SchwarzRund: Biskaya. Afropolitaner Berlin-Roman (Zaglossus 2016) © Angie Martiens

Queer, Schwarz, rebellisch – Biskaya.

Nicht noch ein Berlin-Roman! Doch „Biskaya“ ist anders, denn es ist ein afropolitaner, queerer Roman, in dem die Bloggerin SchwarzRund als Autorin spannende Wege einschlägt.

Im Rahmen der Indiebookchallenge 2018/19, herausgefordert von Sarah Käsmayr / Maro Verlag, widmen wir uns eine Woche lang dem Thema #queeresBuch: 7 Tage, 7 queere Indie-Bücher. Angie macht den Anfang mit Biskaya.
SchwarzRund: Biskaya. Afropolitaner Berlin-Roman (Zaglossus 2016) © Angie Martiens
SchwarzRund: Biskaya. Afropolitaner Berlin-Roman (Zaglossus 2016) © Angie Martiens

Die aktivistische Bloggerin SchwarzRund schreibt seit 2013 aus queerer Schwarzer Perspektive über Schwarze Politiken sowie (Queer-)Feministisches. Im selben Jahr wurde in den USA die Hashtag-Kampagne #BlackLivesMatter als Protest gegen rassistische Polizeigewalt und Tötungen ins Leben gerufen. Seither wird Rassismus zunehmend breiter und öffentlich diskutiert. Intersektionale Perspektiven bleiben zumindest im deutschsprachigen Diskurs jedoch oft unberücksichtigt – dabei wurde die Bewegung von vier Schwarzen, insbesondere queeren Frauen gestartet und  hat die Frage nach verschränkten Diskriminierungen immer schon beinhaltet. Auf ihrem Blog widmet sich SchwarzRund diesen Verschränkungen. Im Zaglossus Verlag erschien 2016 ihr erster Roman Biskaya. Ein afropolitaner Berlin-Roman.

Bohemienne und Punkröhre

Biskayas Protagonistin Tue ist eine dreißigjährige, erfolgreiche Sängerin einer Indie-Band, die in einer Berliner WG lebt und ein reichlich ‚unstetes‘ Leben führt: Der Alkohol fließt, die Nacht wird zum Tag gemacht, mit einem attraktiven Fan der Band geht man nach dem Gig schnell hinter die Bühne, Probleme im Organisieren des eigenen Lebens lassen die Obdachlosigkeit immer mal wieder näher rücken und bei alldem scheint es keinerlei finanzielle Sorgen zu geben. La vie de bohème – à Berlin! Das Leben dieser Figur wäre prinzipiell so oder so ähnlich schon zig Mal erzählt worden, wäre da nicht das Wörtchen ‚afropolitan‘ vor dem ‚Berlin-Roman‘ im Titel. Nahezu alle Figuren, einschließlich der Protagonistin, sind schwarz und queer.

Berlin, wie wir es kennen, nur anders

Die fiktive Geschichte spielt in einem Berlin, das sehr vertraut vorkommt und doch um einige wenige Jahrzehnte in die Zukunft versetzt wurde. Doch nicht nur zeitlich sondern auch geschichtlich ist hier etwas anders, denn das Gros der Figuren hat ihre Wurzeln in Biskaya, einer Insel, die zur Zeit des Kalten Krieges unter der DDR, der BRD und Frankreich aufgeteilt war und auf der vor allem Schwarze als Gastarbeiter*innen lebten. Biskaya, das zum Zeitpunkt der Romanhandlung von vielen Ländern als eigener Staat anerkannt ist, besitzt eine starke Schwarze Community, die sich für die Idee eines Schwarzen europäischen Landes einsetzt. Biskaya scheint für die Berliner Figuren des Romans ein wichtiger, Gemeinschaft stiftender Stützpunkt der Identität zu sein – nicht zuletzt erleben sie „auf dem Festland“ alltäglich Rassismus und werden aufgrund von Herkunft, Haupthaar oder Hautfarbe zum Anderen gemacht.

Schwarze Geschichte in Deutschland

Diese Erfahrungen, die Identität sowie die Geschichte Biskayas und der Schwarzen in Europa sind zentraler Gegenstand des Denkens und des gegenseitigen Austauschs der Figuren. Dabei greifen sie auch reale historische Gegebenheiten auf. So kommen Potsdam, dem Schloss Glienicke und der Berliner Pfaueninsel im Laufe der Handlung eine besondere Bedeutung zu, denn hier lebte der nach bisherigem Wissensstand erste Schwarze in der deutschen Geschichte: Achmed war im 19. Jahrhundert ein Bediensteter am Hof von Prinz Friedrich Carl Alexander von Preußen. Die Verwobenheit von Realen und Fiktiven, Zukünftigem und Vergangenem ist eine besondere Stärke des Romans.

