Der Hype um den Debütroman Queenie der Britin Candice Carty-Williams ist berechtigt. In komischen, tragischen und aufklärenden Teilen entsteht ein Werk, das man mehr als einmal verschlingt.
von Larissa Kahr
Jeder weiß etwas über Korkenzieherlocken. Ebenfalls kein Geheimnis – ein Bob geht bis zu den Schultern und dünne Haare brauchen besonders viel Pflege. Haarfragen, die vor allem weiße Frauen betreffen. Aber was, wenn das Haarthema zu folgenden Fragen abdriftet: Wie schützt man Twists in der Nacht? (mit einem Seidentuch) Brechen sie beim Sex ab? (Nein) Was macht man mit wirklich krausem Haar? (Andere beneiden oder im nächsten Black Hair Shop nachfragen)
Fragen, die Candice Carty-Williams in ihrem Debütroman Queenie beantwortet. Gleichzeitig zeigt sie, dass es diese Kleinigkeiten sind, bei denen Unwissenheit oder das Nicht-Wissen-Wollen anfängt
und auf denen rassistisches Verhalten basieren kann. Konkrete Beispiele dafür erlebt die Protagonistin Queenie zwischen Lebenskrise, Kindheitstrauma und Freundschaftsbeziehungen, in Form von rassistischen Äußerungen bei Dates, Freunden oder auch der Familie des weißen Partners.
Dieses Motiv, gepaart mit der Geschichte einer jungen schwarzen Frau und ihrem heutigen Leben, war vielleicht der Grund, warum Queenie schon vor Veröffentlichung Furore machte. Denn in der Literaturbranche, in der ein Neulingswerk gerne hundertmal abgelehnt wird, ging das Manuskript in einem Vierparteien-Bieterwettstreit für eine sechsstellige Summe an die britische Orion Publishing Group. Nach Veröffentlichung, dann weniger überraschend, räumte Queenie etliche Preise ab, wie den Waterstones, Foyles and Goodreads Book of 2019 und wurde ausgewählt als Blackwell’s Debut of the Year. Dann die Krönung der queenieschen Erfolgsgeschichte auf Instagram: Nutzer*innen reposten, liken und sharen, so, dass klar war: Das Buch kommt an. So viel zum objektiven Teil.
Es ist wie bei einer guten Freundin
Subjektiv betrachtet macht Williams viel richtig und ihre Protagonistin Queenie das Gegenteil. Denn die 25-jährige Angestellte einer Tageszeitung trifft auf 543 Seiten durchgehend falsche Entscheidungen, nachdem ihr weißer Freund Tom eine Beziehungspause fordert. Aufstellen eines
Rekordes für herabwürdigende Sexabenteuer? – Check. Nicht über Themen schreiben, die einen wirklich interessieren, wie Black Lives Matter? –Check. Sich vom Kindheitstrauma einholen lassen, bis man sich in Therapie begeben muss? – Check. Nur zu gut erkennt man sich als Leser*in in Queenies Manier des Auflistens und Brechens von Vorsätzen wieder, wie etwa diesem: „Der neue Vorsatz lautet: Vergiss die Männer, mit denen du vielleicht etwas Längerfristiges anfangen willst, aber Unverbindliches ist erlaubt, solange Tom nicht antwortet.“ Es ist wie bei einer guten Freundin: Hilflos schaut man Queenie dabei zu, wie sie sich ins Unglück stürzt – steht dann aber nach dem folgenden Trinkexzess bereit um ihr die Haare zu halten.
Nahe liegt bei dieser Handlung der Vergleich zum Erfolgsbuch und Film Bridget Jones. Beide Frauenfiguren suchen ihren Platz in der Welt und stürzen sich von einem Schlamassel in den nächsten. Logisch deshalb auch, dass Queenie gerne als die „Schwarze Bridget Jones“ tituliert wird.
Logisch ja, aber nicht richtig. Denn Bridget findet ihr Glück in einem Rechtsanwalt, Queenie in sich selbst. Das ist der Unterschied. Ihr Prince Charming ist, wenn man so will, eine Therapeutin. Weniger
ansehnlich, dafür lebensnäher.
