Wenn man einen Autor bzw. eine Autorin kennenlernen will, muss man meistens eine Lesung besuchen. Diesmal ging es anders herum: Die Autorin Iris Hanika hat unsere Lehrveranstaltung an der FU besucht und über sich und ihre Texte gesprochen.
Im Rahmen des Seminars Poetische Topographie oder wie lässt sich die Stadt beschreiben? des Gastprofessors David Wagner an der Freien Universität Berlin besuchte uns Iris Hanika. In der Veranstaltung geht es hauptsächlich um die Beschreibung Berlins durch die Darstellung des alltäglichen Lebens, so wie das etwa eine Webcam aufzeichnen würde. Genau das tat auch die Kolumne Webcam der Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, indem sie für knapp drei Jahre einen anderen Blick auf Deutschlands damals noch neue Hauptstadt warf. Aus diesen Texten entstand ein Buch, das Iris Hanika zusammen mit Stefanie Flamm herausgegeben hat: Berlin im Licht. 24 Stunden Webcam (2003).Die Teilnehmer unseres Seminars sollten Texte verfassen, die auf diesem Prinzip basierten.
Während der Sitzung las Iris Hanika uns einen Auszug aus ihrem Roman Treffen sich zwei (2008) vor. Der Roman wurde in seinem Erscheinungsjahr für den Deutschen Buchpreis nominiert und schaffte es auch auf die Shortlist. Es handelt sich um eine Liebesgeschichte in Berlin-Kreuzberg. „Ich schreibe eigentlich ohne Plan, sogar meine Magisterarbeit habe ich ohne Plan geschrieben“, sagt Hanika. Die Handlung ist simpel und besteht aus drei Teilen: Das Kennenlernen der Protagonisten, die Krise zwischen ihnen und der Teil, in dem die beiden versuchen, diese wieder zu überwinden. Die Figuren befinden sich in einer unglaublich angestrengten Situation, weil sie eigentlich etwas voneinander wollen, aber nicht genau wissen, was sie wollen. Sie ist ziemlich hysterisch und kompliziert und er ist sehr sachlich. Die Autorin spart bei der Beziehungsgeschichte vieles aus, so enthält der Roman keine Sexszenen. Sie interessiert sich für das, was nebenbei geschieht: Daher entschied sie sich für das Webcam-Prinzip. Treffen sich zwei schildert eine bestimmte Zeit, eine bestimmte Stimmung, ein bestimmtes Milieu, er ist berlin-, nein kreuzbergspezifisch. Verschiedene Textsorten werfen ständig einen anderen Blick auf die Protagonisten, die Perspektive wechselt häufig. Es ist ein kontinuierliches Erzählexperiment. „Der Blitz hat mich im Bierhimmel getroffen“, meint die Autorin. In der berühmten Kneipe in der Oranienstraße schrieb sie dann auch den Anfang des Romans.
Iris Hanika gilt seit diesem Roman als Kreuzberger-Heimatschriftstellerin: „Ich wollte immer Schriftstellerin werden.“ Zuvor wollte sie aber wissen, was die Kollegen vor ihr geschrieben haben. Daher studierte sie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Germanistik an der Freien Universität Berlin. Doch von Literaturwissenschaft hatte sie wenig Ahnung, sagt sie selbst. Dennoch: Das Studium hätte ihr viel gebracht, da sie Unmengen gelesen hätte. Während ihres Studiums erzählte sie niemandem, dass sie Schriftstellerin werden wollte, machte sich heimlich Notizen und schrieb im Sommer nach Studienende ihren ersten Roman: Katharina oder Die Existenzverpflichtung (1992).
Iris Hanika fühlt sich zwar von Literaturkritiken abhängig, braucht diese aber nicht zur Selbstbestätigung. Sie freut sich über gute Kritiken, da diese den Verkauf des Buches steigern können. „Ich begreife mich als Bildhauerin“, sagt sie. Sie sucht beim Bearbeiten des Textes immer noch weitere, bessere Versionen, lektoriert sich ständig selbst. Charakteristisch für ihre Prosa ist die Genauigkeit, mit der sie ans Werk geht.
Mit ihrem letzten Buch brach Hanika mit ihrem Image als Kreuzberger Milieustudienverfasserin. Das Eigentliche (2010) handelt vom heutigen Umgang der Deutschen mit ihrer Nazivergangenheit. Damit gewann sie im November den Literaturpreis der Europäischen Union.
Autoren besuchen eigentlich keine Lehrveranstaltungen. Auch Hanika fand die Erfahrung seltsam. Dennoch war die Stimmung gut. Bei Weitem nicht nur, weil Hanika großzügig Bücher verschenkte.
Foto: © cr&sh
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