Es ist Sommer und wir haben endlich wieder richtig Zeit zum Lesen. Ob beim Strandurlaub oder beim entspannten Herumliegen im Park – das richtige Buch muss auf jeden Fall ins Gepäck. Für den einen ist es vielleicht der leichte Sommerroman, für den anderen ein spannender Krimi. Oder doch lieber der dicke Wälzer, an den man sich lange nicht herangetraut hat? Was die litaffin-Redaktion dieses Jahr in ihren freien Sommerstunden liest, haben wir für euch kurz zusammengestellt.
Corinna liest:
Die Leiden eines Amerikaners bzw. Die Verzauberung der Lily Dahl von Siri Hustvedt
Diesen Sommer habe ich eine Sucht wiederentdeckt: Siri Hustvedts Romane kann ich nicht mehr aus der Hand legen, bis ich sie in wenigen Tagen verschlungen habe. Bücher der gleichen Autorin/ des gleichen Autors hintereinander weg zu lesen kommt bei mir nicht mehr oft vor. Das Phänomen kenne ich von Zwölfjährigen, die sich mit „Reihen“ aus der Bibliothek in ihr Zimmer verziehen und erst wieder davon ablassen, wenn sie alles Ausgeliehene verschlungen haben (okay, vielleicht war ich auch so).
The summer without men war meine erste Lektüre, es folgte Die Leiden eines Amerikaners und Die Verzauberung der Lily Dahl habe ich schon fast ausgelesen.
Ein großer Schwerpunkt von Hustvedts Romanen ist das Aufspüren von lang verborgenen Geheimnissen. Vor allem spürt die Autorin den zwischenmenschlichen Begegnungen ihrer Protagonisten nach, die so meisterhaft reflektiert sind, dass ich mich unglaublich gut unterhalten fühle. Es geht nicht, wie man erst vermuten mag, um typische „Frauenthemen“ wie Liebe und Leidenschaft, sondern viel mehr um Grauzonen von verborgenen Sehnsüchten und Realität, von Vergänglichkeit und Erinnerung.
Ich liebäugle schon mit Was ich liebte. Mal sehen, wie lange die altbekannte Sucht anhält.
Sophie liest:
Becks letzter Sommer von Benedict Wells
Nachdem ich mir in meinem Ostsee-Urlaub zunächst einen ziemlich platten Sebastian Bergman-Krimi reingezogen hatte, fiel die Auswahl danach schnell auf die Empfehlung einer Kommilitonin. Passenderweise hat der Roman auch noch den Sommer im Titel sowie auf dem Cover – wobei das Coverbild leider nicht die beste Wahl ist. Einen ersten Blick reingeworfen stelle ich fest, dass mir das sicher gefallen wird. Eine Tracklist-Unterteilung à la High Fidelity oder Soloalbum, popkulturelle Bezüge nicht zu knapp und die Geschichte dreier ziemlich verrückter und sehr unterschiedlicher Typen: Lehrer Beck, ein musikalisches Nachwuchstalent aus Litauen und ein durchgeknallter Deutsch-Afrikaner. Für meinen Geschmack ein wenig zu lang geraten, konnte mich das Buch aber vor allem auf den letzten Metern bis zur Zielgerade überzeugen. So bin ich auch auf die im nächsten Jahr bevorstehende Verfilmung mit Christian Ulmen in der Hauptrolle gespannt.
Johannes liest:
Die Fälschung der Welt von William Gaddis
Ich weiß nicht, ob ich jemals ein typisches Sommerbuch gelesen habe. Ich kenne weder den Hundertjährigen noch habe ich jauchzend am Strand gelegen und Eat, Pray, Love verschlungen. Ich fliege auch nicht nach Malle. Sommerbücher stelle ich mir allerdings genauso wie ein Kurzurlaub auf Mallorca vor: Man düst schnell hin, dippt den linken Fuß ins Wasser und fliegt dann wieder zurück. Wirklich da war man nie. So möchte ich nicht reisen. Lesen möchte ich so erst recht nicht. Viel lieber tauche ich in Bücher ein, deren Welt so weitläufig und detailliert ist, dass man sich darin glatt verirren könnte. Für die Sommerferien nehme ich mir deshalb meistens genau das Gegenteil eines Sommerbuches vor: einen Wälzer. Ich spreche von Büchern wie Krieg und Frieden, Unendlicher Spaß oder Fluss ohne Ufer von Hans Henny Jahnn. Bücher also, die man bezwingen muss wie einen Berg.
