Abbas Khider schafft mit seinem neuesten Roman ein literarisches Bildungswerk. Anhand des Jungen Shams zeichnet er ein Bild eines klugen Kopfes in einem Land beherrscht von Saddam Hussein, das voller Hinterhalte steckt.
von Carolin Nowratzky
Saddam Hussein regiert das Land. Das Wirtschaftsembargo gegen den Irak ist in Kraft. Hier lebt Shams Hussein mit seinen Eltern und seiner Schwester im Süden des Landes. Als die Lebenssituation dort immer schwieriger wird, siedelt die Familie nach Bagdad um. Dort bauen sie sich, wie viele andere, in den Müllbergen rund um die Großstadt eine Unterkunft aus allem, was sie finden können. Die Familie lässt sich von den widrigen Umständen nicht unterkriegen. Shams und seine Schwester besuchen weiter die Schule und halten an ihren Träumen einer besseren Zukunft fest.
Für Shams Vater ist nur eine Sache besonders wichtig: Er soll seinen Schulabschluss machen und dadurch dem Militär entgehen. Shams schlägt sich durchs Leben. Er arbeitet als Plastiktütenverkäufer, Lastenträger und auf dem Bau. Außerdem lernt er den Fotografen und Buchverkäufer Hisham kennen und trifft sich fortan regelmäßig mit ihm und weiteren Bekannten. Sie sprechen über Literatur, Gesellschaft und Politik. Ein gefährliches Unterfangen in einer Zeit, wo sich überall Spitzel aufhalten könnten und jedes Wort gefährlich werden kann.
Eines Tages entschließt sich Hisham das Land zu verlassen und bietet Shams seinen Platz auf dem Buchmarkt an. Nach einiger Zeit muss Shams feststellen, dass er nicht genug Geld mit den wenig erlaubten Büchern verdient. Daraufhin willigt Shams in ein Geschäft mit einem seiner ehemaligen Schulkameraden ein, dessen Tragweite er sich nicht bewusst ist.
Eine Stimme seiner Generation
Abbas Khider wurde Anfang der 70er in Bagdad geboren. Mit 19 Jahren wurde er, aufgrund seiner politischen Aktivitäten gegen Saddam Husseins Regime, das erste Mal festgenommen. 1996 wurde er entlassen und lebte bis zum Jahr 2000 auf der Flucht, die ihn letztendlich nach Deutschland führte. Er machte sein deutsches Abitur in Potsdam und studierte anschließend Literatur und Philosophie.
Er gibt seiner Generation eine Stimme. Die Generation, die in genau diesem Irak aufgewachsen ist. Ob Palast der Miserablen nun teilweise autobiografisch ist oder nicht, das kann nur Abbas Khider selbst beantworten. Dass er und Shams Hussein zumindest die Jugend im Irak und die Leidenschaft für Literatur vereint, ist gewiss.
Khiders Schreibstil liest sich gut. Er ist einfach und besticht durch die Kürze, in der mehr gesagt wird als man anfangs vermuten mag. So einiges steht ungeschrieben zwischen den Zeilen.Was man als Leser*in vor allem dann bemerkt, wenn man sich im Anschluss an das Buch ein wenig Kontextwissen aneignet. So kann es mitunter passieren, dass sich das ganze Potential des Buches erst im Nachhinein zeigt. Dann wird Palast der Miserablen zu einem unvergesslichen Leseerlebnis.
Abbas Khider: Der Palast der Miserablen; Hanser Verlag.
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