Grenzgänger: Das journalistische E-Book

Seit Jahrhunderten tobt der Kampf zwischen Journalismus und Literatur: Fakten versus Fiktion. Doch wo genau sind die Grenzen zu definieren? Wie objektiv muss ein journalistischer Text sein und wie subjektiv darf er sein? Sind kleinere Ausflüge in den Bereich der Fiktion erlaubt oder beginnt hier das Gebiet, das die Literatur als ihr Revier markiert hat? Eine Bestandsaufnahme der ewigen Zankerei zwischen journalistischer Literatur und literarischem Journalismus: das Projekt „links.rechts.hier. – Wenn Gefühl entscheidet“ vom Team 9 der Axel-Springer-Akademie.

Lange Zeit waren Autoren gleichzeitig auch Journalisten und die Grenzen zwischen den  Disziplinen fließend – die journalistischen Texte von Heinrich Heine beispielsweise sind heute Teil unseres literarischen Kanons. Doch mit der Zeit hat auch in diesem Bereich die berufliche Spezialisierung ihr Tribut gefordert. Und wo es heute kaum noch personelle Überschneidungen gibt, wird auch auf der Textebene der Grenzverlauf streng bewacht. Dabei gestaltet sich oft gerade die Grauzone zwischen Fakten und Fiktion besonders spannend.

Wie viel Verunsicherung ist erlaubt?

Grundlegend wird literarischem Schreiben der Bezug auf eine fiktive Welt zugeordnet – die Beschränkung auf das Fiktionale wurde jedoch mit den ersten Versuchen realistischen Schreibens entkräftet. Literatur darf also real und fiktiv sein.

Auf journalistischer Seite dagegen wird der Anspruch, im Bezug zur realen Welt zu stehen, aufrecht erhalten. In der Theorie werden Nachrichten- und Meinungsjournalismus streng voneinander getrennt. Doch gerade letzterer hat mit stark subjektiven Textarten wie der Reportage durchaus Probleme verifizierbar zu bleiben. Inwiefern sind Gefühle, Meinungen und Erfahrungen belegbar? Es ist kaum möglich, Erlebtes eins zu eins wiederzugeben. Die menschliche Erinnerung ist als Quelle unzuverlässig und subjektiv in ihrer Wahrnehmung. Auch Auswahl und Kombination, die vom Autor vorgenommen werden, schaffen etwas Neues. Die schriftliche Darstellung bleibt letztendlich immer Medium und Artefakt. Inwieweit ist der Journalist hier also überhaupt in der Lage, sich Fakten zu verpflichten? Wäre es vielleicht sinnvoll, diese Erwartungen, die von vornherein dazu verurteilt sind, enttäuscht zu werden, auf ein realistisches Maß herunterzuschrauben? Ohne dabei Verleumdungskampagnen oder schlechter Recherche Zugeständnisse zu machen, könnte man  in diesem Sinne den Meinungsjournalismus als den Versuch definieren, möglichst nah an den Fakten zu sein.

 

Sind sich Autor und Text immer einig?

Während in der Literaturwissenschaft seit jeher die akribische Differenzierung zwischen Erzähler-Ich und Autor-Ich praktiziert wird, scheint die Stimme im journalistischen Text direkt der Kehle des Verfassers zu entspringen (und das, obwohl ein Journalist in politisch unruhigen Zeiten nicht den Fluchtweg in Phantasiewelten antreten kann). Eine aktuelle Tendenz macht sich diese Gleichsetzung zu Nutzen und spielt mit einer starken Präsenz des Journalisten-Autors. Besonders in der Blogger-Szene ist der subjektive Schreibstil stark vertreten. Personales Erzählen wird jedoch immer mehr auch im Journalismus für ein stärkeres Einbeziehen des Lesers eingesetzt.

Das journalistische Projekt „links.rechts.hier.“

Auch das Projekt „links.rechts.hier. – Wenn Gefühl entscheidet“ vom Team 9 der Axel Springer Akademie bindet die Geschichten, die es erzählt, eng an seine Autoren. Ganz bewusst stellt es eine Collage von 18 E-Books verschiedener Autoren dar: 18 Blickwinkel, 18 Schreibstile, 18 Meinungen.

