3,7 Punkte in der B-Note

Die Vergabe der ersten TikTok Book Awards in Deutschland sollte diesem Bereich der Literaturszene eine Bühne geben. Stattdessen haben sie für Empörung in der BookTok-Community gesorgt. Was ist schiefgelaufen?

Foto eines Bücherstapels
© Antonia Prume

Feierabend, raus aus dem Büro, rein in die S-Bahn, Handy in die Hand und zack – siebzig 30-sekündige Videos später schaffe ich es gerade noch rechtzeitig aufzuschauen, um mitzukriegen, dass wir gleich meine Station erreichen. Wie viele andere junge Menschen verliere auch ich mich schnell im Sog von TikTok, die App-Entwickler scheinen ihr Ziel erreicht zu haben. Auf der Plattform ist eine endlose Anzahl kurzer Videos zu sehen, die zum Doom-Scrolling verleiten – dem andauernden Durchschauen von Beiträgen, bei dem man die Zeit vollkommen vergisst.

TikTok ist aus seiner Anfangszeit vielen, die es selbst nicht nutzen, im Gedächtnis geblieben als die Plattform, auf der es Lip-Syncing-Videos und alberne Tänze gibt. Mittlerweile bietet es jedoch Nischen für alle Interessen. Und mit Nischen meine ich jetzt nicht die gefährlichen Trends, durch die auch schon Jugendliche zu Schaden oder gar zu Tode gekommen sind, wie etwa die Deo-Challenge. Ich will auch nicht auf das gegenteilige Extrem hinaus, wo sich Banalität, Fremdscham und Voyeurismus die Hand reichen: Clips, in denen man Anderen beim Ausdrücken ihrer Pickel zusieht (Ich meine, ehrlich jetzt!?). Nein, wenn ich Nischen sage, denke ich an Interessengemeinden wie BookTok – das ist die kleine Ecke für Buchliebhaber:innen auf TikTok. Obwohl sie gar nicht mehr so klein ist: Mehr als 845 Mio. Aufrufe hatte #BookTokGermany laut einer Meldung der Plattform im April 2023.

BookTok ist die Antwort für alldiejenigen, denen Buchbesprechungen im Feuilleton zu elitär wirken und die Lektüre im Deutschunterricht zu verstaubt und verschult. Hier werden keine literaturwissenschaftlichen Einführungswerke herangezogen und Begriffe wie „Intertextualität“ strikt vermieden. Stattdessen werden Bücher anhand anderer Kriterien bewertet: Wie viel Spaß hatte ich beim Lesen? Habe ich mich mit der Erzählung identifizieren können? Hat mich das Buch alles um mich herum vergessen lassen? Welche Gefühle hat es in mir ausgelöst? BookTok ist nicht darauf aus, Bücher auf ihr Potenzial zur Kanonisierung zu untersuchen. Nein, es geht um persönliches Empfinden, um Verbundenheit, um Emotionen. Hier zählt der Vibe.

Auf TikTok gibt es keine ausführlichen Analysen der aktuellen Buchpreis-Kandidaten oder zustimmendes Nicken, wenn das literarische Quartett das Lebenswerk von Autor:innen in Einzelteile zerpflückt. Naja gut, Lebenswerk ist vielleicht übertrieben, aber so ein bis zwei Jahre Arbeit waren es doch bestimmt, oder? Wenn ein Buch auf TikTok eingehender besprochen wird, dann anhand einer Beschreibung des Lese-Erlebnisses. Es gibt jedoch auch allerhand anderer Arten von Videos: Beliebt ist die Bookshelf Tour, man zeigt seine Bücherregale und erzählt etwas dazu, zum Beispiel, wonach die Bücher geordnet sind oder wie man sie fand. Auch der SUB (Stapel ungelesener Bücher) wird häufig gefilmt, begleitet von der Überlegung, welches Buch als nächstes angefangen werden soll. Zudem werden in vielen Videos fünf Bücher zu einem Thema vorgestellt – worum es sich handelt, kann ganz unterschiedlich sein. Von den Lieblingsbüchern über die schlimmsten Bücher hin zu einem bestimmten Trope (also Handlungsverlauf) oder Vibe (wie zum Beispiel „Bücher, die zum Herbst passen“) ist alles dabei. Es werden auch die BookTok-Lieblinge selbst thematisiert. Zahlreiche Creator:innen, wie @nathalie_reads, laden Videos hoch, in denen sie erläutern, welche dieser Bücher ihren Hype verdient haben – oder welche eben nicht. Begleitet sind solche Einschätzungen häufig von einer Punktzahl bzw. Sternen, die dafür vergeben werden.

