British Council Literature Seminar

Literatur im Kontext von Geschlecht und Sexualität

Das British Council Literature Seminar fördert in Deutschland seit mehr als 30 Jahren die Bekanntheit neuerer britischer Literatur. Dieses wie letztes Jahr wurde Bernardine Evaristo, Autorin und Professorin für Creative Writing an der Brunel University London, mit der Leitung des Literaturseminars beehrt. Durch Evaristo, die sich als Aktivistin besonders für die Förderung von People of Colour im Literaturbetrieb einsetzt, lag der thematische Schwerpunkt auf Diversity: 2017 stand Ethnizität im Fokus, während es dieses Jahr primär um Geschlecht und Sexualität ging. So waren vom 25. bis 27. Januar 2018 unter dem Titel „Writing Gender: Sexuality, Feminism and Masculinity“ sieben britische Autor*innen verschiedenster sozialer, geschlechtlicher, sexueller, ethnischer und religiöser Hintergründe in Berlin zu Gast und führten einen wichtigen Dialog um Erfahrungen der Marginalisierung im Kontext der Literatur.

British Council Literature Seminar
British Council Literature Seminar 2018 © Angie Martiens

British Council in Nowkoelln?! Mit dem Hermannkiez zu mehr Diversity

In Berlin-Neukölln, zwischen Hermannplatz und Boddinstraße, in Nachbarschaft zur Hasenheide, liegt die Werkstatt der Kulturen. Mit Programmen wie dem Sprachcafé, der Arab Song Jam oder der Black Music Renaissance ist das Kulturzentrum für den Bezirk ein wichtiger Ort zur Zusammenführung von globalen und kiezspezifischen Anliegen. Am vergangenen Wochenende beherbergte es nun zum zweiten Mal in Folge das Literaturseminar des British Council. „Diesen Ort haben wir bewusst gewählt, da es uns gerade mit den Diversity thematisierenden Seminaren ein Anliegen war, ein vielfältiges Publikum zu erreichen. Die Werkstatt der Kulturen besitzt in dieser Hinsicht eine deutlich niedrigere Hemmschwelle als andere Orte“ so Elke Ritt, als Kulturreferentin des British Council verantwortlich für das Seminar. Tagsüber, wo der Besuch einer vorherigen Anmeldung und eines recht hohen Eintrittspreises bedurfte, variierte das Publikum zwar in seiner Altersspanne, doch waren es vorrangig Akademiker*innen, durchmischt mit wenigen Autor*innen, Übersetzer*innen und einigen Vertreter*innen von Institutionen sowie Verlage, die sich hier zusammenfanden. Erst am Abend schien der Plan aufzugehen, als sich an der Abendkasse ein junges und bunteres Berliner Publikum einfand, das den Lesungen ebenfalls lauschen, mitdiskutieren und bei der Abschlussparty zu Beats und Lyrics von BBXO alias Musa Okwonga und Krisz Kreuzer Spaß haben wollte.

Die Autor*innen: Variationen von Identität und Literatur

Die eingeladenen Autor*innen, allesamt preisgekrönt, repräsentierten nicht nur verschiedenste Identitäten, sondern auch diverse Genres. Die gebürtige Londonerin Bernardine Evaristo widmet ihre Romane vor allem der Schwarzen Diaspora. Die Romane der Schottin Kerry Hudson stehen vor dem Hintergrund ihres queeren Begehrens und ihrer Herkunft aus der working class in den Sozialbausiedlungen Aberdeens. Juno Dawson, die sich als queere Trans-Frau identifiziert, schreibt in direktem, witzig-geistreichen Stil Jugend- sowie Sachliteratur gegen die Rigidität der heteronormativen Geschlechterordnung. Nick Makoha setzt sich in Lyrik, Prosa und Performances sowohl mit Bildern von Männlichkeit sowie Vaterschaft als auch mit der Geschichte seines Heimatlandes Uganda auseinander – und leistet tolle, in Spoken Word wurzelnde Leseperformances. Monique Roffey untersucht in ihrer Prosa insbesondere die weibliche Sexualität auf Basis persönlicher Erfahrungen mit Tantra und sexuellen Selbsterkundungskursen. Das Heranwachsen als schwuler Mann im katholischen Nordirland verarbeitete Paul McVeigh in seinem bisher einzigen, vielfach ausgezeichneten und nominierten Roman The Good Son. Die britisch-ägyptische Sabrina Mahfouz, die ausschließlich weibliche Charaktere produziert, wendet sich in Lyrik sowie Dreh- und Regiebüchern Sexarbeiterinnen zu. Mahfouz gibt in ihren äußerst rasanten aber dennoch sauberen Lesungen ihren in der Sexarbeit tätigen Charakteren nicht nur eine Stimme, sondern – dank ihrer weiteren Tätigkeit als Schauspielerin – faszinierend selbstbewusste und starke Stimmen, die kein Abdrängen in die Opferrolle zulassen.

