Ob ihr noch dringend ein Buch zum Verschenken oder zur Ablenkung vom Feiertagsstress sucht oder einen Film, vor dem ihr euch auf dem Sofa zusammenrollen könnt – im Litaffin-Adventskalender werdet ihr fündig. In unserem Adventskalender werden wir über den Dezember bis Weihnachten Rezensionen veröffentlichen, seid gespannt! Jeden Tag auf Instagram und am Wochenende hier auf litaffin.de 🎄
Benjamin Maack – Wenn das noch geht kann es nicht so schlimm sein
Im Herbst wird es langsam dunkler und kälter, man holt die dicken Pullis wieder aus dem Schrank und spätestens, wenn der Winter da ist, kuschelt man sich in warme Decken ein, trinkt Tee und liest einen dicken Schmöker nach dem anderen durch. Soweit die romantische Wintervorstellung, die uns in diversen Büchern, Filmen und Songs immer wieder als das Ideal der Jahresendstimmungen vorgeführt wird.
Bei den meisten Menschen sieht es allerdings anders aus, und bei manchen nimmt der Stress in der kalten Jahreszeit sogar besonders zu, wenn das Licht weniger wird und die Einsamkeit tendenziell mehr. Menschen, die mit depressiven Erkrankungen zu kämpfen haben, geht es im Winter oft deutlich schlechter. Die Weihnachtsfeiertage, die viele Erwartungen und Druck mit sich bringen können, helfen da auch nicht weiter.
Da kann jeder kleine Schritt aus der Depression hilfreich sein. Klar, am wichtigsten sind Psychotherapie und, je nachdem, Medikamente. Aber auch mit Freund:innen zu reden kann unterstützen, oder – Bücher lesen. Vor allem, wenn sie so schonungslos ehrlich von der Krankheit berichten, wie Benjamin Maack es in „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“ tut. Das letzte, was an Depressionen erkrankte Menschen brauchen, sind Durchhalteparolen oder gutgemeinte Ratschläge. Viel mehr hilft es, wenn andere das eigene Leid mit einem aushalten können. Einen nicht ganz alleine sein lassen mit der eigenen Verzweiflung. Das können Freund:innen sein, oder eben besondere Bücher.
Benjamin Maacks 2020 erschienenes Buch ist ein solches. Ohne Rücksicht auf sich selbst oder seine Leser:innen berichtet der Schriftsteller von seiner depressiven Erkrankung. Davon, wie er in ein psychiatrisches Krankenhaus eincheckt, weil zuhause vor Panik und gleichzeitiger Lähmung gar nichts mehr geht. Von der anfänglichen Angst vor den anderen Patient:innen, vor sich selber, vor den eigenen Gedanken. Wie es nicht besser wird, und Maack sich trotzdem vorkommt wie ein Hochstapler, dem es eigentlich noch viel zu gut geht für die Psychiatrie. Der sich eigentlich nur mehr zusammenreißen müsste. Noch mehr als ohnehin schon.
Davon erzählt Benjamin Maack grundlegend ehrlich und auf kreative Art und Weise, mit leeren Seiten, immer wiederholten Highscores von Handy-Spielen, Satzfetzen und Lückentexten, die die Sprachlosigkeit und Betäubung des Protagonisten fühlbar werden lassen. Und so gelingt dem Autor immer wieder, was sonst oft fast aussichtslos erscheint: die Innenwelt eines an Depressionen Erkrankten verstehbar werden zu lassen. So kann das Buch ein wenig dabei helfen, die Sprachlosigkeit, die diese Krankheit umgibt, zu durchbrechen. Und so für Erkrankte lesenswert sein, für Angehörige – und für alle, die kraftvolle, großartige Texte mögen.
Von Steffen Bach @steffen_pueckoff
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Hendrik Otremba – Benito
Ein Terroranschlag. Oder doch nicht? Ein bewaffneter Mann stürmt in eine Veranstaltung im Hotel »Paradies« in Bonn, bei der viele Prominente vor Ort sind und schießt um sich, zündet sich an. Doch niemand wird verletzt, niemand stirbt. Außer der Täter selbst schließlich durch die Schüsse der Polizei. Wie und warum das alles passiert, scheint erst einmal überhaupt nicht klar zu sein. Hendrik Otremba etabliert zwei Erzählebenen im Roman. In der einen sind wir im Jahr 2026: Der Ich-Erzähler – ein Schriftsteller – der bei dem Vorfall in Bonn dabei war, nimmt uns in seine Gefühlswelt und auf die Suche nach dem Grund für diese Tat mit. Er erkennt den Täter (oder ist er überhaupt ein Täter, wenn niemand verletzt wurde?), als er ihn im Foyer des Hotels stehen sieht. Bevor dieser sich anzündet, spricht er noch kurz zum Ich-Erzähler. Dieser wird einfach das Gefühl nicht los, dass er bei der Aktion anwesend sein sollte. In der anderen Erzählebene begleiten wir eine Gruppe junger Pfadfinder, die auf eine Kanutour gehen. Bei diesem Ausflug wird schließlich auch etwas Einschneidendes passieren. Der Ich-Erzähler des ersten Erzählstrangs ist einer dieser Pfadfinder, etwa 30 Jahre später. Es schlüsselt sich immer mehr auf, was er und die anderen Pfadfinder erlebt haben, was sie vereint und was das alles vielleicht mit der »heutigen« Situation zu tun hat.