Da haut was nicht ganz hin – just sayin‘

Die fiktive gesellschaftspolitische Situation wird eingangs über eine Kindheitserinnerung kurz skizziert, sodass die Leser*innen sich schnell und gut in den Bedingungen der Erzählung zurechtfinden können. Insgesamt ist sie glaubwürdig konstruiert. Einzig, dass Geschichte in einer nahen Zukunft spielt, wirkt mitunter verwirrend und nicht ganz stimmig. Es braucht eine Weile, bis man beim Lesen abgesteckt hat, in welcher Zeit man sich wohl gerade befinden mag: vermutlich um die 10 bis 20 Jahre in der Zukunft. Dass die Figuren mit Aussprüchen wie „just sayin‘“ ein Deutsch der gegenwärtigen Jugend sprechen, irritiert dabei. Gerade der Jugendslang ist so schnelllebig, dass es nur schwer vorstellbar ist, dass er sich bis 2040 nicht verändert. Hier hätte mehr Gespür fürs Detail der Geschichte nicht geschadet.

Neue Formen

Der Roman erinnert in mancherlei Hinsicht an den Blog SchwarzRund. Beide zeichnen sich durch eine Mischung aus historischer Recherche, Reflexionen persönlicher Diskriminierungserfahrungen, Gedanken über gesellschaftliche Machtverhältnisse und politisch klare Positionierungen aus. Das Buch vom Blog unterscheidet neben der Narration auch das Spiel mit den Formen. Der Erzähltext wird immer wieder unerwartet von lyrikartigen Passagen im stream-of-consciousness-Modus unterbrochen, die sich durch ihre meist linksbündige (mal aber auch zentrierte) Ausrichtung vom restlichen Text abheben. So werden immer wieder neue, ausdrucksstarke Wege eingeschlagen, um von Gefühlen und Erinnerungen zu erzählen.

Nicht nur mit der Form, sondern auch mit der Sprache experimentiert Biskaya – und das mit sehr politischen Ambitionen, denn queer ist hier nicht nur die Figurenpalette, sondern auch die Sprache. Man liest etwa „mensch“ statt „man“; man liest „der Mama“ und geschlechtsneutrale Namen; man liest Gendersternchen und offensive Auslassungen der grammatischen Geschlechtszuweisung wie in „Mitbewohn_“. Nun sind diese Versuche sprachlicher Alternativen zu binären Geschlechtskategorien sicherlich kein Novum. Dennoch beschreitet Biskaya damit einen – zumindest in der Literatur – bislang noch wenig betretenen Pfad.

Vielversprechendes Potenzial

Der Roman ist ein wichtiger deutschsprachiger Beitrag zur afropolitanen Literatur, ist diese doch primär englischsprachig geprägt ist. Auch ist Biskaya mit seinen Themen, Erzählverfahren und Anliegen eine wahre Erfrischung in der Flut an Berlin-Romanen, in denen für gewöhnlich ein ums andere Mal die mythenumwobene Party-Szene nachgezeichnet wird und man den Figuren bei ihren Räuschen folgen darf [bzw. muss]. Nach der 2015 (online) erschienen Novelle Quasi ist Biskaya nun der zweite literarische Text der Autorin. Nicht nur ihr Roman, sondern auch der Umstand, dass sie nebenbei noch allerhand Weiteres wie Zines produziert, spricht von viel kreativem Potenzial. Ich bleibe gespannt auf Weiteres dieser Autorin – insbesondere auf Literarisches, das eine größere Distanz zum Blog wagt.

 

SchwarzRundBiskaya,
Zaglossus Verlag 2016,
350 Seiten, 14,95€.

Beiträge zur Indiebookchallenge #queeresBuch:

Beitrag I: Queer, Schwarz, rebellisch – Biskaya

Beitrag II: „Guapa“ von Saleem Haddad – ein mitreißendes Debüt

Beitrag III: Queer & Unerschrocken

Beitrag IV: Eine Liebe genderneutral erzählt – „Sphinx“ von Anne Garréta

Angie Martiens
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