„links.rechts.hier.“ startet den Versuch eine Generation zu beschreiben, die nicht zu beschreiben ist. Über fehlende gemeinsame Ideale, Ziele und Charakteristika wird hier erfrischenderweise mal nicht geklagt, als verbindendes Glied wurde das zuerst allgemein wirkende Thema „Wenn Gefühl entscheidet“ gewählt. Doch es funktioniert gut. Ein Großteil der Texte hat mich, als Teil dieser Generation, angesprochen – es werden  Themen, Fragen und Lebensentwürfe vorgestellt, mit denen ich mich identifiziere. Obwohl die Geschichten von „Unsterblich Im Netz“ (Was passiert mit den Facebook-Profilen Verstorberner?), über „Zuhausegefühl. Auf der Suche nach Heimat“ bis hin zu „Glaub doch, wie du willst! Erkundungen religiöser Lebenswelten“ sehr vielfältig sind, erfüllt jedes einzelne Buch seine Aufgabe als Puzzleteil zum Gesamtbild –  einer Generation.

Ein Paradebeispiel der Grauzone

Viele der Texte sind nicht klar als journalistisch einzuordnen, sie spielen mit literarischen Stilmitteln und verschiedenen Subjektivierungsgraden. Während beispielsweise die Interview-Collage „Fußballfans oder Verbrecher? Unter Hooligans und Ultras“ von David Riedel gerade durch das Zurücktreten des Autors einen ernstzunehmenden Beitrag zur Gewaltproblematik in Fußballstadien schafft, gehen andere Texte ins gegenteilige Extrem und spielen mit der starken Präsenz des Autors.

Besonders der Text „Teilzeitork. Ein Wochenende als Rollenspieler“ von Martin Gardt, der als Reportage auf Basis eines Selbstversuchs zu bezeichnen ist, lebt von seinem stark subjektiven Charakter. Interessant ist hier weniger die beschriebene Parallelwelt als vielmehr der neugierige bis zynische Blick des Autoren auf die ihm fremde Umgebung.

Einen ungewöhnlichen Schritt geht auch Jörn Meyn – sein Buch „Bauchgefühl. Sieben wahre Geschichten“ erzählt aus der Perspektive des jeweils Betroffenen. Erlebte Rede? Innerer Monolog? Auf jeden Fall entfernt er sich damit weit von gängigen journalistischen Mitteln. Hin zur Literatur. Und sicherlich auch in die richtige Richtung, dem Leser diese sehr persönlichen Geschichten zu erzählen.

Es ist  bezeichnend, dass dieses hybride Projekt das Werk junger angehender Journalisten ist. Und wenn man die 18 E-Books gelesen hat, bleibt nicht nur das Gefühl, vielleicht doch Teil einer Generation zu sein, sondern auch die Hoffnung, dass die Grauzone zwischen Journalismus und Literatur in Zukunft vielleicht etwas Farbe annimmt.

 

Individuelle Buchtrailer, Informationen zu E-Books und Gesamtedition sowie die  Downloads für 0,99 € pro Buch findet ihr hier: http://www.linksrechtshier.de

 

2 Kommentare zu „Grenzgänger: Das journalistische E-Book“

  1. Der Ansatz gefällt mir. Ich beobachte ihn übrigens auch ganz stark bei jungen Filmemachern, die immer mehr dem künstlerischen (und damit natürlich auch subjektiven) Dokumentarfilm zuneigen. Mein Bedürfnis, mir zu einem Thema selbst eine Meinung zu bilden, stört das keineswegs -- im Gegenteil. Seien wir mal ehrlich, in der objektivsten Berichterstattung wird durch Auswahl der Fakten, detailliertere Information hier, weniger ausführliche dort… Meinung manipuliert, und zwar auf eine Weise, die das kritische Bewusstsein viel eher unterläuft. Mir ist es lieber, ich kenne den Standpunkt desjeniger, der mir etwas erzählt.

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