Finn-Ole Heinrich, der 2007 mit seinem Debütroman „Räuberhände“ auf sich aufmerksam machte, ist nicht nur Autor, sondern auch Filmemacher. Als er vor zwei Jahren drei kurze Filmsequenzen zu seinem Roman auf Youtube stellte, war der Hype um Buchtrailer gerade erst am entstehen. Litaffin sprach mit dem 27-Jährigen übers Bücherschreiben und Filmemachen, über perfekte Eltern und Putzfrauen im Schneideraum.
Litaffin: Finn, reizt dich als Filmemacher das Medium Buchtrailer?
Finn-Ole Heinrich: Ich will nicht hauptberuflich Werbefilme für Bücher drehen, aber für meinen eigenen Roman wollte ich das ausprobieren.
Litaffin: Warum findet man im Netz gleich drei Trailer mit unterschiedlichen Textpassagen aus „Räuberhände“?
Heinrich: Ich fand es schwierig, nur eine kleine Stelle stellvertretend aus dem Buch herauszunehmen. Mit drei Stellen hatte ich ein bisschen mehr Bandbreite. Ich wollte mich aber nicht zu sehr in die Bilderwelt des Lesenden einmischen, deshalb habe ich versucht möglichst wenig direkte Bilder zu benutzen, sondern eher so eine Art Stimmung zu kreieren.
Litaffin: Waren die Trailer in erster Linie Spielerei oder versprichst du dir davon tatsächlich einen Werbeeffekt?
Heinrich: In einer Minute kann man viel über die Atmosphäre eines Buches erzählen und wenn die stimmig ist, hat das vielleicht schon einen Effekt. Ich glaube nicht, dass jemand sich sofort die Schuhe anzieht und in die Buchhandlung rennt, nur weil er einen Trailer gesehen hat. Aber vielleicht hinterlässt es ja schon etwas. Genau so, wenn jemand das Buch schon einmal in der Hand gehabt hat, es angefasst und den Klappentext gelesen hat. Vielleicht liest man eine Woche später eine Rezension, geht auf eine Lesung und kauft dann schließlich das Buch.
Litaffin: Gerade für einen kleinen Verlag, der keine Möglichkeit hat Werbeanzeigen zu finanzieren, sind Buchtrailer sicherlich eine Möglichkeit, um auf sich aufmerksam zu machen.
Heinrich: Ein Buchtrailer ist umsonst, er lässt sich leicht verschicken, man kann ihn schnell weit streuen. Die Jungs von mairisch fanden die Idee von Anfang an cool. Das ist ja eigentlich eine Situation, die sich jeder Verlag wünscht, normalerweise wäre es deren Aufgabe, das zu machen. Bei mairisch ist das eh super, wir sind gut befreundet und die lassen mich machen. Das Cover von „Gestern war auch schon ein Tag“ stammt auch von mir und meinem Freund und Kameramann Dylan Thompson. Das ist eigentlich nicht Usus in der Branche.
Litaffin: Sind Schreiben und Filmemachen widersprüchliche Tätigkeiten oder fließt bei dir beides ineinander?
Heinrich: Ich habe angefangen Filme zu machen, weil ich manche Geschichten auf dem Papier nicht losgeworden bin, weil die sich nur in Bildern erzählen ließen. Ich merke aber andererseits, dass ich beim Schreiben sehr filmisch arbeite. Ich stelle mir viele Szenen als Film vor und schreibe sie dann ab. „Räuberhände“ ist so entstanden: Ich habe die einzelnen Stränge wie Rohmaterial gedreht und dann am Schneidetisch montiert.
Litaffin: Die Protagonisten deines Romans sind zwei Freunde, Janik und Samuel, und könnten unterschiedlicher nicht sein: Samuels Mutter ist Alkoholikerin und verbringt ihre Tage mit Pennern vor dem Supermarkt. Janik kommt aus einem gutbürgerlichen Haus, seine Eltern sind furchtbar perfekt und haben für alles Verständnis. Ist das ein Thema, das in deinem Leben eine Rolle spielt?
