Eine Treppe und noch eine Treppe – und dann noch eine Treppe und wir sind oben in der schönen Altbauwohnung von Julia Wolf. Die Autorin des Romans Alles ist jetzt hat uns zu sich in den Berliner Wedding eingeladen, um von ihren jüngsten Erfahrungen im Schreib-Business zu erzählen.
Wusstest du schon immer, dass du Autorin werden wolltest?
Das Schreiben war schon immer ein Teil meines Lebens, aber mir war lange nicht klar, dass ich Autorin werden wollte. Ich habe relativ lange studiert und nebenbei viel gearbeitet, zum Beispiel fürs Radio und fürs Theater. Mit dem Roman habe ich dann aber beschlossen, alles auf eine Karte zu setzen und nicht mehr nur nebenbei zu schreiben.
Hat sich nach der Veröffentlichung von Alles ist jetzt viel für dich verändert?
Das ist alles noch total frisch. Ich erinnere mich noch an die Leipziger Buchmesse im März. Am ersten Tag stand ich einfach nur da und dachte: Was denkst du dir eigentlich, was du da machst?! Es gibt so viele Neuerscheinungen! Und jetzt freue ich mich wirklich sehr über die Aufmerksamkeit, die der Roman momentan bekommt.
Wie war es für dich, zum ersten Mal gemeinsam mit dem Verlag am Text zu arbeiten?
Das ist mir viel schwerer gefallen, als ich erwartet hätte. Ich dachte, ich bin ganz offen und mache alles mit. Aber dann habe ich die Anmerkungen im Text gesehen und meine erste Reaktion war: Neein! Das kann nicht euer Ernst sein! (lacht) Aber dann im Gespräch mit meiner Lektorin, habe ich gemerkt, dass sie den Text an manchen Stellen sogar noch besser verstanden hat, als ich. Das war echt toll. Ich wollte mit dem Buch gerne zur Frankfurter Verlagsanstalt und war dann auch sehr glücklich mit dem Lektorat.
Lässt du dich beim Schreiben von anderer Literatur beeinflussen?
Lesen ist fürs Schreiben ganz wichtig! Ich gucke gerne, wie andere Autorinnen und Autoren etwas machen und lasse es auf mich wirken. Für Alles ist jetzt habe ich vor allem viel amerikanische Literatur gelesen, insbesondere die klassischen Coming of Age Geschichten, wie The Bell Jar von Sylvia Plath, da es in meinem Roman um die Entwicklung einer jungen Frau geht.
In deinem Roman gibt es auch Hinweise auf die Literatur von Irmgard Keun und Anaïs Nin, wobei du ihre Namen aber nie direkt nennst.
Das ist ein Grundprinzip des Buches. Auch Städtenamen werden nicht genannt. Ich hab irgendwann gemerkt, dass ich die Abstraktion mag, die sich daraus ergibt, wenn ich zum Beispiel Orte nicht konkret benenne. Dieses Spiel mit den Umschreibungen hatte mich für mich einen großen Reiz. Und es funktioniert! Die meisten Leute erkennen, wer oder was gemeint ist.
Am ersten Tag stand ich einfach nur da und dachte: Was denkst du dir eigentlich, was du da machst?!
Auffällig sind bei dir auch Sätze wie: Der Sommer, in dem. Woher nimmst du das Vertrauen, einen Satz einfach abbrechen zu lassen?
Das ist reine Intuition. Wenn ich ein Satz nicht zu Ende bringe, wird in den darauf folgenden Sätzen darauf Bezug genommen und so gelingt es mir die Dinge sprachlich einzukreisen.
Was bedeutet der Titel Alles ist jetzt für dich?
Die Textzeile taucht unter anderem in dem Moment auf, als die Protagonistin, Ingrid, ihr Elternhaus nach langer Zeit erneut betritt. Es ist dieses Gefühl, dass alles da ist und die Erinnerungen nicht in der Vergangenheit liegen, sondern immer bei ihr sind. Und auch sprachlich ist alles gleichwertig, da jede Passage im Präsens geschrieben ist und es keine zeitliche Hierarchie zwischen den Dingen gibt.
Deine Protagonistin arbeitet am Tresen einer Live-Sex-Bar. Wie bist du bei der Recherche für den Roman vorgegangen? Warst du selber in so einer Bar?