Die beiden Erzählstränge wechseln sich immer ab, manchmal nach nur einer Seite. In diese Struktur muss man sich anfangs beim Lesen erst einfinden, doch sie ist so gut und wichtig für die Erzählung selbst, dass das ganz schnell geht und man in den Sog der Geschichte gezogen wird.»Erwachsen zwischen Kindheit und Alter, glänzend in einem kurzen Übergang der Wahrhaftigkeit, gelöst von der Unmündigkeit und noch gefeit vom Wahnsinn und Niedergang des bald schon verfallenden Körpers.« (S. 22)
»Benito« ist Pfadfinder-Abenteuerroman, nachdenkliche Analyse unserer Welt und eine Suche, die vielleicht nie zu Ende sein wird. Die abwechselnde Erzählstruktur hält die Spannung sehr hoch, es liest sich manchmal ein bisschen wie ein Detektivroman. Die Spurensuche geht bis hin in die Literatur, zu berühmten Künstler*innen und Schriftsteller*innen, von Artaud über Mishima zu Jünger – alles, um dahinterzukommen, warum die Dinge so passiert sind, wie sie sind.
Alles in allem ein großartiges Buch – wirklich spannend, sprachlich sehr feinsinnig und mit eleganter Erzählstruktur. Eine fesselnde Geschichte, die sich auf 500 Seiten wunderbar ausbreiten kann. Eine absolute Leseempfehlung für die kalten Wintertage!
Von Lilli @auflesen
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Agnès Varda – Die Strände von Agnes
„Öffnete man die Menschen, fände man Landschaften. Würde man mich öffnen, würde man Strände vorfinden.“ Agnès Varda nimmt uns mit an die Strände und (Dreh)orte ihres Lebens und erzählt uns mit Vorleserinnenstimme und viel Humor von ihrer Kindheit, Freunden, Familie und Liebe und reflektiert dabei ihr Lebenswerk. Immer wieder gibt es Ausschnitte aus früheren Filmen, Varda schwelgt in Erinnerungen.
Die vor ein paar Jahren verstorbene belgisch-französische Regisseurin, Drehbuchautorin, Fotografin… oder einfach: Künstlerin ist bekannt für ihre atmosphärischen und persönlichen Portraits. Die Strände von Agnes (Les plages d’Agnès) ist keine Ausnahme: die 35-mm Film Aufnahmen und musikalische Untermalung sorgen für Nostalgie. Für alle die dem kalten grauen Winter für eine Weile entfliehen wollen und offen sind für ein paar Lebensweisheiten einer sehr starken, klugen und frechen Frau.
Zu sehen auf Mubi.com
Von Eva @imagineeva
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Simone De Beauvoir – Eine gebrochene Frau
Drei Frauen, in unterschiedlichen Lebensabschnitten, die versuchen, mit den Auswüchsen des Patriarchats in ihrem Alltag klarzukommen: In „Eine gebrochene Frau“, 1967 erstmalig in Frankreich erschienen und ein paar Jahre später von Ulla Hengst ins Deutsche übersetzt, lässt Simone de Beauvoir diese Frauen in drei Erzählungen zu Wort kommen. Sie befinden sich in verschiedenen, aber ähnlich existenziellen Krisen. Ihre jeweiligen Situationen erscheinen ihnen ausweglos, sie sind Gefangene ihrer Umstände.
All diese Frauen haben eigentlich gefestigte Ansichten darüber, wer sie sind und wie ihr Leben zu laufen hat. Aber etwas steht ihnen im Weg: Bei der einen ist es die Frage, ob und wie man sich im Alter noch weiterentwickeln kann, bei der anderen die Verlassenheit und die ungerechte Behandlung durch ihre Familie. Die dritte Frau kämpft mit der Abhängigkeit von einem Mann, für den sie sich selbst völlig aufgegeben hat, der sich jedoch kontinuierlich weniger für sie interessiert.
Die drei Erzählungen sind aus den Perspektive der Frauen geschrieben, man nimmt die Welt in unterschiedlicher Intensität aus ihren Augen wahr. Die erste Geschichte ist ein klassischer Prosatext mit einer Ich-Erzählerin. Bei der zweiten Erzählung lässt die Erzählerin einen in einem Stream of Consciousness ungefiltert und mit wenig Interpunktion an ihren Gedanken teilhaben:
„Der Klempner hält mich jetzt schon seit vierzehn Tagen hin bei einer alleinstehenden Frau nehmen die sich alles heraus die Menschen sind doch ein feiges Gesindel wenn einer am Boden liegt treten sie ihn mit Füßen. Ich halte stand ich biete ihnen die Stirn aber die lassen sich doch von einer alleinstehenden Frau nichts sagen.“ (S. 69)
Der dritte Text besteht aus Tagebucheinträgen, in denen die Erzählerin immer wieder ihre eigene Zuverlässigkeit reflektiert. Besonders durch die Erzählweise ermöglichen die Geschichten ein, wie Simone de Beauvoir es ausdrückte, „Mit-Erleben“. Ein einfühlsames Buch, das die Realitäten vieler Frauen aufzeigt, ohne zu moralisieren oder sie zu beschönigen.
Von Emma @emmarotermund
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