„Der kleine Hobbit“, „On The Road“, „Anna Karenina“, „Schiffbruch mit Tiger“ – die Liste der aktuellen Literaturverfilmungen ist lang. Ebenso die Liste der Ansprüche, die man an eine gute Literaturverfilmung stellt. Man ist eben grundsätzlich skeptisch, ob Regisseure es schaffen, den literarischen Stoff stimmig und gebührend auf die große Leinwand zu bringen.
Allzu oft wird Regisseuren von Literaturverfilmungen vorgeworfen, sie seien dem Werk nicht treu geblieben und hätten zu viele Änderungen vorgenommen: Nebenhandlungen werden gestrichen, eine Romanze hinzugedichtet, das Ende ausgeschmückt. Doch es stellt sich die Frage, wie man Änderungen überhaupt umgehen kann, wenn die literarische Vorlage in ein völlig anderes Medium übertragen wird. Muss es damit nicht zwangsweise zu Differenzen kommen? Immerhin gilt es, eine Filmlänge von meist 90 bis 140 Minuten zu erreichen – in Lesestunden umgerechnet käme man in dieser Zeit wahrscheinlich nicht weiter als bis Seite Siebzig. Und würde man aus einem 1200-Seiten-Schmöker à la Anna Karenina ein Bibel-dickes Drehbuch schreiben, säße man demnach sicherlich eine Woche lang im Kino. Für eine qualitativ hochwertige Literaturverfilmung sind Änderungen also unumgänglich. Kürzungen somit auch. Hinzu kommen außerdem die persönlichen Vorstellungen und Intensionen der Drehbuchautoren sowie Regisseure, die unweigerlich in jede Verfilmung einfließen. Während viele Millionen Leser sich ihre ganz persönliche Welt entwerfen, wird auf der Leinwand nur eine einzige gezeigt. Der wahre Grund so mancher Enttäuschung ist also wohl eher der Zusammenbruch der eigenen Imagination, die man sich beim Lesen in liebevoller Kleinstarbeit aufgebaut hat. Durch die Verfilmung erhält der Roman nun konkrete Bilder und wird völlig neu erzählt. Die einzelnen Figuren bekommen eine reale Gestalt: Sherlocks Assistent Dr. Watson wird zum „kleinen Hobbit“ Bilbo Beutlin, und in Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ wird die grobe, ganz gewöhnlichen Frau Hanna schon mal zur anmutigen Kate Winslet. Und das Fatale daran: Gerade bei Fehlbesetzungen spuken einem die Schauspieler auf ewig im Kopf herum, die Film-Hanna (warum denke ich bei ihr bloß ständig an „Titanic“?) ist von da an immer dominanter als die zart imaginierte Roman-Hanna. Die eigene Vorstellung kann in den seltensten Fällen gegen eine Verfilmung ankommen.
Zudem darf man nicht vergessen, dass ein Film auch stets ein wirtschaftliches Projekt darstellt, das Gewinn erzielen soll. Und um größtmöglichen Gewinn erzielen zu können, muss der Film auf ein größtmögliches Publikum zugeschnitten werden. Themen wie Liebe und Leidenschaft, Schmerz und Verrat konnten Otto-Normal-Verbraucher doch immer schon ins Kino locken, oder? Also was bleibt dem literaturaffinen Herz, wenn es mal wieder heißt: „Was sich als Buch gut verkaufte, wird auch auf der Leinwand ein Erfolg!“? Literaturverfilmungen Boykottieren? Ignorieren? Die Figuren lieber zwischen den Buchdeckeln lassen? Oder sollten wir vielleicht unsere Ansprüche an Literaturverfilmungen überdenken?
Es wäre wohl das Beste, sich zuerst einmal zu entspannen. Anschließend sollte man sich klar machen: Eine Verfilmung ist und bleibt eine Adaption der literarischen Vorlage und soll in erster Linie unterhalten. Wenn der Regisseur also eine Darstellung bzw. Intention verfolgt, die mit der eigenen kollidiert, darf man sich nicht gleich verbittert und enttäuscht hinter seiner Popcorntüte verstecken. Und wenn es das absolute Lieblingsbuch ist, sollte man sich vielleicht überlegen, ob man sich eine Verfilmung wirklich anschauen möchte oder sich eine mögliche Ernüchterung lieber erspart.
Oder was meint ihr?
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Die Frage, welche Erwartungen man persönlich an eine Literaturverfilmung hat, ist tatsächlich eine, die sich jeder stellen sollte, bevor er sich eine ansieht.
Ich finde es richtig, sich bewusst zu sein, dass jede Verfilmung immer nur die Interpretation eines Regisseurs. Eigentlich schön, finde ich. So kann es verschiedene Verfilmungen und Interpretationen einer Textvorlage geben.