Dieses Jahr ersetzt mir Die Fälschung der Welt den Urlaub, das 1222 Seiten starke Erstlingswerk des Amerikaners William Gaddis. Da meine Expedition über das Basislager (300 Seiten) noch nicht hinausgekommen ist, kann ich nicht viel über Die Fälschung verraten. So viel sei gesagt: Es geht um die fiktive Biographie des Kunstfälschers Wyatt Gwyon, der bereits in früher Kindheit genügend Talent und Wahnsinn beweist, um die Kunstwelt ordentlich aufzumischen. Bisher vergräbt er seine Bilder allerdings lieber im Garten. Später wird Wyatt nach New York ziehen, ins Geenwich Village, wo jeder betrügt, um über die eigene Belanglosigkeit hinwegzutäuschen. Eine Geschichte, die seltsam zeitlos ist, wie der Fall des Kunstfälschers Wolfgang Beltracchi beweist. Beltracchi hatte – genauso wie Wyatt – im Stil bekannter Meister gemalt und seine Bilder als verschollene Originale ausgegeben.
Trotz seiner enormen Vielschichtigkeit und dem scharfzüngigen Humor wurde der Roman nach seinem Erscheinen (1955) ignoriert, belächelt oder verrissen. Heute gilt er als Ursprung der modernen amerikanischen Literatur und Autoren wie Jonathan Franzen, David Foster Wallace, Thomas Pynchon oder Don DeLillo verweisen voller Ehrfurcht auf Die Fälschung. Vielleicht war der Roman seiner Zeit voraus. Umso wichtiger, dass man sich heute die Zeit nimmt, um ihn zu lesen.
Eva liest:
Americanah von Chimamanda Ngozi Adichie
Der Klappentext lässt auf eine gnadenlose, 600 Seiten lange Liebesgeschichte schließen. Aber ist der Bestseller Americanah von Chimamanda Ngozi Adichie wirklich „nur“ das? Wenn man nach den Stimmen in Zeitung und auf Blogs geht, wohl kaum. Also landete Americanah in meinem Urlaubsgepäck. Um ehrlich zu sein, schrecken mich Wälzer eher ab und wer mit dem Flugzeug in die Ferien startet, sollte sich das angesichts der Übergepäckpreise lieber noch mal überlegen.
Was ich aber nach 200 Seiten Lektüre sagen kann: Die Autorin versteht es, den Leser von Nigeria in die USA und zurück reisen zu lassen, indem sie die Bilder, die dafür nötig sind, mit Sprache erzeugt. Und dabei zeigt sie, was es heißt, eine Americanah in Nigeria und eine Nigerianerin in Amerika zu sein. Schnell merkt man, dass die Liebesgeschichte zwischen Ifemelu und Obinze nur das Gerüst ist (das vielleicht gar nicht nötig gewesen wäre?). Es sind Faktoren wie eine unterschiedliche Sozialisation, das Fremdsein, ein Rassendenken und die tägliche Konfrontation mit Vorurteilen, um die es eigentlich geht. Wenig Platz für Herzschmerz und Liebeskummer (obwohl sich die Autorin den Platz dann doch genommen hat). Um ehrlich zu sein, nicht der erste Roman über diese Thematiken. Doch das zeigt nur, wie präsent sie tatsächlich heute (noch) sind.
Empfehlungen sollte man lieber erst geben, wenn man Bücher ganz gelesen hat. Deshalb an dieser Stelle keine von mir. Aber schaut doch noch mal in die Rezension von Demian Sant’Unione hinein. Da gibt es Details und vor allem gute Argumente.
Marc liest:
Schlechte Verlierer von Carles Bukowski
Derb, derber, Charles Bukowski. Der Band Schlechte Verlierer versammelt zwölf dem Autor typische Kurzgeschichten – leicht zu lesen, aber schwer im Magen. Am besten nimmt man diese literarische Schocktherapie in vorsichtig dosierten Schüben zu sich. Ideal für sonnige Tage im Park mit gekühltem Bier und ausreichend Tabak. Aber Vorsicht: Bei Risiken und Nebenwirkungen wenden sie sich an Schnaps oder den Moralisten ihres Vertrauens.
Am Gletscher von Halldór Laxness
Ein junger Theologe wird vom Bischof von Island zum Snæfellsjökull, einen Gletscher, geschickt um die dortigen Geschehnisse rund um den sonderbaren Gemeindepfarrer zu untersuchen. Bauernweisheiten treffen auf moderne Weltanschauung; Theologie auf volkstümliche Sagen und dazwischen immer wieder wundervolle Beschreibungen der isländischen Landschaft. Empfohlen für alle Stadtkinder, die bei es Sonne raus aus den schnelllebigen Ballungsgebieten der Zivilisation zieht.
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