 

Literatur und Sexualität und Identität: 1. Versuch

In Lesungen, Workshops und Podiumsdiskussionen setzten Gäste und Publikum sich sowohl mit den Werken der Autor*innen als auch mit Fragen nach Geschlecht und Sexualität im Literaturbetrieb auseinander. Welche Rolle spielen Feminismus, sexuelle und geschlechtliche Identitäten sowie Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen im Entstehungsprozess ihrer Literatur? Wie schreiben sie über Sex und Sexualität? Welche Macht kann hier wiederum der Literatur zugesprochen werden? Wo steht der Literaturbetrieb in diesen Angelegenheiten?

British Council Literature Seminar
v.l.n.r.: Juno Dawson, Kerry Hudson, Kirsty Lang (Moderation), Bernardine Evaristo, Nick Makoha (Fotograf: Thiago Vargas ©BritishCouncil)

In der Auseinandersetzung um diese Fragen schweifte man immer wieder vom Hauptgegenstand, der Literatur, ab. Scheinbar zu persönlich aufgeladen, auch zu aktuell und dringlich sind Debatten um die Geschlechterordnung, als dass man sich nur auf ihr Verhältnis zur Literatur reduzieren möchte. Und so werden erst einmal Grundsatzdebatten geführt: Führt der ‚allzu radikale‘ Kampf gegen Geschlechterunterscheidungen nicht am Ende gar zu einer Schwächung marginalisierter Gruppen? Diese Debatten, die manche bereits für ausreichend ausgefochten hielten, sind es eben nicht für alle und so sei es denn auch verziehen, dass Facebooks 70 verschiedene Möglichkeiten der geschlechtlichen Kategorisierung und das Problem binärer Toiletten und Umkleiden zunächst die scheinbar wichtigeren Diskussionsgegenstände bildeten. Bernardine Evaristo möchte sich eigentlich nicht in einer genderneutralen Umkleide umziehen – so viel konnte geklärt werden.

 

Literatur und Sexualität und Identität: 2. Versuch

Als die Diskussionen dann tatsächlich auf Literatur zu sprechen kamen, wurde es interessant. Literatur bietet nicht nur die Möglichkeit, das Unausgesprochene zu sagen und dem Ungehörten eine Stimme zu geben – wie es alle der eingeladenen Autor*innen in ihren Werken verwirklichen – sondern Literatur ist, so betont Nick Makoha, immer auch zentraler Bestandteil von Kultur und zwar auch der Kultur marginalisierter Gruppen. Communitys brauchen ihre eigene Literatur.

British Council Literature Seminar
v.l.n.r.: Paul McVeigh, Monique Roffey,
Bernardine Evaristo, Sabrina Mahfouz (Fotograf: Thiago Vargas ©BritishCouncil)

Insbesondere in Bezug auf Literatur und Sex wurden wichtige Ansätze entwickelt. Die Angst vieler Schriftsteller*innen vor der konkreten Thematisierung von Sex sei völlig unbegründet, so Monique Roffey, denn Sexualität und Sex seien per se so mit Konflikten aufgeladen, dass sie allein schon Stoff für deinen Plot hergäben. Sex ist die ultimative Form der zwischenmenschlichen Kommunikation, stellte Paul McVeigh heraus – als solche lassen sich an ihm Plot und Charaktere entwickeln. Nick Makoha sieht die Schulung und Förderung emotionaler Intelligenz als nicht zu unterschätzenden Weg, um die gesellschaftliche und individuelle Fähigkeit zur Akzeptanz herauszubilden. Daher müsse die Literarisierung von Sex als eine Situation der Liebe und des Miteinanders sich jener alltäglichen und omnipräsenten Art von Sexualität und Pornografie entgegensetzen, die Sex nicht mehr als zwischenmenschlichen Akt versteht.

