde ich genauso klischee wie erfolgreiche Schauspieler, die immer wieder darüber meckern, dass sie überall erkannt werden oder zu hübsch sind, anspruchsvollen Rollen zu bekommen. Schriftsteller-sein heißt nicht unbedingt, dass man einen emo-mäßigen Außenseiter ist und nie in einem Ort bleiben kann. Ich bin persönlich ziemlich überrascht, das so ein anerkannter Autor wie Franzen nicht selber erkennt, dass diese Vorstellung langsam eine Klischee geworden ist.
Klischeehaft vielleicht – aber mal ganz ehrlich: so what? Jonathan Franzen glaubt wie viele andere, dass ein Schriftsteller seines Typus einen kritischen Außenseiterblick auf die Gesellschaft, über die er schreiben will, besitzen muss. Das Ungenügen an der Gesellschaft mag sich auf viele Weise speisen. Materielle Not ist nur eine von vielen Möglichkeiten davon. Für Jonathan Franzen mag diese nicht (mehr) zu treffen. Für Franzen speist sich der Mangel der Mehrheitsgesellschaft anzugehören aus der Tatsache, wie diese mit der Umwelt umgeht. In diesen Zusammenhang ist meines Erachtens auch die Aussage „Armut des Lebens“ zu verstehen, mit der Franzen das Leben der Vögel und das der Schriftsteller charakterisiert und in Bezug setzt. Armut bezeichnet ja primär den Mangel von etwas. Geld, Nahrung, Liebe oder eben der Wille einer Gesellschaft anzugehören, die die Umwelt zum Schaden aller gnadenlos ausbeutet…
Naja, aber ein Schriftsteller seines Typus muss nicht dieses klischeehaftes Bild ausnutzen um seinen Punkt zu unterstützen. Ich finde, er hat einfach teilweise die falsche Worte ausgewählt, um seine Stelle als Außenseitskritiker zu verdeutlichen. Und muss man übrigens überhaupt Außenseiter sein, um die Gesellschaft zu kritisieren? Oder geht es eher um den „Außenseiterblick“? Man kann ja tief drin sein und trotzdem scharf kritisieren…