Wie TikTok die Buchbranche rettet

Diese Gemeinschaft an lesebegeisterten jungen Menschen hat so viel Momentum, dass sie im Verlauf der vergangenen drei Jahre die Literaturszene auf den Kopf gestellt hat. Zu Beginn der Corona-Pandemie hat die BookTok-Bewegung einen Aufschwung erfahren. Während die Welt im Lockdown war und vor allem Schüler:innen und Studierende zuhause bleiben mussten, sind viele Menschen zu neuen Hobbys gekommen. Lesen ist eines davon. Nutzer:innen von TikTok beschreiben in ihren Videos, dass sie aus Langeweile ein Buch gekauft haben und dem Lesen regelrecht verfallen sind. In zahlreichen Clips kann das Wachstum der Buchsammlungen angesehen werden, auch das Kaufen, Aufbauen und Einräumen neuer Regale wird festgehalten. Mittlerweile kann man den Einfluss dieser Community nicht mehr leugnen. In Buchhandlungen finden sich bereits ganze Tische nur mit BookTok-Titeln. Ein unerwarteter Effekt ist, dass die schnelllebige Plattform nicht nur aktuellen Büchern Aufmerksamkeit verschafft, sondern auch Backlist-Titel auf die Bestsellerlisten katapultiert. Bekannte Beispiele hierfür sind die Werke von Madeline Miller und Colleen Hoover. Vor knapp zehn Jahren publizierte Bücher sind jetzt plötzlich Verkaufsschlager und dürfen in keinem Regal fehlen. Auch das 1992 von Donna Tartt veröffentlichte „The Secret History“ hat mehr als nur 15 Minuten Rampenlicht durch BookTok erfahren. Laut einem Artikel in der Zeit haben die Digital Natives auch kanonisierte Werke wie die von Franz Kafka, George Orwell und Jane Austen für sich entdeckt. Eher überraschend, wenn man bedenkt, dass die beliebtesten Genres auf BookTok Romance und Fantasy sind – ihre Schnittstelle, Romantasy, bleibt jedoch der heilige Gral. Sorry, Kafka.

Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse, die in diesem Jahr vom 18. bis 22. Oktober stattfindet, werden erstmals in Deutschland die TikTok Book Awards verliehen. Diese Nachricht wurde im August begeistert in der BookTok-Community aufgenommen. In einem Beitrag vom 07. September 2023 teilt die Social-Media-Plattform alle wichtigen Informationen zu den Awards mit. Fünf Kategorien soll es geben: #BookTok Autor:in des Jahres, #BookTok Community Buch des Jahres, #BookTok Creator:in des Jahres, #BookTok Bestseller des Jahres und #Booktok Verlag des Jahres. Der #BookTok Bestseller des Jahres wird anhand der Daten von TikTok und Media Control vergeben. In den anderen Kategorien gibt es jeweils eine Person, die alleinig als Jury aus der Longlist mit je 20 Nominierungen eine Shortlist á fünf Titel bzw. Kandidat:innen kuratiert. Vom 02. Oktober bis zum 15. Oktober können alle, die einen TikTok-Account haben, einmal täglich an der Abstimmung teilnehmen. Das klingt doch soweit gut, oder?

