Jana hat eine Mission: sie will ihren Vater Milan kennenlernen. Der ihr unbekannte Mann ist Kapitän auf dem Donau-Kreuzfahrtschiff MS Mozart. Jana bucht sich ein Kreuzfahrt-Ticket und findet sich plötzlich auf dem Schiff zwischen Passagier*innen 60+, Mahlzeiten als Hauptattraktion und Landausflügen an den Ufern der Donau wieder. Doch einen Haken hat die Sache: wie den eigenen Vater ansprechen, der einen nicht erkennt? Ilona Hartmanns kurzweiliges Debüt Land in Sicht ist witzig, ironisch, flapsig und könnte an der ein oder anderen Stelle gern noch tiefer gehen.
Jana hatte als Kind das Gefühl, ihre Mutter übernimmt in der Erziehung zwei Rollen: Mutter und Vater.
Etwas (jemand?) fehlte, und meine Mutter stellte sich mit aller Breitbeinigkeit in diese Lücke, so gut es ging. Meine Mutter war durchaus ein guter Vater. Sie erfüllte männlich wie weiblich konnotierte Aufgaben mit der selben Kompetenz. Reifenwechseln, Milchreis kochen, Haare flechten, Kopfrechnen, alles war möglich. Sie bekam regelmäßig wichtige Post, trug schwere Sachen oder mich, trank Bier aus Bügelflaschen und Wein aus großen runden Gläsern, sie war alles in meiner Welt, und alles darin kam von ihr. Nur im Streit, so fand ich, wäre es gut gewesen, auf einen anderen Erwachsenen ausweichen zu können.
Dieser andere Erwachsene wäre Milan gewesen. Als Kind bastelt sich Jana in ihrem Kopf den Idealvater, ein Mosaik aus allen möglichen Vätern, die sie kennt, von Freundinnen, aus Filmen, vielleicht aber auch aus Männerfiguren per se. Heute ist Milan der Kapitän auf dem Donau-Kreuzfahrtschiff MS Mozart. Jana überwindet sich und kauft ein Ticket für eine Woche Kreuzfahrt.
Ironie, Typen & Traumschiff
Ilona Hartmanns Beschreibung der Kreuzfahrt strotzt vor Ironie, lustigen Typen und flapsigen Kommentaren. Schön sind die vielen kleinen Details – „Die Sessel im Salon sind mit gelblichem Kunstleder überzogen, das beim Hinsetzen quietscht und beim Aufstehen schmatzt“ – und gerade der letzte Satz eines Kapitels oder Absatzes aus Janas Perspektive ist oftmals pointiert und lustig. Das ist Ilona Hartmanns Talent: die knappen und vielsagenden Sätze. Wer schonmal eine Folge Traumschiff geschaut hat, bekommt hier trotz Landgängen und Eisbombe das Gegenprogramm aus der Perspektive einer Frau in den 20ern geliefert: Sie beschreibt die Seltsamkeit, mit fremden Menschen beim Essen an einen Platz gesetzt zu werden, die gestelzten Gespräche, das geheuchelte Interesse. Außerdem senkt Jana den Altersdurchschnitt weit nach unten, ein etwa 50jähriges Paar bezeichnet sie in diesem Kontext als jung. Ihrem Vater Milan begegnet sie bald – und traut sich natürlich nicht sofort, sich zu offenbaren. Sie freundet sich mit Bob an, dem Schiffs-Musiker im Glitzerjacket, und verschläft mehr als einmal die auf dem Schiff so wichtigen Mahlzeiten. Dann lädt Milan sie plötzlich in eine Bar an Land ein. Eine sehr seltsame Situation, aber Jana sagt zu.
Suche nach dem Vater
Jana sucht einen perfekten Vater, einen, der die Lücke füllt, einen, dem sie aus dem Urlaub Fotos per Whatsapp schicken kann. Was sie bekommt, ist ein Lebemann, ein Kreuzfahrtkapitän, der auf Umwegen und nach vielen anderen eingeschlagenen Wegen zu diesem Beruf kam. Es bleibt das Gefühl, dass diese Begegnung tiefer hätte gehen können, ohne an Witz und Ironie einzubüßen, denn dass die Geschichte leichtfüßig mit einem Thema umgehen will, das auch mit mehr Schwermut hätte angepackt werden können, das merkt man und das gelingt auch. Trotzdem steckt noch ein bisschen mehr in der Geschichte. So plätschert das Treffen von Jana und Milan vor sich hin, aber das passt ja auch zum Kreuzfahrt-Szenario. Stark sind die kurzen Pointen, die Figurenzeichnungen, Details und die witzigen Bemerkungen – denn ein Buch, das zum Lächeln anregt, hält man auf jeden Fall in der Hand.
Ilona Hartmann: Land in Sicht, Aufbau / Blumenbar 2020.
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