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Im Gespräch mit Sina Pousset

Milla und Jan sind beste Freund*innen seit der frühen Kindheit und haben diverse Lebensphasen gemeinsam erlebt. Als Jan seine neue Partnerin Kristina zu einem gemeinsamen Urlaub mitbringt, beginnt die Freundschaft der beiden zu wanken. Was erstmal nach einer bekannten Dreiecksbeziehung klingt, ist viel mehr ein Eintauchen in die Lebensgeschichten dreier Figuren, von denen man unbedingt mehr erfahren möchte. Mit SCHWIMMEN legt Sina Pousset ein Romandebüt vor, das durch scharf gezeichnete Charaktere und einer besonderen Hingabe zur Sprache überzeugt. Die Journalistin und Autorin hat Kunst- und Literaturwissenschaft sowie Philosophie in Karlsruhe und Oxford studiert. Wie sie zum Schreiben gekommen und was Literatur für sie bedeutet, hat Sina Ann-Kathrin in einem ihrer Lieblingscafés, dem Bichou in Neukölln, verraten.

Sina Pousset, Schwimmen, Ullstein fünf
Sina Pousset im Café Bichou in Neukölln. Foto: Ann-Kathrin Canjé

Hallo Sina! Es sind nun einige Monate vergangen, seitdem Dein Roman SCHWIMMEN bei Ullstein Fünf erschienen ist. Wie fühlst Du Dich jetzt?
Es ist ein total schönes Gefühl und immer noch irreal, obwohl es jetzt bald schon über zwei Monate her ist. Wenn ich durch den Buchladen laufe und mein Buch im Regal sehe, ist das immer noch unwirklich. Es ging alles so schnell. Man ist entweder mit dem Schreiben beschäftigt oder mit der Überarbeitung, der Buchpremiere, dann der Buchmesse und hat gar nicht so viel Zeit, alles zu verarbeiten. Ich genieße es trotzdem sehr. Am tollsten ist, von Lesern zu hören, die das Buch mochten und die es wirklich berührt hat.

Stichwort Buchmesse: Du warst nun mit Deinem Roman zum ersten Mal dort. Wie war das?
Total spannend. Früher war ich nur privat auf der Buchmesse – das ist eine ganz andere Erfahrung. Ich bin sehr fasziniert von dieser Branche, von der ich nur einen kleinen Teil kenne. Ich mache ja eher den romantischsten Teil : das Im-Kämmerlein-Sitzen und schreiben. Diesmal hatte ich ein bisschen mehr den Blick von der Geschäftsseite. Was da alles passiert, hat mich total umgehauen, denn das ist eine intensive und produktive Zeit für den Verlag. Im letzten Jahr war ich schon einmal mit meinem Sachbuch dort, was auch großen Spaß gemacht hat. Zufällig war der Stand meines damaligen Verlages, Goldmann, direkt neben dem von Ullstein. Ullstein Fünf wurde da gerade gelauncht. Es war sehr schön, dort dieses Jahr mein Buch zu sehen.

In Deiner Geschichte geht es um Milla, Jan und Kristina. Was hat Dich an dieser Beziehungskonstellation interessiert?
Ich wollte hinter eine Freundschaft schauen und gucken, was da so steckt. Mich hat interessiert, dass sie sich alle auf eine Art auch brauchen. Milla und Jan sind in einer Art Symbiose aufgewachsen. Sie sind beide Menschen, die sich nicht richtig trauen, das zu machen was sie wollen – Kunst. Jan will eigentlich zeichnen, Milla will schreiben. Beide haben einen kindlichen Pakt geschlossen und sich geschworen, dass sie das irgendwann in einer fernen Zukunft umsetzen. Jan beendet ihn dadurch, dass er nach Frankfurt geht, um im Betrieb seines Vaters zu arbeiten. Kristina kommt da rein wie eine Flut. Sie steht für ein freies, künstlerisches Leben, traut sich alles und kennt das auch nicht anders. Sie ist der Teil, der beiden fehlt, das Chaos und die Unordnung.