Zeit für das große ABER

Die Ankündigung einer Kategorie hat besonderes Aufsehen erregt in der BookTok-Community: Der Juror für das #BookTok Community Buch des Jahres ist kein geringerer als Denis Scheck. Als einer der bekanntesten Literaturkritiker Deutschlands zweifelt niemand seine Kompetenz an, er kennt die Literaturszene. Allerdings genau jene Szene, in der sich die BookTok-Community nicht vertreten sieht. „An allererster Stelle ist BookTok für so viele Menschen ein Safe Space. BookTok ist ein Ort, den wir uns geschaffen haben, an dem wir Bücher hypen, lesen und lieben können, die vorher sehr oft eher belächelt wurden“, beschreibt es @romanwelten in ihrem Beitrag. Es soll ein Raum sein, um Bücher zu feiern, die keine Aussichten auf den Georg-Büchner-Preis haben – und darauf auch gar nicht abzielen. Diese Bücher sollen ihre Leser:innen mitnehmen, unterhalten, ihnen Identifikationspotenzial bieten oder Tagträume anregen.

Alle, die viel Zeit auf BookTok verbringen, hatten wahrscheinlich ihre Favoriten für das Community Buch des Jahres. Auch bei einer Betrachtung der Bestsellerlisten der Plattform aus dem vergangenen halben Jahr scheint die Auswahl eindeutig zu sein. Es gibt sechs Bücher, die von März bis September jeden Monat auf dieser Liste vertreten waren. Wenig überraschend: Drei davon sind von Colleen Hoover. Die US-amerikanische Schriftstellerin ist eines der besten Beispiele dafür, welchen Einfluss die BookTok-Community auf den Erfolg von Autor:innen haben kann. An CoHo, so nennen sie ihre Fans, kommt niemand vorbei, der einen Blick in diese Welt wirft. Laut eines Artikels in El País wurden allein im vergangenen Jahr etwa 10 Millionen Exemplare ihrer Bücher verkauft. Ja, richtig gelesen. Millionen. War es absehbar, dass sich drei ihrer Bücher ein halbes Jahr lang unter den jeweils 20 Titeln der #BookTok Bestsellerliste halten würden? Absolut. Findet man ihre Bücher in jeder Buchhandlung? Keine Frage. Steht sie auf der Shortlist für die Awards? Nein. Das einzige Buch, das von CoHo auf der Longlist vertreten war, liegt jetzt sicherlich in Schecks Tonne. Die anderen drei Dauerläufer der Bestsellerliste, Titel von Matt Haig, James Clear und Brianna Wiest, haben es nicht einmal auf die Longlist geschafft. Zur Erstellung der Longlist gibt es übrigens keine Details, die Plattform hat lediglich bekannt gegeben: „Die Auswahl der Longlist spiegelt das Verhalten unserer Community um den Hashtag #BookTok vom 01.01.2023 bis 31.07.2023 wider.“

Natürlich spielt der Algorithmus in dieser Debatte eine große Rolle – TikTok zeigt den User:innen nämlich das, was bereits Gesehenem ähnelt. Wenn ich aber während meiner Fahrt mit der S-Bahn durch diese digitale Buchgemeinschaft scrolle, begegnen mir die Shortlist-Titel nur selten. Welche Bücher das denn nun sind, fragt ihr euch? So sieht Denis Schecks Auswahl aus:

  • Caroline Wahl: 22 Bahnen
  • Juli Zeh: Corpus Delicti
  • Stefanie Stahl: Das Kind in dir muss Heimat finden
  • Yael Adler: Genial vital!
  • Benedict Wells: Hard Land