Und Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Verfilmung hat mir z.B. so viele wahnsinnig tolle Bilder eingepflanzt, dass es mir damit ein Genuss war, mit ihnen im Kopf Tolkiens Buch zu lesen.
Das ist bisher aber auch nur Jackson gelungen.
Ich finde, es sollte sich tatsächlich erst einmal jeder Gedanken machen, was er von Literaturvefilmungen erwartet und was sie für ihn/sie leisten müssen.
In meinen Augen ist es richtig, dass sie immer nur EINE Interpretation eines Werkes sind. Das finde ich toll. So kann es mehrere Verfilmungen einer Vorlage geben, die alle unterschiedliche Deutungen darstellen und verschiedene Schwerpunkte setzen.
Ein Werk kann so auf neue Weise hervortreten.
Ich traue mich nicht in Schiffbruch mit Tiger. Ich habe das Buh vor Jahren gelesen und geliebt. Nun habe ich Angst vor dem Film. Bin seit einer beinahe traumatischen Erfahrung mit Gottes Werk und Teufels Beitrag sehr vorsichtig mit Literaturverfilmungen. Allerdings freue ich mich wie ein kleines Kind auf die Neuverfilmung von Der große Gatsby.
Ich traue mich auch nicht, „Extrem laut und unglaublich nah“ zu schauen. Da es eins meiner Lieblingsbücher ist, wäre ich vom Film sicher nur enttäuscht..
@Ariane: Da hast du Recht, „Der Herr der Ringe“ ist ein großartiger Film!!
Wie haben dir denn Anna Karenina und Schiffbruch mit Tiger gefallen? Ergänzung zum Buch oder Zerstörung des Leseerlebnisses? Ich selbst habe Anna Karenina noch nicht gelesen, weil ich einst als Jugendliche bei einer zweibändigen Ausgabe mit Band zwei anfing und nicht verstand, wer diese vielen Leute sein sollten. Und diese Personenkonstellationen erklärt der Film sehr gut, wenn er auch sehr kitschig, überkandidelt ist. Eventuelle Motivation für einen Literaturverfilmungsbesuch könnte also auch sein: Weltliteratur im Schnelldurchgang.
Ich habe erst kürzlich „Anna Karenina“ angeschaut und ihn gehasst. Zu viel Drama, zu inszeniert, zu viel immerschöne, immergleiche Keira Knightley.
Das Buch hingegeben habe ich als übermotiverter Literatur-Ersti verschlungen.
Natürlich ist eine Literaturverfilmung immer nur eine neue Interpretation eines Textes. Leider finde ich dass in 9 von 10 Fällen das literarische Werk besser ist. Liegt das nur am Medium?
Eine Ausnahme hingegen ist „Fight Club“, da finde ich das Film und Buch in etwa auf gleicher Grandiositätsstufe liegen. „Fight Club“ war aber auch eine Short Story die zu einem Drehbuch wurde, vielleicht liegt es daran, da hier mehr Raum für neue Ideen blieb.
Stephen Daldrys Verfilmung ist meiner Meinung nach ganz nett, aber er blendet die Geschichte der Großeltern aus, was das Buch meiner Meinung nach so stark gemacht hat. Es ist ausschließlich ein Film über den 11. September und den Verlust des Vaters. Wenn du dich darauf einlassen kannst, brauchst du keine Angst zu haben. ;-)
Kann vielleicht, wenn man sich mit einem Buch eine eigene mentale Welt erdacht hat, die abgeschlossene Welt eines Films meist nur enttäuschen?
Weil sie IMMER anders sein wird, als das selbst Erdachte oder Vorgestellte?
Oft verstehe ich ein Buch oder einen Charakter anders als andere, die das Buch gelesen haben -- auch anders, als der Regisseur… ihn/sie interpretiert hat.
Die Frage ist, wie viel von mir selbst und dem Buch, das ich zu MEINEM Buch gemacht habe, nehme ich mit in einen Film?
Lasse ich mich auf dessen Interpretation ein und betrachte den Film als etwas, das neben das Buch tritt, aber schon der Mittel wegen kaum verglichen werden kann?
Ich finde, z.B., gerade stark in personaler Erzählperspektive oder sogar Ich-Perspektive geschriebene Bücher können einfach an sich nicht in gleicher Form filmisch umgesetzt werden, da der Film -- außer durch eine Off-Erzählerfigur oder so -- kein Innenleben der Figur wiedergeben kann.
Auch die Emotionen, die so eine Erzählweise oft hervorruft, können eigentlich kaum transportiert werden.
Das sind Dinge, die ich mir vor einem Filmbesuch dann versuche, bewusst zu machen, um nicht mit denselben Erwartungen an den Film heranzugehen wie an das Buch.
Übrigens können Verlage im Rahmen der Berlinale Bücher mit großem Verfilmungspotential vorschlagen:
http://www.boersenblatt.net/591386/