Die Shortlist ist raus! Wie von mir gewünscht oder erwartet sind Clemens J. Setz und Stephan Thome noch im Rennen. Auch Landgericht ist noch dabei, als einziger „historischer“ Titel und Nichts Weißes der Under-Dog. Sand darf auch noch mitspielen. Nach der Freude über die Nominierung von Clemens J. Setz‘ Indigo, war tatsächlich einer der nächsten Gedanken: ‚Gott sei Dank, drei davon hast du schon gelesen!‘ Das Spiel ist mit der Verkündung der Shortlist natürlich nicht verkürzt worden. Es gilt die alt bewährte Devise, dass es schließlich ums Prinzip geht und das sagt: Lektüre der Longlist, bis zum Schluss! Und wahrscheinlich darüber hinaus, aber man soll den Teufel ja nicht an die Wand malen…
Beginnen wir nun mit dem „Glitzerbuch“ Heimlich, heimlich mich vergiss, von Angelika Meier. Glitzerbuch deshalb, weil sich unter dem Schutzumschlag perlmutt-schimmernde Buchdeckel und-rücken verbergen. Soweit das Offensichtliche, nun wird es etwas kniffelig: Dr. Franz von Stern ist Arzt in einer Klinik, die auf einem namenlosen Berg über der Welt thront. Die Patienten hier bekommen Opium-Rhabarbersaft so viel sie wünschen, das Hören von Stimmen ist eine Form der Behandlung und auch sonst ist diese Klinik mit keiner real existierenden medizinischen Einrichtung zu vergleichen. Interessant ist auch: Franz von Stein ist eigentlich zwei. Zwei was? Personen kann man nicht direkt sagen. In ihm existieren einmal eine emotional reagierende Persönlichkeit und eine zweite, ausschließlich rational handelnde Persönlichkeit, der Referent. – Wobei es „Persönlichkeit“ nicht wirklich trifft, denn der Referent hat weder einen Charakter noch Emotionen. Vergleichbar ist diese Zweierkonstellation in einem Menschen wohl mit Vernunft und Emotion, oder wie Freud sagen würde: Es und Über-Ich.
Um diese beiden Einheiten in Einklang zu bringen, verfügt von Stein über einen Mediator, eine Art tiefergelegtes Herz, was in der Bauchhöhle sitzt. Das ganze Setting ist ziemlich abgefahren, aber höchst interessant. Dieser Arzt muss nun einen Eigenbericht verfassen, wozu er allerdings nicht kommt, denn wie es immer so ist, die Liebe bringt seine Systeme ziemlich durcheinander. Diese skurrile Geschichte ist bestimmt nicht jedermanns Sache, aber eine Klinik, in der im wahrsten Sinne des Wortes „der ganz normale Wahnsinn“ herrscht, ist durchaus einen Besuch wert.
Wer sich schon immer mal fragte, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn man sich nur in einer Situation anders entschieden hätte, der sollte unbedingt Weitlings Sommerfrische lesen. Sten Nadolny lässt seinen Protagonisten am eigenen Leib erfahren wie nachhaltig es ein Leben verändern kann, wenn man nur eine Sekunde besser aufpasst.
Wilhelm Weitling, pensionierter Richter, fährt mit seiner Plätte auf den Chiemsee und wird von einem Unwetter überrascht. Dabei wird er von einem Blitz getroffen, der ihn an die Seite seines 16jährigen Ich katapultiert. Als Geist begleitet er den jungen Willy nun auf Schritt und Tritt und muss feststellen, dass man keineswegs nur ein Leben leben kann. Ein sehr faszinierender Roman, der mit der Frage spielt, die wir uns wohl alle schon gestellt haben: Was wäre wenn…? Und auch wenn man von dem Buch durchaus verleitet wird, selbst in die nächste Nussschale zu steigen und sich von einem Unwetter in die eigene Vergangenheit tragen zu lassen, unerfahrenen Seglern sei davon abgeraten, die Erfolgschancen sind sehr gering, aber man weiß ja nie…
Angelika Meier
Heimlich, heimlich mich vergiss
erschienen bei: Diaphanes
336Seiten, 22.90€
Sten Nadolny
Weitlings Sommerfrische
erschienen bei: Piper
224 Seiten, 16.99€
Foto „Bücherstapel“ © Der Deutsche Buchpreis 2012
- Lektüre der Longlist – Ein (gescheiterter) Selbstversuch Teil VII - 31. Januar 2013
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- Lektüre der Longlist bis zum 08.10. – Ein Selbstversuch Teil V - 8. Oktober 2012