Heinrich: Meine Mutter liest diese Passagen als Kritik an sich. Aber damit habe ich nichts am Hut. Ich finde es schön, dass sie das so liest, denn dann reibt sie sich an etwas, das soll Literatur im besten Fall auch bewirken. Aber das Thema hat sich eher aus den Figuren von Samuel und Janik ergeben. Mich haben die Gegensätze interessiert: Da ist die eine Figur, die hat mit Alkoholismus und Obdachlosigkeit zu kämpfen. Die andere, bei der ist eigentlich alles perfekt, und trotzdem ergeben sich daraus Spannungen. Man kennt ja auch solche Familien, die gibt es wirklich. Ich kann mir einfach vorstellen, dass man da das Kotzen bekommt. So wie Janik das formuliert: Er würde im Grunde alles genau so machen wie seine Eltern. Da ist einfach so eine beschissene Gummiwand, die alles versteht und alles aufnimmt. Du kannst nicht rebellieren, weil sie sogar für die Rebellion Verständnis haben.
Litaffin: Janik und Samuel haben gerade ihr Abitur in der Tasche und brechen auf ins Ungewisse: Sie fliegen gemeinsam nach Istanbul. Du warst selbst zur Recherche in der Türkei. Wie kam das?
Heinrich: Als irgendwann klar war, dass die Geschichte zum Großteil in Istanbul spielt, meinte Daniel, mein Verleger: „Coole Idee, warst du schon mal da?“ Ich :„Nee.“ Er: „Okay, ich buche einen Flug.“ Und dann sind wir zusammen hingeflogen.
Litaffin: Und ihr seid wie die beiden Protagonisten durch die Straßen Istanbuls gestreift, über Plätze und Märkte, durch Gassen und Viertel?
Heinrich: Sind wir tatsächlich. Das war echt geil. Wir sind oft stumm die Straßen lang gelaufen, stundenlang, manchmal sind wir an einer Ecke stehen geblieben, haben uns angekuckt und gesagt: Ich glaube, Samuel würde jetzt das und das denken. Ich habe die beiden in dieser Zeit tatsächlich kennen gelernt. Ich bin auch krank geworden in Istanbul, genau wie Samuel. Ich dachte schon so: Das ist jetzt aber ein bisschen viel Identifikation.
Litaffin: Wer sind deine besten Kritiker?
Heinrich: Der allerwichtigste ist Jan Oberländer, mein Co-Autor und Lektor. Wir haben so eine Schutzhaube, ich kann ihm alles zeigen, er kann alles sagen und wenn wir damit fertig sind, geht das nach draußen. Dann sind da noch Peter und Daniel, meine Verleger. Meine Mutter liest viel, eigentlich jede Geschichte. Sie hat einen ganz anderen Blick darauf als die Literaturfachleute, sie ist thematisch sehr genau. Auch sehr wichtig sind Lesungen, als Resonanzkörper.
Litaffin: Wenn Zuhörer nach der Lesung auf dich zukommen?
Heinrich: Nein anders. Es gibt beim Film ein Prinzip, das nennt sich „silent buddy“ oder so ähnlich. Wenn du stundenlang im Schneideraum sitzt und das Gefühl dafür verlierst, was du da tust, dann fragst du irgend jemanden – die Putzfrau, die gerade den Flur sauber macht, ob sie sich kurz zu dir setzt. Die braucht nichts dazu zu sagen, aber du bekommst plötzlich ein Gefühl für die Stellen, die noch nicht funktionieren. Das ist bei Lesungen genauso: Wenn ich einen neuen Text vor Publikum lese, merke ich, welcher Satz funktioniert und welcher nicht. Ich fange dann an über bestimmte Sätze hinwegzuhuschen, weil sie mir noch unangenehm sind, weil die Stellen noch nicht so gut ausgearbeitet sind. Und dann gibt es auch Stellen, bei denen ich merke, dass es mir Spaß macht, genau diese Sätze in den Raum zu stellen. Dann stimmt alles.
Das Interview führte Franziska Schramm
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