Dein Roman behandelt viele Themen, etwa Mutterschaft, Krankheit, Tod. Alles Themen, die gesellschaftlich vielleicht zu selten und zu ungenau debattiert werden. Warum tauchen all diese Felder in SCHWIMMEN auf?
Es geht genau um diese Dinge, die man gerne im Leben wegschiebt, die schmerzhaft sind. Man will die Leser*innen nicht überladen oder belasten, aber es ist gut, sich die Dinge mal anzuschauen. Kristina leidet etwa an Borderline. Ein dummer Mischbegriff, wo vieles drunter fällt und eigentlich keiner genau weiß, was eigentlich mit ihr los ist. Mir ging es um den Bruch, den das Leben manchmal hat. Krankheit, psychische Probleme und Tod sind Dinge, die man gerne, gerade in so einer jungen Phase seines Lebens, ausklammert. Was passiert, wenn man dann damit konfrontiert wird – das hat mich interessiert.

In SCHWIMMEN steht die Großstadt zum kleinen französischen Dorf im starken Kontrast. Wieso reizen Dich Orte auch literarisch?
Ich mag, dass die Großstadt etwas ist, das für eine Möglichkeit steht. Jede Stadt stellt den Charakteren eine Aufgabe. Jan ist im erfolgsorientierten Frankfurt und Milla in einer kreativen Stadt, in beiden Städten wird ihnen vorgemacht, wie sie zu leben haben. Und beide schaffen es dort nicht so richtig, obwohl sie die Möglichkeiten hätten, sich auszuleben. Was mich an dem isolierten Haus in Frankreich so fasziniert hat, war einfach, dass die Charaktere sehr reduziert ohne viel drum rum aufeinander treffen. Das hat eine Art psychologische Wirkung, die sich entfalten kann, da sie völlig aus ihrem Umfeld rausgerissen werden. Dieses Haus steht für ihre Kindheit und das Leben, dass sie sich damals erträumt haben. Als Erwachsene kommen sie zurück und merken: Das ist gar nicht wahr geworden. Sie müssen sich von ihrer Kindheit und auch ihrer „Geschwister-Beziehung“ verabschieden. Dieser Ort ist auch wie Kristina ein Katalysator, der vieles an die Oberfläche bringt.

 

Sina Pousset, Schwimmen, Ullstein fünf
Foto: Ann-Kathrin Canjé

Was sprachlich besonders an Deinem Roman auffällt, sind die Passagen, in denen Du aus der Vergangenheit erzählst, Erinnerungen schilderst und diese im Präsens schreibst. Woher kommt das?
Die Idee mit dem Präsens ist bei mir durch eine Abneigung zum Präteritum entstanden. Jede oder jeder, der zum ersten Mal ein Buch schreibt, fragt sich vielleicht: Wie geht das überhaupt? Und orientiert sich dabei möglicherweise an Vorbildern. Gerade in klassischer Literatur ist das Präteritum ein sehr mächtiges Instrument. Es ist eine künstliche Form, die wir beim Sprechen eigentlich abgelegt haben und die Literatur total vom Leben abgrenzt und auch die Geschichte von den Leser*innen sehr distanziert. Das hat mich aufgeregt.
Ich wollte, dass die Geschichte etwas Unmittelbares hat. Lesen ist etwas Gleichzeitiges, so wie Schreiben und Erinnern auch. Das finde ich das Schöne an Erinnerungen: Du gehst eine Straße entlang und hast einen Geruch in der Nase und sofort ist die Erinnerung da. Das passiert unmittelbar. Wenn man sich erinnert, erinnert man im Präsens. Das Schreiben näher ans Leben bringen – das wollte ich. Das ist auch eine Aufgabe von junger Literatur: Sich überlegen, was man anders machen sollte.

Behind the book: Wie lief die Zusammenarbeit mit Deiner Lektorin Aylin Salzmann ab?
Meine Lektorin ist die Tollste! Aylin kannte den Text schon vor vier Jahren, als er noch sehr roh war. Damals arbeitete sie noch als Literaturagentin und noch gar nicht im Verlag. Sie hat mir einfach angeboten, mal etwas von mir zu lesen. Das ist natürlich das Aufregendste, was überhaupt passieren kann. Dass, wenn man anfängt zu schreiben, jemand der sich auskennt, einem sowas anbietet. Ich hatte mir damals nur erhofft, dass sie mir irgendeinen Rat gibt. Aber sie hat der Text gleich so berührt, dass sie wirklich nicht mehr locker gelassen hat, bis wir zusammen dieses Buch rausgebracht haben.

