Am vergangenen Wochenenende kamen in der Berliner Akademie der Künste französische und deutsche AutorInnen zum Lesefest zusammen. Litaffin war dabei und fand viel Gutgemeintes…
Jetzt konnte nur noch die französische Botschaft helfen. Marie sei verhaftet worden, hatte Ingo Schulze eben mit verschmitztem Lächeln unter der Hand seine Informationen weitergeleitet, als besagte Marie Darieussecq doch noch den Plenarsaal der Akademie der Künste in Berlin betrat. So begann die dritte Paarung dieses Abends zwar nur beinahe pünktlich, dafür aber mit dem Klischee vom übereifrigen deutschen Beamten, der die Schriftstellerin aus dem Baskenland aufgrund eines nicht entwerteten Fahrscheins vorübergehend in Gewahrsam genommen hatte. Stolz reckte sie Fahrschein und Strafzettel in die Höhe, in ihrem Rücken durch die großen Panoramafenster gut erkennbar: die französische Botschaft vis-à-vis. Für ihre glückliche Freilassung gebühre den dort arbeitenden Menschen der Dank.
Dafür, aber auch für das Zustandekommen des französisch-deutschen Literaturfests „Rendez-vous littéraire!“, das in Kooperation mit der Villa Gillet in Lyon und der Akademie der Künste am – quel heureux hasard! – Pariser Platz vom 22. bis 24. April die schreibende Zunft aus Frankreich und Deutschland und ihr Publikum zu Lesungen, Gesprächen und Debatten zusammenbrachte.
Es trafen die wichtigsten Autorinnen und Autoren der jüngeren Generation beider Länder aufeinander: Tanguy Viel und Thomas Hettche, Francois Beaune und André Kubiczek, Veronique Ovaldé und Judith Kuckart, Yannick Haenel und Eva Menasse, Laurent Mauvignier und Ulrich Peltzer, Emmanuelle Pagano und Terézia Mora sowie am Freitagabend eben Marie Darrieussecq und Ingo Schulze. Die Veranstalter suchten dabei nach Paarungen, die thematisch oder in ihrer Arbeitsweise Übereinstimmungen haben könnten. Bei Darriessecq/Schulze (er-)fand man das Motto Einzigartigkeit, Intensität. Da solche Konstruktionen in der Tat immer schwierig sind, ließen sich die Geladenen zwar darauf ein. Ein roter Faden wollte sich daraus aber nicht so recht spinnen lassen, was die Moderatorin Francesca Isidori zu allerlei gequälten Überleitungen zwang und es zu einem Gespräch im Sinne eines, nun ja, Gespräches eben nicht kommen ließ. Mal erzählte Ingo Schulze mottogetreu von der Intensität einer selbsterlebten Anti-Nazidemonstration in Dresden, dann sorgte Marie Darriessecq für Lacher, als sie über intensive und extensive Landwirtschaft dozierte. Die starken Momente indes lieferten die Dichter dann, wenn sie aus ihren launigen Texten vortrugen und für angemessen verhaltene Heiterkeit im offiziell als ausverkauft geltenden Saal sorgen konnten.
Die eher unsichtbaren Stars des Abends waren sicherlich die Organisatoren und mit ihnen die Simultandolmetscher, deren Kunst jeder Besucher, der es wollte, per tragbarem Radioempfänger auf die Einwegkopfhörer gesendet bekam. So geschah es, dass während der Gespräche und Lesungen hier und dort und ab und an eines jener Geräte vom Schoße der konzentriert lauschenden Zuhörer rutschte und seinen scheppernden Einstand auf dem Parkett gab.
Der Bedeutsamkeit jenes binationalen Gipfeltreffens der Literaten bereitete dies allerdings keinen Schaden. Seit Jahrhunderten ist die Literatur und Debattenkultur Frankreichs von hohem Stellen- und Bezugswert in Deutschland. Der Blick auf den einerseits bewunderten andererseits Erbfeind prägte hierzulande viele Generationen. Mit der Globalisierung aller Lebensbereiche verschob sich zuletzt auch dies und die Blicke der beiden Nachbarn glitten neugierig allmählich auch hierhin und dorthin ab in exotischere Gefilde, war doch die einstige Rivalität durch die beispiellose Annäherungspolitik nach dem Faschismus zu einer engen und alltäglichen Partnerschaft geworden. Mit dem Literaturfest soll der Dialog nun neu entfacht werden. Im nächsten Jahr findet er daher in Lyon seine Fortsetzung.
Vielleicht sollten die Organisatoren bis dahin das Konzept überdenken, ausschließlich Karten für alle Veranstaltungen eines Tages anzubieten. Das führte zwar zu der beglückwünschenswerten Diagnose „ausverkauft!“, aber dennoch blieben bei den einzelnen Programmpunkten immer einige Stühle frei. Außerdem hätte es sich der Berichterstatter gerne erspart, seine Karten verschämt auf dem Schwarzmarkt unter dem Brandenburger Tor erwerben zu müssen, wo doch dort, behördlicherseits verfügt, nicht einmal mehr mit Currywurst gehandelt werden darf.
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Na wenn das mal nicht die Werbetrommel für Lyon rührt: Schwarzmarktkarten unterm Brandenburger Tor! Das (und der gesamte Bericht zum Abend) macht mich gleich ganz neidisch, dass ich nicht dabei war -- vielleicht sollte man Lyon andenken? So als Schwesternbericht zu dem hier? Wo wir schon dabei sind, zusammenzubringen, was zusammengehört?
Da fällt mir ein, nur ganz am Rande natürlich -- meine Französischkenntnisse (sprachlich und literarisch) bedürfen einer dringenden Auffrischkur. Du brauchst nicht zufällig eine Dolmetscherin für Lyon, Dennis?
Oh, das würde ich liebend gern: mit Dir nach Lyon fahren, um gemeinsam unsere Französischkenntnisse aufzufrischen. Und wenn das obendrein als Litaffin-Dienstfahrt durchginge, das wäre schön.
Leider ist die Veranstaltung in Lyon erst für den Herbst 2011 angekündigt.
Vielleicht sollten wir bis dahin einen florierenden Handel unter dem Brandenburger Tor aufziehen -- für Eintrittskarten ausverkaufter Kulturveranstaltungen. Aber das ist natürlich bös‘ illegal und daher absolut (et absolutement) keine Option … mais je ne regrette rien!