Franz Hessels 100 Jahre alter Roman Pariser Romanze erschien 2012 als Sonderausgabe im Lilienfeld Verlag. Ein deutscher Soldat schreibt von der Front Briefe an einen französischen Freund und erzählt ihm sehnsüchtig von seiner Liebe zu Paris und einer unerfüllten letzten Romanze in der Hauptstadt Frankreichs.
von Anna Kröll
Nun hast du mich allein gelassen, die Weltgeschichte hat unser Gespräch unterbrochen, und ich muß mein Teil für Dich aufschreiben.
Im Rahmen der #indiebookchallenge zum Thema #gemäldecover habe ich von der Lilienfeldiana Reihe des Lilienfeldverlags den Briefroman „Pariser Romanze – Briefe eines Verschollenen“ von Franz Hessel gelesen. Die Reihe „präsentiert literarische Entdeckungen in besonders schöner Ausstattung […] in Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern“. Das Gemälde auf dem Cover ist Reformkleid von Simone Lucas und zeigt eine Frau, die in einem langen Kleid mit grünen Flecken an einer Tür steht. Ursprünglich erschien der Roman im Jahr 1920, er entstand also vor 100 Jahren kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Der Protagonist Arnold Wächter schickt Briefe von der Front an seinen Freund Claude.
Wozu rede ich Dir von meiner armseligen Gegenwart, anstatt das eine Erlebnis zu berichten, in dem ich Paris noch einmal neu besaß und fast verlor, noch ehe ich wie alle andern vom allgemeinen Schicksal daraus vertrieben wurde?
Aus der Heimat vertrieben
Bereits zu Anfang des ersten Briefs kommuniziert Wächter seine Abneigung gegenüber dem Krieg deutlich, in einer Zeit, in der sich ganz Europa im Rausch des Kämpfens befindet. Er träumt sich weg vom Krieg und zurück nach Frankreich. Gemeinsam mit dem im Brief angesprochenen Freund und anderen internationalen Freund:innen aus Ländern wie England oder Norwegen hatte der Deutsche in Paris eine gemeinsame selbstgewählte Heimat gefunden. Durch den Krieg wurden sie vertrieben, „alle sind wir verbannt. Denn nur Paris war unsere Stätte.“ Ihre gemeinsamen Pläne, unter anderem Reisen durch Europa, konnten sie nicht verwirklichen. Das Miteinander der Freund:innen vor dem Krieg ist der Zeit des als sinnlos beschriebenen Krieges gegenübergestellt, in dem die Nationen der Freund:innen zu Gegnern wurden.
Dies Sterben ist Sünde, dies Blut schreit zum Himmel.
Im Gegenzug zu Wächters tristen Beschreibungen des Lebens an der Front gleitet die Erzählung über in sehnsuchtsvolle, ausschweifende Erinnerungen an das lebensfrohe Paris, in das er sich zurückwünscht. Er erinnert sich außerdem an die Bekanntschaft und Romanze zu der neunzehnjährigen Deutschen Lotte, der er die Stadt näherbringt. Wächter entwickelt mit der Zeit eine Sicht auf die Stadt, die unabdinglich mit Lotte zusammenhängt.
Ich war nicht mehr mit der geliebten Stadt allein. Alle meine lieben Straßen, Plätze und Winkel […], es war alles nicht mehr mein, war nur dazu da, daß ich es der Lotte zeigte und das freudige Nicken ihres Hauptes oder das ablehnende Runzeln ihrer hellen Brauen sah.
Paris mit Ecken und Kanten
Wächter zeigt Lotte ein Paris aus verschiedensten Blickwinkeln, wodurch ihr und den Leser:innen ein sehr allumfassendes Bild der Stadt eröffnet wird – nicht nur das Leben der feinen Herrschaften mit alten Häuser und großen Plätzen, sondern vor allem das Leben inmitten der Menschen. So sehen sie z.B. draußen Leuten beim Spielen zu oder besuchen einen Jahrmarkt. Dabei sind die Beschreibungen der Stadtführungen nicht nur positiv. Das schöne unterhaltsame Treiben der Stadt vermischt sich mit tristen Momenten von existierenden sozialen Problemen wie Drogenkonsum. Zwischen den sehnsuchtsvollen Schwärmereien kommen so die Ecken und Kanten der Stadt zum Vorschein.
Das Hinauf und Hinab der hellen und düsteren, breitladenden und steilschraubenden Stiegen ist uns Traumwirbel und Traumfall.
Der Roman hat weniger einen Fokus auf Handlung als dass er sich hauptsächlich Beobachtungen des Protagonisten widmet, den Beschreibungen der Stadt sowie den anderen Charakteren. In Bezug auf Lotte kommt hier eine distanzierte Sicht zum Vorschein, „mir war sie Erscheinung. Schein war mir mehr geworden als Sein“. Er verliebt sich in die junge Frau, sieht sie jedoch als kindlich und ihm graut es davor, dass sie erwachsen werden würde. Physisch hält er Abstand von ihr und lässt mehrere potenziell romantische, annähernde Momente vergehen, bis es zu spät dafür ist, dass sich aus ihnen etwas entwickeln könnte. Sie verlässt Paris – er geht im Krieg verschollen.
Aber in eine Welt kann ich dich nicht führen; ich habe keine, ich hause in Ruinen vergangener Welten. Ich sehe wohl, wie das Alte um mich her verfällt. Aber ich kann nichts Neues aufbauen, ich habe keine Aufgabe.
Anschaulich und geistreich
Hessels beschreibender Stil hat mir sehr gut gefallen. Die Atmosphäre wird bildlich klar aufgebaut, um Paris so anschaulich wie möglich darzustellen. Als Leserin konnte ich mich gut in die damalige Stimmung hineinversetzen. Gleichzeitig gibt es philosophische Elemente, die eine tiefgründige Vorstellung von Leben und Sichten auf Dinge wiedergeben, aus dem Mund eines Protagonisten, der sich selbst „als Fremder am Rande des Lebens“ bezeichnet.
Es gibt nichts Vollkommeneres, Lotte, als das bloße Dasein, es kann nichts Besseres geben. Und lassen Sie uns doch Fremde in Paris sein. Ich bin schon vier Jahre hier und bleibe ein Fremder. Paris ist die leiblichste Stadt. Darum sind wir hier auch ganz Geist geworden.
Franz Hessel: Pariser Romanze. Briefe eines Verschollenen, Lilienfeld Verlag 2012.
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