Diese Liste ähnelt eher der Notiz im Handy mit Geschenkideen für die lesebegeisterte Tante, nicht der Shortlist für das Community Buch des Jahres einer Social-Media-Plattform. Wenn man die Kommentare unter Videos wie dem von @miss.nerdstagram liest, wird schnell deutlich, dass viele mit diesen Titeln nichts anfangen können. Ein Teil der Nutzer:innen sagt, sie stimmen in dieser Kategorie für die Awards nicht ab, weil sie die Bücher nicht kennen. Andere nehmen aus Protest nicht teil, weil sie deutlich machen wollen, dass diese Auswahl die Mehrheit von BookTok schlichtweg nicht widerspiegelt. Die Bücher, die BookToker:innen teilweise mehrfach im Regal zu stehen haben, weil sie an der Sonderedition mit Farbschnitt einfach nicht vorbei gehen konnten, werden häufig danach beurteilt, wie hässlich man beim Lesen geweint hat (#UglyCry) oder wie spicy, also wie explizit sie sind. Das wird bei Stefanie Stahls Sachbuch sicher nicht nötig sein. Zwar taucht das Buch auch in den #BookTok Bestsellerlisten immer wieder auf, jedoch ist es nicht repräsentativ für die Gemeinschaft, die hier geschaffen wurde. Dem Ort, der einen niedrigschwelligen Zugang zu Literatur ermöglicht, weil es eben kein richtig oder falsch gibt, kein gut oder schlecht, sondern nur gefällt mir. Oder eben gefällt mir nicht.

Der Angriff des Literaturpapstes

Was aktuell gefällt, ist neben den all-time-favourites wie Colleen Hoover vor allem „Fourth Wing“ von Rebecca Yarros. Darin wird die junge Protagonistin auf das Basgiath War College geschickt, um zu lernen, einen Drachen zu reiten. „Fourth Wing“ hat alles, was BookTok liebt: Fantasy. Romance. Drachen. Drama. Und: Sonderausgaben mit Farbschnitt. Wer up-to-date sein will mit BookTok-Trends, muss dieses Buch gelesen haben. Es ist so beliebt, dass sich einige Fans sogar einen Drachen haben tätowieren lassen. Gut, das ist weder ein Muss noch charakteristisch für die Mehrheit der Community, aber es zeigt die Art, auf die Bücher hier geliebt werden. „Fourth Wing“ stand übrigens auf der Longlist, welche Denis Scheck lesen musste, um die Shortlist für die Abstimmung zu kuratieren. Zwar existieren keine öffentlich zugänglichen Aufzeichnungen, anhand derer sich sein Auswahlprozess nachvollziehen lässt, allerdings hat er den Titel von Rebecca Yarros bereits in der „Druckfrisch“-Sendung vom 10. September 2023 besprochen, da er zu dieser Zeit auch auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. Eine Liste, die Scheck regelmäßig in seiner Sendung auseinandernimmt.

In der Aufnahme steht Denis Scheck vor einer seiner üblichen, skurril anmutenden Kulissen: Man sieht ihn hinter einem Rollband stehen, dieses ist zur Kamera hin ausgerichtet, eine Kiste steht am anderen Ende. Neben ihm liegt der Bücherstapel auf einer Mülltonne, am Rand ist ein Feuerlöscher zu sehen. Hier wird also betrieben, was Scheck in einem Interview im SWR als „eine Art Stiftung Warentest“ für Literatur bezeichnet. Nun gut. Für seine harschen Kritiken ist er bekannt, seine Fachkundigkeit wird dennoch selten angezweifelt. Im WDR wurde über ihn gesagt: „Denis Scheck hat seine eigene, immer klug begründete Meinung über die Bücher, die er liest.“ Auch wenn ich zahlreiche Clips gesehen habe, in denen sich die BookTok-Community über den Kritiker empört, kann ich versichern: Das ist nicht nötig, um zu ahnen, dass sie dieser Meinung nicht zustimmen würde. Das Warum ist ganz simpel, denn Schecks Urteil über „Fourth Wing“ ist folgendes: „Wer eine gute Drachengeschichte lesen möchte, dem empfehle ich Ursula K. Le Guins Erdsee-Romane, nicht aber diese dumpf-militaristische Fantasy, deren literarische Flughöhe mit denen der Drachen im Roman bei Weitem nicht mithalten kann.“ Anschließend schmeißt er das Buch der Rampe entlang in die Box, wo es sich zu den anderen Titeln gesellen darf, die Scheck als Müll einstuft. Und dann war es auch noch ein Exemplar mit Farbschnitt. Autsch. Von klug begründeter Meinung habe ich hier nicht viel gesehen, ihr etwa?

