Sex und Drogen? Nein: Literatur im Berghain

Was können sich elektronische Musik und Literatur sagen? Das war die Leitfrage von „elektro.lit“, einem Experiment des Tonlabels und Verlags KOOKbooks, das am Donnerstagabend im Berghain stattfand. Monika Rinck, Lucy Fricke und Jörg Albrecht lasen im vermeintlich hippsten Club Europas; Holger Zilske, Stimming und Frank Bretschneider vertonten das Ganze elektronisch.

Man kennt ja die Klischees, die das Berghain begleiten. Ein Muss für alle, die mal so richtig Berlin erleben wollen, sagt man. Schließlich legt der Kalkbrenner da auf. Und es gibt überall Sex und Drogen. Und man muss Stunden anstehen, um dann vielleicht vom Türsteher heimgeschickt zu werden, wenn ihm die Visage nicht passt. Voll hip eben, total Berlin und so. Da soll Literatur einen Platz finden? Schaun mer mal, denke ich mir als literatur- und elektroaffine Neuberlinerin. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass in Szeneclubs gelesen wird. Airen las im Berghain und Hegemann im Tresor. Also machte ich mich auf den Weg. In Jogginghose.

Angekommen, werde ich freundlich empfangen. Der Türsteher hat nichts gegen meine Jogginghose einzuwenden und winkt mich lächelnd durch. Einen Platz finde ich schnell in der kaum gefüllten Panorama Bar. Man hat Podeste mit Kissen bereitgestellt und Bierkästen für diejenigen, die keinen Platz zum Sitzen finden. Neben der Bar bleibe ich am Büchertisch hängen, der wunderschöne Bücher der Lesenden und des KOOKbook Verlags präsentiert. Das Licht ist gedämpft und fast weihnachtlich. Kaum zu glauben, dass sich hier am Wochenende die berauschtesten 72 Stunden Berlins abspielen sollen. Nur erahnen kann man es – auf der Toilette riecht es leicht nach Samenflüssigkeit. Nun gut.

Um halb Neun geht es endlich los. Monika Rinck und Frank Bretschneider machen den Anfang. Sie setzt sich an einen Tisch, auf dem das obligatorische Wasserglas steht. Er positioniert sich an den Turntabels. Kaum fünf Minuten liest sie Sätze über Fische, die Vernunft und das Schwimmen. Als sie die Bühne verlässt, bleiben aufgezeichnete Fragmente im Raum hängen. Es wiederholen sich Worte wie „halluzinieren“ und „Testosteron“, auch ein „beschissen“ hallt sanft im Raum wieder. Begleitet wird dies von Bass und Geräuschen, die einen glauben lassen, man befände sich von glucksenden Fischen umgeben in einem Aquarium. „Unnötig, dass die Autorin da war“, höre ich jemanden flüstern. Ich jedoch genieße die halluzinogene Mischung von Musik und Worten und habe Lust, mich hinzulegen und vom Assoziationstrom treiben zu lassen.

Dann liest Lucy Fricke einen einfachen Text. Es geht um zwei Menschen, die sich begegnen, verlieren und sich erst küssen, als sie zu Anderen geworden sind und ihre einzige Verbindung aus Erinnerungen besteht. Die Einladung zur Identifikation ist verführend. Vom ersten Wort an schafft Stimming aus Hamburg dazu eine dichte, melancholische Atmosphäre. Meeresrauschen und unschuldige Xylophonklänge durchdringen den Raum und ergänzen das Gesagte ganz hervorragend. Ich jedenfalls bin berauscht, berührt und ertappe mich dabei, wie ich zum Rhythmus mit den Füßen wippe.

Abschließend bemüht sich Jörg Albrecht um eine Performance. Seinen Text hat er zuvor eingesprochen. Holger Zilske spielt ihn ab, durchmixt ihn mit teils verstörenden Elektroklängen und lässt einzelne Worte aus mehreren Ecken des Raumes wiederhallen. Zur gleichen Zeit formt ein Mädchen mit den Lippen tonlos die Sätze ins Mikro. Ich warte auf den erneuten Kommentar, dass hier der Autor ja wohl überflüssig sei, aber dieses Mal bleibt er aus. Überflüssig ist der Auftritt des Mädchens jedenfalls nicht, er illustriert die Texte vielmehr. Sie handeln nämlich von einem offenbar schizophrenen Ich, das sich als Werwolf betitelt und in der von Glamour und Facebook geprägten Welt des 21. Jahrhunderts verliert. Dabei werden Worte wie „Kontrolle“ und „shame“ besonders betont. Es fallen weise Aussagen wie „um im Dunklen zu sehen, muss man erst das Licht anmachen“.

Das Licht geht dann aber erst eine halbe Stunde nach der letzten Lesung an. In den 30 Minuten davor darf man noch ein bisschen zu Holger Zilske tanzen. Alle gehen dann schön nach Hause und auch ich verlasse sehr zufrieden das Berghain. Der Abend hat sich gelohnt: Es gab sehr gute Elektromusik und ein bisschen weniger gute Texte, die zusammen aber ein besonderes Klangerlebnis schafften – und keinen Raum ließen, die bekannten Klischees zu bestätigen.

Das nächste Mal mit Sex und Drogen? Vielleicht. Aber nur, wenn ich wieder mit Jogginghose reinkomme.

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2 Kommentare zu „Sex und Drogen? Nein: Literatur im Berghain“

  1. Da bin ich aber froh, dass du diesen wunderbaren Abend schriftlich festgehalten hast. Du sprichst mir aus der Seele. Die Texte fand ich aber ebenso grandios wie die Musik; besonders beeindruckt haben mich die Texte von Lucy Fricke und Jörg Albrecht.

  2. Danke für die schöne Rezension, Katharina. Ich wäre gerne da gewesen, und durch deine Beschreibungen wurde mir die Performance und Atmosphäre der Veranstaltung (sogar auf den Klos;) ein Stückweit lebendig.

    Ach ja, und der Veranstalter was eigentlich KOOK-Label, der „Texttonlabel“, der auch irgendwie mit dem Verlag verknüpt ist. Der Label organisiert jedes Monat eine echt empfehlenswerte Lesung mit jungen deutschen und internationalen Schriftsteller in einem Kreuzberger Cafe, Kvatira, in der Lübbener Str 18. Ich dachte auch, dass dies von dem Verlag veranstaltet wird, bis mir auffiel, wie viele Autoren von anderen Verlage dabei waren, und ich habe nachgefragt.

    Diesen Donnerstag findet eine KOOKRead dort statt, mit u.a. Monika Rinck. Weitere Infos gibts unter: http://www.kook-label.de/

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