Blogrundschau#3: Social Reading it is!

Vor ziemlich genau einem Jahr hat litaffin mit der ersten Blogrundschau einen Blick in die Zukunft gewagt. Damals haben wir das Netz durchstreift und versucht herauszufiltern, welche Trends die Buchbranche 2011 beschäftigen würden – heute werfen wir einen Blick zurück und prüfen, was sich tatsächlich getan hat: Welche Themen haben sich nur als kurzlebige Trends erwiesen, was hat das Jahr wirklich geprägt und wird auch in Zukunft noch Thema sein?

 

Von Sarah Ehrhardt und Lisa Heyse.

1. Social Reading

Über die genuin soziale Komponente des Lesens und die daraus resultierenden Möglichkeiten, die sich der Branche bieten, berichtete Booksquare-Bloggerin Kassia Krozser schon 2010 in einem sehr lesenswerten Artikel. Laut Krozser bestehe die Herausforderung darin, den Austausch so zu organisieren, dass er keinen Mehraufwand für die Leserschaft bedeute.
Ist das gelungen? Online-Plattformen zum Austausch über das Gelesene gibt es schon eine ganze Weile, fest steht aber: Das Potenzial, welches Social Reading offenbar in sich trägt, wurde erkannt und im letzten Jahr verstärkt genutzt.

In einem Video, das buchreport.de bei der TOC 2011 in Frankfurt produziert hat, gibt Bob Stein (US-Think-Tank des Institute for Future of the Book) optimistische Antworten und Einblicke in die grundsätzlichen Fragen zum Thema „Social Reading“. Ein schöner und inspirierender (Wieder)einstieg in das Thema.
http://www.youtube.com/watch?v=HISVD41OXiY&feature=player_embedded

Unter den online-Plattformen und Social-Reading-Diensten ist uns die kürzlich online gegangene und laut beworbene Readmill am präsentesten. Readmill ist ein Berliner Start-Up, das es seinen Usern ermöglicht, sich in einem Netwerk von Lesenden zu bewegen. Die Besonderheit dabei: Die Mitglieder charakterisieren sich nicht durch Selbstaussagen, sondern durch ihr tatsächliches Leseverhalten. Anknüpfungspunkte zu den traditionellen sozialen Netzwerken findet man dennoch, denn markierte Stellen, Kommentare und Lesetipps zu den (e)Books lassen sich leicht auf Facebook oder Twitter posten. Einen gelungenen Überblick über den Dienst gibt das Blog netzwertig.de, persönlichere Eindrücke vom Unternehmen konnte litaffin im Dezember bei einem Gespräch mit dem Mitbegründer Henrik Berggren sammeln.

Auch schon bestehende Literatur-Communities wie LovelyBooks entwickeln Wege, die Möglichkeiten des Social Readings für Mitglieder zu erweitern. Das Netzwerk entwickelte 2011 ein Widget, das es seinen Usern erlaubt, ihren personalisierten Social-Reading-Stream auch in externe Webseiten einzubinden. Wie netzwertig.de berichtete, besteht auch für Verlage die Chance, auf Autoren oder Titel gefilterte Streams in ihre eBooks zu integrieren. So können die Leser – falls gewünscht – sich schon während der Lektüre mit Anderen über den Text austauschen. Einzige Voraussetzung: ein Lesegerät mit Internetzugang.

Soziales Lesen findet auch außerhalb des Netzes statt. Das klingt erstmal nicht neu und doch weckt die derzeitge Vielzahl von Buchclubs in unterschiedlichsten Varianten das Interesse von Bloggern und Feuilleton-Redakteuren. Das alte Format gewinnt neue Popularität: Der Tagesspiegel besuchte im November einen lockeren, eher klassischen Lesekreis im Prenzlauer Berg; die Nürnberger Zeitung begleitete eine Erlanger Buchhändlerin auf eine Buch-Tupperparty – mit einer Auswahl ihrer Bücher fährt die Buchhändlerin zu den Leserinnen(!) nach Hause, legt Gastgeberin und Freundinnen ihre Lieblingsromane ans Herz und verzeichnet am Ende des Abends zumeist einen ordentlichen Verkaufserfolg – so entstehen ganz neue Leser-Käufer-Kreise. Mehr davon!

Das fordert auch Leander Wattig, bei dem wir auf das Thema und die Artikel gestoßen sind. Er fokussiert diese Formen des gemeinsamen Beschäftigens mit Büchern im Hinblick auf die Marketingchancen, die sich für Verlage und Buchhandel daraus ergeben. Bemerkenswert, dass es mal wieder der englischsprachige Buchmarkt ist, bei dem sich der hiesige Buchhandel eine Scheibe abschneiden könnte.