 

Sex sells? Nicht im großen Literaturbetrieb

Monique Roffey wie Sabrina Mahfouz und Kerry Hudson kritisieren auch den britischen Literaturbetrieb. Hudsons fluides sexuelles Begehren bedeutete für ihren Verlag in erster Linie ein Vermarktungsproblem, da sie anfangs über die Schublade ‚lesbische Autorin‘ vertrieben wurde, die sie so nicht mehr aufrechterhalten wollte, als sich ihre Begehren von einem lesbischen zu einem queeren veränderte. Mahfouz und Roffey wiederum haben erlebt, dass ihre Literatur mit der Begründung abgelehnt wurde, sie sei zu sexuell – mitunter sogar nachdem Publikationsverträge schon abgeschlossen waren beziehungsweise die Arbeit am Theaterstück schon begonnen hatte. Man sei sich dann doch unsicher gewesen, wie und an wen man es hätte vermarkten sollen. Diese Einblicke zeigen deutlich, dass der Mangel an Literatur von marginalisierten Stimmen und Themen nicht nur auf den nötigen Mut oder schriftstellerische Fähigkeiten seitens der Autor*innen reduziert werden kann, sondern dass es in besonderem Maße die Verlage sind, die hier mehr Mut und mehr Willen zur Diversität zeigen müssen. Zum Nachdenken regt auch Monique Roffeys Kritik an Preisen für die schlechtesten literarischen Sexszenen (wie dem Bad Sex in Fiction Award der britischen Zeitschrift Literary Review) an. Diese Kultur des Mokierens über Versuche der Literarisierung von Sex sei fragwürdig, da die Angst von Autor*innen, sich dem Thema literarisch zu nähern, so nur geschürt würde.

 

Gesellschaftliche und literarische Hegemonie

International verglichen, lässt sich für den deutschsprachigen Raum immer noch eine sehr starre Unterscheidung in Hoch- und Populärkultur konstatieren, in der sich soziale Hierarchien verankern. Dies macht Literaturveranstaltungen, noch dazu wenn sie von renommierten staatlichen Institutionen ausgetragenen werden, leider nicht gerade zum Anziehungspunkt nicht-hegemonialer Gesellschaftsgruppen. Symbolisch verdeutlicht das auch Nick Makohas Erkenntnis, nachdem er seinen Blick umherschweifen ließ: Es befanden sich ganze drei Schwarze Männer im Raum – er selbst, der Fotograf und ein Besucher im Publikum.

„Insgesamt hat der British Council das aber schon sehr gut gemacht“ urteilt am Ende der drei Tage Heike Mißler, die aufgrund ihres wissenschaftlichen sowie persönlichen Interesses für englische Literatur und feministische Bestrebungen aus Saarbrücken anreiste. „Die eingeladenen Autor*innen repräsentieren eine große Bandbreite minoritärer Identitäten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine deutsche Veranstaltung sich so divers aufgestellt hätte. Schön wäre es noch gewesen, wenn auch Disability als Kategorie stärker bedacht worden wäre.“

Doch stellt sich die Frage, ob nicht auch der Zugang zur Literatur überdacht werden müsste, wenn man es mit dem Anliegen einer größeren Vielfalt an Gästen wie Publikum ernst meint. „Mich hat das eingeschränkte Verständnis von Literatur als Literatur mit großem ‚L‘ gestört. Zum Beispiel stimmt die Annahme, Sexualität sei in der Literatur völlig marginalisiert, so einfach nicht. Das trifft auf Literatur mit großem ‚L‘ zu, doch Genres wie Horror- oder Liebesliteratur oder Fanfiction sind voll von Sexualität. Ein differenzierterer Blick in der Diskussion sowie Gastautor*innen aus solchen Bereichen haben gefehlt“ so die Besucherin Heike Mißler. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Einladung von Juno Dawson, die sich sowohl mit dem Jugendbuch-Genre als auch mit ihrem unkonventionellen und vor Esprit sprühenden Habitus auf faszinierend charmante Weise dem Mainstream widersetzt.

 

Und im nächsten Jahr?

Der thematische Fokus des British Council Literaturseminars wird jedes Jahr neu in Zusammenarbeit mit einem*r programmverantwortlichen Autor*in festgelegt. Nach dem nun zweimal in Folge eingeschlagenen politischeren Fokus auf Diversity mit Bernardine Evaristo bleibt gespannt zu warten, wie man sich im kommenden Jahr aufstellen wird. Da man sich nicht wiederholen wolle, würden Feminismus, Geschlecht oder Ethnizität nicht noch einmal Themenschwerpunkt werden, doch orientiere das Literaturseminar seine Inhalte immer an den aktuellen Themen der Gesellschaft, so die Organisatorin Elke Ritt. Bis dahin haben wir nun vorerst wieder spannenden Lesestoff von der britischen Insel – der zum Großteil auch schon in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Angie Martiens
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