Es gibt tatsächlich total wenige Live-Sex-Bars. Ich weiß, dass es in Hamburg welche gibt und hatte anfangs vor, mir das mal anzusehen. Aber dann hab ich gemerkt, dass das nicht nötig war. Ich bin viel im Frankfurter Bahnhofsviertel spazieren gegangen und hab mir dort die Leute angesehen. Vor allem aber habe ich mir viel Pornografie im Netz angeguckt – einfach, um einen Zugang zu diesen teilweise sehr krassen Bildern zu finden.
Denkst du, dass die Pornos sich auf deine Sprache ausgewirkt haben?
Ich glaube schon, ja. Die größte Herausforderung war es, eine Sprache für das Sexuelle zu finden. Ich hatte den Anspruch, dass die Sprache poetisch bleibt und das ganze nicht einfach nur platt abbildet.
Wie lange hast du insgesamt an dem Roman geschrieben?
Die allererste Szene, mit der ich mich damals beim Literarischen Colloquium für die Autorenwerkstatt Prosa beworben habe, schrieb ich tatsächlich mit 16 im Keller meines Elternhauses. Während meiner Zeit am LCB habe ich dann eine erste Fassung erarbeitet, die ich aber nicht sehr mochte. Schließlich habe ich erst mal eine Pause gemacht und das Manuskript erst mit Ende 20 habe wieder hervorgekramt. Von da an habe ich mit Unterbrechungen noch mal 3-4 Jahre an dem Roman geschrieben.
Obwohl es in dem Roman keine zeitliche Hierarchie zwischen damals und heute gibt, geht es inhaltlich darum, wie sich Ingrid über die Jahre verändert. Würdest du sagen, dass du selber während des Schreibens eine Entwicklung durchlaufen hast?
In der Tat. Es gab eine Rezension im Tagesspiegel, in der stand, dass es sich bei Alles ist jetzt nicht nur um ein Coming of Age der Figur handelt, sondern auch um das der Autorin. Das fand ich sehr schön und treffend.
Die größte Herausforderung war es, eine Sprache für das Sexuelle zu finden. Ich hatte den Anspruch, dass die Sprache poetisch bleibt und das ganze nicht einfach nur platt abbildet.
Gibt es noch Stellen im Roman, an denen die 16-jährige Julia zu erkennen ist?
Ich glaub nicht, dass man eindeutig einzelne Stellen im Roman ausmachen kann. Aber immer wenn dieses Gefühl der Verlorenheit in der Welt zum Vorschein kommt, dann stammt dies wahrscheinlich von der 16-jährigen Julia und nicht von der, die ich jetzt bin. Es steckt ja schon viel Weltschmerz in diesem Buch. (lacht)
Wie soll es nach Alles ist jetzt weitergehen?
Alles ist jetzt ist der erste Teil einer Trilogie. Und nun arbeite ich an dem zweiten Teil. Es ist aber nicht so, dass Figuren eins zu eins wieder auftauchen oder Erzählstränge weitergeführt werden. Zudem möchte diesmal etwas komplett anderes mit der Erzählhaltung machen. Ich will weg von dem distanzierten Erzählton und hin zum genauen Gegenteil: dem inneren Monolog. Die Verbindung zwischen den drei Büchern ist somit nicht offensichtlich, sondern besteht vielmehr über die Variationen von Motiven und Themen.
Was ist für dich das Tollste, und was das Schrecklichste an deinem Beruf?
Mmmh
Vielleicht erst einmal das Tollste?
Mir ist erst mal das Schrecklichste eingefallen!
Das Schrecklichste ist, mit der Arbeit immer auf sich selbst zurück geworfen zu sein. Wenn es mal nicht so gut läuft mit dem Schreiben, steigere mich in die Situation schnell hinein – und das kann sehr destruktiv sein.
Und was ist das Tollste daran, Autorin zu sein?
Das aller Tollste ist einfach das Gefühl, wenn ein Text „funktioniert“ – wenn sich ein gewisser Rhythmus herauskristallisiert und die Figuren sich lebendig anfühlen.
Vielen Dank an Julia Wolf für das nette Gespräch!
Hier geht es zur Rezension von Alles ist jetzt.
- Im Gespräch mit dem Korbinian Verlag - 23. August 2016
- Lesungsfetzen*: Teresa Präauer – „Oh Schimmi“ - 20. Juli 2016
- jung & unabhängig: KOOKread - 17. Juni 2016