Dein Roman ist in der neuen Reihe “Ullstein fünf” erschienen. Welchen Roman der anderen Autor*innen dieser Reihe hast Du denn gelesen und kannst Du empfehlen?
Ich finde es extrem schwer, da jemanden rauszupicken. Jede*r in dieser Reihe hat seine Qualität und eine einzigartige Sprache und Geschichte. Ich muss gestehen, dass ich noch nicht alles gelesen habe und ich glaube, das geht den anderen auch so. Sehr gefallen haben mir Svenja Gräfens „Das Rauschen in unseren Köpfen“ und Ada Dorians „Betrunkene Bäume“.

Was sind Deine literarischen Ambitionen? Würdest Du gerne mal beim Bachmannpreis lesen oder ist Dir so etwas nicht wichtig?
Vor dem Bachmannpreis habe ich großen Respekt – vielleicht ist das falsch. Aber mit dem allerersten, das ich in die Welt getragen habe, vor eine Jury zu treten und zu hören was alles schlecht daran ist, finde ich extrem hart. Dabei muss man immer in Gedanken behalten, dass Literatur etwas sehr Subjektives ist. Die Funktion des Kritikers ist wichtig, aber noch wichtiger ist mir die der Lesenden. Für mich ist es das Schönste, wenn jemand mein Buch liest und berührt ist. Das ist eine sehr romantische Vorstellung, aber für mich war das bis jetzt die größte Bestätigung.

Welche Fragen möchtest Du selbst nicht mehr in einem Interview gestellt bekommen?
Die Frage nach der eigenen Biografie in Zusammenhang mit meinem Buch. Natürlich geht es auch in Facetten um mich, aber diese Frage nervt.

Verständlich. Und welche würdest Du als Journalistin selbst unbedingt gerne mal stellen?
Das kommt natürlich sehr auf den Menschen an. Mich interessieren die Orte, an denen Menschen schreiben und ihr Schreibprozess. So etwas wie Tagesrhythmen. Manche schreiben ja nur nachts, nur im Bett oder nur mit Tee oder nach der vierten Zigarette.

Und wo versteckt sich Dein Lieblingsplatz zum Schreiben?
Mein Lieblingsschreibplatz befand sich in München. Dort habe ich zur Zwischenmiete in einer ganz kleinen Dachgeschosswohnung gelebt. Die war im fünften Stock und ich hatte eine Fensterbank, und konnte über die ganze Stadt gucken. Das war ein wunderschöner Platz. Während ich morgens schrieb, ist die Stadt vor mir aufgewacht.

Vielleicht die schwerste Frage zum Schluss: Was bedeutet Literatur persönlich für Dich?
Literatur ist eine endlose Möglichkeit, die endlose Möglichkeit, in andere Leben einzutauchen. Schreibend, aber natürlich auch als Leserin. Es steckt immer ein Mensch dahinter, den man auf jeder Seite spürt. Außerdem gibt jede*r Leser*in jedem Buch auch einen anderen Sinn. Ich finde, das ist eine riesige Leistung von Literatur – diese Brücke zwischen Leser*in und Autor*in. Es ist ein verzögerter Gedankenaustausch.

Was kann Literatur bewirken?
Ich glaube, dass Literatur Leben verändern kann. Sie kann die Gesellschaft bewegen. Orwells „1984“ zum Beispiel, das gerade quasi wahr wird. Es ist unglaublich, was Literatur leisten kann und wie sehr Texte helfen zu verstehen, was gerade in unserer Gesellschaft passiert. Und Literatur ist eben auch dazu da, auf etwas aufmerksam zu machen, das sonst keinen Platz findet und nicht genug gehört wird.

Danke für das Gespräch, liebe Sina!

Schwimmen, Sina Pousset, Ullstein fünf (2017) 224 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag

Hier könnt ihr ein Interview von Sina Pousset im Gespräch mit ihrer Lektorin Aylin Salzmann nachlesen, das auf dem Ullstein-Verlagsblog Resonanzboden erschienen ist.

Ann-Kathrin Canjé
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