Auch wenn Social Reading sich 2011 zum dominanten Thema im literarisch interessierten Netz gemausert hat, sollen die Entwicklungen, die das Jahr für die Diskussion um Social Media und Verlage sowie das eBook und verschiedene eBook-Reader in Deutschland gebracht hat, nicht unbedacht bleiben.

2. Social Media und Verlage

Die Diskussion um Sinn und Unsinn der Social-Media-Nutzung für Buchverlage hat sich nur bedingt vom Fleck bewegt. Immer noch stellt sich die Frage, inwiefern die Bespielung solcher Kanäle für Unternehmen mit so schwach ausgeprägtem Branding, wie es bei den meisten Verlagen der Fall ist, lohnt. Immerhin ist sie inzwischen aber als Chance erkannt  und zum Standard geworden. Kaum ein Verlag ist nicht auf facebook oder twitter aktiv – gegenüber google+ hingegen nehmen die meisten Häuser (trotz der auch dort seit Kurzem existierenden Unternehmensseiten) noch eine eher abwartende Haltung ein. Aus gutem Grund? Die Verlage der Zukunft kritisieren Kinderkrankheiten und begrenzten Handlungsspielraum.

Dass die meisten Verlage aber auch Spaß am Umgang mit Social Media haben und diese für sich zu nutzen wissen, zeigen zahlreiche Aktionen, die das Web 2.0 im letzen Jahr prägten. So wurde 2011 zum ersten Mal der Virenschleuderpreis von Leander Wattig und Carsten Raimann vergeben – ausgezeichnet werden (auch 2012) die erfolgreichsten Maßnahmen und Strategien im Bereich Social-Media-Marketing. Beobachten sollte man dieses Jahr außerdem die Suhrkamp-Aktion „Hermann Hesse antwortet“ (März 2012) sowie den (längst überfälligen?) Zusammenschluss einiger Indie-Verlage auf facebook.

3. eBooks und Reader in Deutschland

Und wie sah es mit dem vorhergesagten Eintritt des eBook-Booms auf dem deutschen Markt aus? Analysen zeigen wenig Überraschendes: Die Verbreitung und Nutzung von eBooks ist auch in Deutschland im vergangenen Jahr angestiegen, liegt aber weiterhin nur bei wenigen Prozent. In vielerlei Hinsicht herrscht weiter Unsicherheit. Orientierung zu verschaffen – das hat sich Johnny Häusler von Spreeblick mit seinem eBook-Experiment vorgenommen. Für 0,99 € hat er überarbeitete Blogbeiträge unter dem Titel „I live by the river“ über Amazon, den iTunes Store und weitere Plattformen angeboten und stets aktuelle Verkaufszahlen und Verkaufschartsplatzierungen gebloggt. 3.224 Mal hat sich das eBook in weniger als einem Monat verkauft. Ein Ergebnis, das der Branche Vergleichswerte offenlegt und zeigt: eBooks zu App-Preisen funktionieren. Wir sind gespannt, ob eine solche Erkenntnis für die Entwicklung neuer Formate produktiv genutzt werden wird.

Häuslers Experiment legt auch ein Thema offen, das bei der Frage nach den verschiedenen eBook-Plattformen immer wieder ein Problem darstellt: Die Kompatiblität der Formate mit den verschiedenen Shops und Readern. Die vorreitenden Umsetzungen interaktiver Buchcover, enhanced Extras usw. sind mitunter auf dem eigenen Gerät nicht zu genießen. Ärgerlich ist das für alle Parteien und deshalb wird in diesem Bereich im kommenden Jahr sicher fleißig gearbeitet und sich einiges tun.
In diesem Jahr an-, aber noch nicht ausdiskutiert wurde außerdem die Frage, wie Verlage von eBooks (oder vielleicht auch von eigenen eBook-Readern?) wirtschaftlich profitieren können. In dieser Hinsicht zeigen sich Branchenkenner skeptisch, wenn es um den eBook-Verleih über den Kindle bzw. Amazon geht.

Wir beginnen das „neue“ Jahr voller Spannung auf die weiteren Entwicklungen und mit lauter guten Vorsätzen (ab jetzt wieder regelmäßig Blogrundschauen – wenn auch in unterschiedlichen Formen. Versprochen!)

Grafik oben © Gerd Altmann/graphicxtras / PIXELIO, www.pixelio.de

Cover „Hermann Hesse antwortet … auf Facebook“ © Suhrkamp Verlag

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