BookTok sollte ein Safe Space werden. Ein Raum zum Austausch über Bücher, ganz ohne literaturtheoretische Kriterien und verschulte Methodenblätter, stattdessen emotional, subjektiv, unterhaltend. Auf diesen Safe Space haben die TikTok Book Awards nun Denis Scheck losgelassen. Auch wenn die Animation, bei der Blitze aus seiner Hand schießen, bereits aus seiner Sendung „Anti-Kanon“ gestrichen wurde, sind die Methoden dennoch dieselben. Der Literaturpapst, wie ihn Thomas Fitzel nannte, schlägt sich eine Schneise durch die Literaturlandschaft, wo und wie es ihm passt. Die beliebte Schule für Drachenreiter:innen ist nur ein weiterer unbedeutender Kollateralschaden.

Wenig überraschend und zugleich sehr enttäuschend

Vielerorts wurde der Einfluss von BookTok mittlerweile anerkannt. Buchhandlungen präsentieren die aktuell beliebtesten Titel, sie machen ebenso wie Verlage bei TikTok-Trends mit, um Bücher zu bewerben. Außerdem passen sich Verlage auch anderweitig an die Vorlieben der Community an, damit ihre Titel beliebt werden. So wird sorgfältig ausgewählt, welche Bücher einen der heiß begehrten Farbschnitte kriegen, es werden Merchandise-Artikel verkauft und BookToker:innen werden zu Multiplikator:innen auf dem Markt. Das heißt, durch ihre Empfehlung sollen andere zum Kauf angeregt werden. Dafür erhalten sie ebenso wie andere Blogger:innen auch besondere Buchpakete, in denen zusätzliche, thematisch gewählte Goodies sind. Für Neuerscheinungen haben sich neben Presse-Veranstaltungen auch Events für Blogger:innen etabliert. Außerdem wird auf TikTok beobachtet, welche Bücher auf dem internationalen Buchmarkt beliebt sind – was wiederum den Kauf von Lizenzen beeinflusst. Der Branche ist bewusst, welchen Unterschied diese Community bewirken kann.

Auch ein Artikel in der Zeit macht darauf aufmerksam und zeigt auf, welche Faktoren es zu beachten gilt. Wichtig ist es beispielsweise, die Schnelllebigkeit der Plattform zu bedenken. Die Trends vergehen so schnell, wie sie kommen – wer dabei sein will, muss sofort reagieren. Der Unterschied, den die jungen Menschen jetzt im Umsatz machen, wird ebenfalls betont. Dabei heißt es doch immer, wir würden nicht lesen? Das tun wir eben doch. Ein eindeutiger Beweis ist die Auswertung dessen, wofür der Kulturpass verwendet wurde. Was ist es also dann? Sind es nicht die richtigen Bücher? Genau deswegen gibt es doch BookTok. Um eine Gemeinschaft zu haben, in der dieses Vorurteil nicht existiert, in der die Unterhaltungsliteratur nicht als die abschätzig zu bewertende kleine Schwester der Hochliteratur angesehen wird. Wie gesagt, vielerorts ist diese Nachricht wohl mittlerweile angekommen. Warum aber dann ausgerechnet nicht bei TikTok selbst?

