Im Rahmen der Veranstaltungsreihe inspektionen // Das neue Wir las der Autor Sven Pfizenmaier am 26. April in der Niedersächsischen Landesvertretung in Berlin aus seinem Debütroman Draußen feiern die Leute. Geführt wurde das Gespräch von Mariel Reichard, Moderatorin des Literarischen Salons der Universität Hannover. Harriet Finn und Cara Enders haben die Lesung für LITAFFIN besucht.
“Stimmt, das habe ja alles mal ich geschrieben“, sagt Sven Pfizenmaier zu Beginn der Veranstaltung. Denn sein Debütroman ist vor fast zwei Jahren erschienen und gerade steckt er in den Endzügen seines neuen Romanprojekts Schwätzer, das im Herbst bei Kein & Aber erscheint. Offiziell ist dies die letzte Lesung seines Debütromans, doch nach der Lesung erzählt uns der Autor, dass sein Roman im nächsten Jahr Schullektüre in Niedersachsen sein wird, daher wird er mit seinem Buch wohl noch die ein oder andere Lesung in den Schulen Niedersachsens absolvieren.
Der Roman handelt von drei Jugendlichen Außenseiter*innen, die in der Provinz aufwachsen, mit allem was dazu gehört, wie dem alljährlichen Zwiebelfest. Doch nach und nach verschwinden immer mehr junge Menschen im ganzen Land und die drei machen sich auf die Suche nach den Vermissten. Bei der Erzählung werden dabei die Grenzen der Realität immer wieder überschritten. Inspiriert habe ihn beim Schreiben der Magische Realismus, nur verortet Pfizenmaier diesen nicht wie seine Vorbilder in Lateinamerika, sondern in der niedersächsischen Provinz. Die magischen Elemente finden sich vor allem in den Außenseiterfiguren, Pfizenmaier nennt sie die Ausgestoßenen. Die Jugendlichen Richard, Timo und Valerie haben wunderliche Eigenschaften: Richard hat die Eigenart, dass er durch seine Präsenz alle um ihn vor Langeweile lähmt, Timo sieht aus wie eine Pflanze, er wird regelmäßig mit Büschen und Bäumen verwechselt und Valerie muss all ihre Träume bis zum Ende träumen, wodurch sie schon mal zwei bis fünf Tage durchschlafen muss.
Diese magischen Verzweigungen sind Ausdruck der Gefühlswelt der Jugendlichen. Sie sind die Sprachwerdung eines Gefühls von Außenseitertum. In der Figur Valerie entpuppt sich dies als ein kulturelles Außenseitertum, ihre Eltern sind Russlanddeutsche – eine Bevölkerungsgruppe, die in der deutschen Gegenwartsliteratur wenig Beachtung findet. In ihrer Figur finden sich Parallelen zum Autor, auch seine Eltern verließen kurz vor seiner Geburt Kasachstan in Richtung Deutschland. In seinem Roman erzählt Pfizenmaier, wie sich die Eltern von Valerie, der Ewigträumerin, für ein Zwei-Welten-System entscheiden, in der die Welt “Zuhause” das mitgebrachte Kasachstan ist und sich in der Welt “Draußen” Deutschland abspielt. Nur Valerie muss dieses Weltenmodell für sich selbst neu verhandeln, da sie keine importierte Heimat hat. Sprachlich versiert beschreibt Pfizenmaier Phänomene, die sich im Dunstkreis der sogenannten Integration befinden. Befragt zum Thema der Veranstaltungsreihe, die durch Kultur ein Wir-Gefühl in politisch schwierigen Zeiten fördern will, warnt der Autor, dass ein “wir” immer auch ein “ihr” impliziert, was zu Nationalismus und Ausgrenzung führen kann. Sven Pfizenmaier überzeugt aber auch mit seinem Humor. Trotz des nicht nur leichten Romanstoffs ist die Erzählweise von Draußen feiern die Leute leichtfüßig und humorvoll und während der Lesung kommt es immer wieder zu freudigem Lachen.
Auf die Frage, was für ihn eine gute Geschichte ausmache, sagt Pfizenmaier, dass Sprache und Rhythmus stimmen müssen, vor allem aber solle sie in irgendeiner Weise die Menschlichkeit feiern. Diese Menschlichkeit kommt in den vorgelesenen Romanauszügen und dem Gespräch rüber. Eine schöne Veranstaltung, die Lust macht, den ganzen Roman zu lesen und sich auf den kommenden schon einmal vorzufreuen.
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