Mit Kopfhörern durch die Straßen gehen und dabei Literatur und Geschichte hautnah erleben – und das auf eine Art, die so glaubwürdig ist, dass man Realität und Fiktion kaum auseinanderhalten kann. Audiowalks sind das faszinierende Zusammenspiel von Erzählung, Kunst und Audio Technologien.
Audiowalks sind ortsgebundene Hörspiele, die ihre Zuhörer einladen, sich einer Geschichte folgend durch einen bestimmten, meist urbanen Raum zu bewegen. Dabei leitet sie eine Stimme durch diesen Raum, durch die Straßen und öffentlichen Plätze einer Stadt, indem sie ihnen genaue Anweisungen gibt. Folgt das Publikum diesen, bleibt es stets ‘in sync’, also im richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, um auf eine faszinierende Art und Weise gleichzeitig mit dem Ort verbunden zu bleiben und ihn durch die Erzählung mit neuem Auge zu sehen. Jede, die einen Audiowalk mitmacht, erlebt eine Geschichte vor Ort, ja sie läuft regelrecht durch eine Erzählung. Das Format nutzt die Möglichkeiten, die neue Technologien bieten, auf solche Art und Weise, dass beeindruckende Zeitreisen erlebt werden können.
Janet Cardiff und George Bures Miller produzierten in den ’90ern die ersten Audiowalks. Dabei wurde zum ersten Mal dieses Format aus dem Museum herausgezogen und in den öffentlichen Raum gebracht. Audioguides, die einer Museumsbesucherin Informationen zu den Ausstellungsstücken geben, gab es schon lange. Die Zuhörerin eines Werkes von Cardiff und Miller bewegt sich aber im Freien. Das Künstlerpaar lässt sich von dem Ort, an dem sich die Geschichte entwickelt, inspirieren. Es bezieht sich in seinen Audiowalks sowohl auf Geschichte, Architektur und die Atmosphäre eines spezifischen Ortes, als auch auf einfache alltägliche Geräusche, hupende Autos, bellende Hunde und spielende Kinder. Ihre Erzählungen lassen die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, und zwischen Realität und Fiktion, ineinander verschmelzen. Die Stadt dient ihnen als Kulisse, vor der sich Liebes- und Horrorgeschichten abspielen. Idealerweise ist das Publikum eines solchen Audiowalks vor Ort und schlendert wirklich durch die Straßen, während es Cardiffs Stimme lauscht und ihr folgt. Audiowalks von Cardiff und Miller kann man in mehreren deutschen Städten erleben, da das Künstlerpaar bereits in mehreren Städten in Deutschland Audiowalks produziert hat.
Während Cardiff fesselnde fiktive Geschichten erzählt, nutzen andere das Format des Audiowalks, um historische Ereignisse auf eine neue Art zu vermitteln. History Remix ist ein solches Werk. Stefanos Pavlakis beschäftigt sich in History Remix mit der Arbeitsrmigration in München in den ’60er und ’70er Jahren. Es handelt sich um eine fast vergessene Geschichte, zumal nur sehr wenig in der Stadt München darauf hinweist, dass das so genannte deutsche ‘Wirtschaftswunder’ nur durch das Mitwirken von ausländischen Gastarbeitern vollbracht werden konnte. History Remix durchziehen vier Erzählerstimmen. Während das Publikum von den Stimmen durch die Stadt gelotst wird, erfährt es über die Geschichten und Schicksale von Gastarbeitern. Hierzu wurden Auszüge aus Interviews und in Archiven recherchierte Informationen in ein einzigartiges Netz aus Fakten und Fiktionen zusammengewoben. History Remix ist eine Art unsichtbares Denkmal, das sich nicht statisch auf einem Platz befindet, sondern sich durch die Stadt bewegt und immer neu in Erscheinung tritt, wenn der Audiowalk mitgemacht wird.
In Berlin erzählt der Audiowalk Kudamm ’31 die Geschichte von einem relativ unbekannten Pogrom gegen die jüdischen Bewohner der Stadt am Kurfürstendamm im Jahre 1931. Dieser Walk wurde von zwölf Studentinnen des Masterstudiengangs Public History der Freien Universität Berlin in Zusammenarbeit mit Christine Bartlitz vom Potsdamer Zentrum für Zeitgeschichtliche Forschung und Sebastian Brünger, einem Dramaturg bei Rimini Protokoll, erarbeitet. Jede, die ein Smartphone besitzt, kann mitmachen. Kudamm ’31 nutzt auch die Möglichkeit sein Publikum genau zu orten. Während man sich bewegt, hört man Informationen zu dem Ort, den man jeweils vor sich hat. Interviews, Geräusche und Originaltöne sind in diesem Werk verbunden. Das Ergebnis ist auf jeden Fall einen Spaziergang am Kurfürstendamm wert.
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