Ein echter Page-Turner
Auch Queenies Verhalten ist erschreckend realistisch. Von einer Misere stolpert sie in die nächste: Demütigender Sex, der auf Haut und Seele Spuren hinterlässt, Probleme im Job, bis hin zu Panikattacken und Depressionen. Irgendwann will man nur noch die Hände vor die Augen schlagen, würde das nicht das Weiterlesen behindern. Und das will man nicht, wenn man Queenie einmal aufgeschlagen hat. Mit jeder Seite, jedem Zwischenfall entwickelt sich das Debüt zum Page-Turner. Man kann nicht aufhören.
Da freut es natürlich ungemein, dass Williams, die aktuell unermüdlich Promo macht, sehr aktiv auf ihrem Instagram-Account ist. Sie verriet, dass sie bereits an einer Fortsetzung arbeitet. Darin gehe es um die fünf Jahre ältere Queenie, die immer noch falsche Entscheidungen trifft.
Komik als Hilfe für Queenie
Aber nochmal zurück zur jüngeren, aktuellen Queenie. Ein weiteres, entscheidendes Element, das den Roman so einmalig macht, ist seine Komik. Eng verwoben mit der Tragik brechen sarkastische Kommentare, witzige Figuren oder ungewollt komische Vorfälle – auflockern wäre untertrieben – das eben Geschehene auf. Als etwa Queenie ihren Freundinnen schreibt, sie hätte gerade auf der Bürotoilette Sex gehabt. Darcy antwortet: „Verdammte Scheiße Queenie. Weil wir dir keine Memes
geschickt haben?“. Besagte Chatverläufe sind ein wiederkehrendes Mittel, das sich auch visuell vom sonstigen Text durch das typische Chatverlauf-Layout abhebt. Ebenfalls witzig und wiederkehrend: Darcys Unwissen im Bereich Urban Language. Airt etwa bedeutet: „Ignorieren. Wenn du jemanden Luft gibst, gibst du ihm gar nichts. Verstanden?“ erklärt Kayazike, Queenies einzige Schwarze Freundin.
Und damit wären wir auch schon bei der Figur, die zum Großteil für die komischen Elemente verantwortlich ist. In einem Roman, der einen Überhang an starken Frauenfiguren hat, könnte es schnell plakativ und funktionell wirken, wenn da diese eine Freundin ist, deren scheinbar einzige Funktion es ist düstere Passagen mit Witz aufzulockern. Williams schafft es aber, genau auf jenem schmalen Grad zu balancieren und so kommen die Passagen mit Freundin Kayazike weniger als offensichtliche Auflockerung für die Leserschaft daher, sondern sind Lichtmomente für Queenie, die ihr neue Kraft schenken. Komik als Hilfe für Queenie und nicht nur für den Roman. Das tut gut.
Findet auch Williams. Denn Queenie ist in erster Linie ein Roman, der sich um das Schwarz-sein dreht. Doch ausdrücklich möchte die Autorin nicht, dass dadurch alle anderen Themen des Romans aus dem Blickfeld rücken. „Natürlich ist das wichtig, Queenies Identität fußt auf dieser Erfahrung. Aber oft kann ich über nichts anderes reden, nicht über die lustigen Parts oder den Sex oder die Familie“, sagt die Autorin in einem Interview mit dem Missy Magazine. Wer diese Aussage in einer Buchrezeption berücksichtigen will, muss eines beachten: Williams ist Schwarz. Der größte Teil des Literaturbetriebs (eingeschlossen die Autorin dieser Rezension) ist es nicht. Was Williams eindrucksvoll in ihrem Roman schafft, ist der Spagat zwischen Aufklärung über Rassismus und Komik. Rezipiert man dieses eh schon heikle Manöver, schwingt bei einer weißen Autorin in jeder Zeile eine Unsicherheit mit und die Angst etwas falsch zu machen. Denn gerade nach der Lektüre ist man reflektierter darüber, was gut gemeint und dennoch verletzend sein kann. Passend erklärt es Queenie ihrer Freundin Darcy: „Aber ich wünschte mir gleichzeitig, dass die wohlmeinenden weißen Linken mal nachdachten, bevor sie Dinge sagten, die sie für vollkommen harmlos hielten.“ So hinterlässt der Roman Queenie nach Beendigung der Lektüre neben dem Gefühl eine Freundin verloren zu haben, viel Komik, Einblicke in ein fremdes Seelenleben, ein Gefühl ertappt worden zu sein ohne zu kränken und einen neuen Blick auf Haare.
Candice Carty-Williams: Queenie, Blumenbar 2020.
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