In einem Beitrag aus dem RND heißt es: „Unter dem Hashtag #Booktok erobert sich die Literatur auf TikTok neue Räume. Und zeigt: Der Literaturkritiker muss kein alter Mann mit Hornbrille sein. Meistens sind es Frauen, die auf TikTok Buchtipps geben, Männer finden sich in der Szene eher selten.“ Liebes Orga-Team, habt ihr das gelesen? BookTok besteht hauptsächlich aus jungen Frauen, die gern Romantasy lesen. Der alleinige Juror für das #BookTok Community Buch des Jahres ist jedoch ein Mann Ende 50, der es als seine Aufgabe versteht, Menschen vor nicht literarischen Titeln zu bewahren. Anders als in den übrigen Kategorien ist die Wahl hier vollkommen daneben gegangen. Zwar äußert Scheck in einem Interview mit dem SWR, einer der Gründe, aus denen er Literaturfestivals mag, sei, dass sie Menschen motivieren und Freude machen, von einer solchen Einstellung ist jedoch weder in seinen Sendungen noch bei diesen Awards viel zu sehen. Naja, vielleicht gilt das nur für Titel, die er abgesegnet hat.

Warum genau Denis Scheck also gewählt wurde, bleibt fraglich. Sollte den Awards so mehr Aufmerksamkeit in der Branche gesichert werden? Mehr Seriosität verliehen? Was auch immer es war, diese Fehlentscheidung sollte mittlerweile allen bewusst sein. Die BookTokerin @josiwismar folgert zur Shortlist: „Die Liste, die entstanden ist, ist wenig überraschend und zugleich sehr enttäuschend.“ In vielen weiteren Videos wird gezeigt, welche Titel auf der Liste erwartet wurden, im Gegensatz zu denen, die es schlussendlich geworden sind. Wenn der Community schon eine Plattform geschaffen werden sollte, dann doch bitte auch mit Respekt für ihre Sichtweisen. Was nun die Empörung auf TikTok lindert ist eine simple Vorstellung: Wenn Scheck alle Titel der Longlist gelesen hat – und nach eigener Aussage überblättert er beim Lesen nicht –, dann hat er „Very Bad Kings“ vollständig gelesen. Ein Buch, welches für seine expliziten Szenen bekannt ist. Erheiternd ist dieses Bild wohl, dennoch bleibt darauf zu hoffen, dass in der Zukunft Juror:innen ausgewählt werden, die gewillt sind, nach den Gesichtspunkten der Community zu urteilen. Nette Idee also, liebes TikTok, aber vielleicht sollte man die Kür erst im Wettbewerb zeigen, wenn man die Landung stehen kann.

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2 Kommentare zu „3,7 Punkte in der B-Note“

  1. > „Digital Natives“

    „Mit dem Internet aufgewachsen“, aber kennen als Suchmaschine nur Google. Und allerhöchstens noch Bing, Yahoo oder Yandex.

    > „Fourth Wing“ hat alles, was BookTok liebt: Fantasy. Romance. Drachen. Drama. Und: Sonderausgaben mit Farbschnitt. Wer up-to-date sein will mit BookTok-Trends, muss dieses Buch gelesen haben.

    Ich lese es als E-Book und empfinde es im Gegensatz zu Denis Scheck eher als eine Ansammlung von unbeabsichtigter Comedy -- hervorgerufen durch Dinge wie das Detail, dass nur der Badboy-Love-Interest merkt, dass die Protagonistin in den Sparringkämpfen mithilfe von Giften bescheißt.

    Abschließend ein Zitat von einem Youtube-User:

    „What I wanted from Fourth Wing: Temeraire, but make it sexy
    What I got from Fourth Wing: „adult“ characters with the maturity level of middle schoolers and worldbuilding that makes ACOTAR look like the Silmarillion“

  2. Frage im Text:
    „Schecks Urteil über „Fourth Wing“ ist folgendes: „Wer eine gute Drachengeschichte lesen möchte, dem empfehle ich Ursula K. Le Guins Erdsee-Romane, nicht aber diese dumpf-militaristische Fantasy, deren literarische Flughöhe mit denen der Drachen im Roman bei Weitem nicht mithalten kann.“ […]Von klug begründeter Meinung habe ich hier nicht viel gesehen, ihr etwa?“
    Antwort:
    Ja.

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