Im Kollektiv BR*OTHER ISSUES treten die beiden Performance-Künstler Johannes von Dassel und Moritz Sauer als Zwillinge auf. Sie sind schwule Männer, um genau zu sein sogenannte Twinks. Das steht im Szenejargon für schlank, unbehaart, junggeblieben und weiß, wie sie in ihrer ersten gemeinsamen Performance WINK’N TWINK im TiK Nord erklären. Twinks sind dadurch zugleich gesellschaftlich privilegiert und als von der Heteronorm Abweichende benachteiligt. Zwischen schwulem Klatsch und Tratsch bringen das die beiden Darsteller ziemlich genau auf den Punkt, obwohl sie das Performen auf der Bühne nach eigener Aussage mehr für sich selbst machen. Ich habe Tränen gelacht und war doch auch zu Tränen gerührt, als Johannes und Moritz beim tabulosen Berichten über ihre ersten sexuellen Erfahrungen plötzlich sehr zerbrechlich wirken.
Am Freitag, 23. März 2018, kann man das Stück noch einmal im TiK Nord sehen. Im Sommer wollen BR*OTHER ISSUES dort dann schon mit einer zweiten Performance-Folge an den Start gehen. Mein Treffen mit ihnen im Südblock am Kottbusser Tor war fast genauso aufregend, laut, witzig und lehrreich wie ihr Stück.
Eure erste gemeinsame Performance nennt ihr WINK’N TWINK. In drei Wörtern und einem Satz: Worum geht’s?
Moritz: Hmm … du fängst an, Johannes!
Johannes: Um’s Weißsein!
Moritz: Um Sexualitäten.
Beide: … und uns!
Johannes: Die Zwillinge Moritz und Johannes finden in ihrem Materialtest für ihre erste YouTube-Sendung übereinander Sachen heraus. Wir sind quasi Zwillinge, aber lernen uns eigentlich erst kennen. Mehr wollen wir da nicht verraten.
In Literatur und Theater gibt es oft die Forderung nach Authentizität. Nun seid ihr ja im wirklichen Leben weder Zwillinge, noch lernt ihr euch gerade erst kennen. Wie wichtig ist es euch, auf der Bühne etwas zu zeigen, das ihr persönlich erlebt habt? Spielt ihr auch erfundene Geschichten oder die Geschichten anderer?
Johannes: Alles was wir bearbeiten hat für uns persönliche Relevanz, dadurch dass wir Dinge erlebt haben. Wir erzählen aber nicht ausschließlich, eins zu eins unsere Erlebnisse, sondern abstrahieren ausgehend davon in eine Geschichte, ein Bild oder eine Handlung.
Moritz: Es ist aber auch nicht so, dass wir nur persönlich arbeiten, sondern auch theoretisch. An der Schnittstelle Biografie–Theorie sozusagen.
Im Stück seid ihr sehr ungleiche, schwule Zwillinge. Moritz ist eher der nymphomanische Dating-App-Kandidat und Johannes das ungeoutete Mauerblümchen. War diese Aufteilung von Anfang an klar?
Moritz: Ich würde sagen ja.
Johannes: (lacht) Nein!
Moritz: Wir sind sehr unterschiedlich. Bei jeder Fragestellung sind wir erst mal konträrer Meinung. Und das ist für uns grandios, weil wir dadurch von einander lernen und wir uns tatsächlich bei den Proben immer noch ein Stückchen besser kennenlernen. Darauf fußen unsere Rollen.
Was wollt ihr mit eurer Performance-Kunst erreichen?
Moritz: (lacht) Fame!
Johannes: Da haben wir wahrscheinlich auch wieder unterschiedliche Meinungen, aber für mich ist das Performen so eine Art Selbstgespräch vor Menschen. Und ich hoffe, dass da etwas erkannt wird.
Moritz: Ich glaube, dass alle bescheuerten, lustigen und seltsamen Szenen, die wir gebaut haben, beim Publikum etwas wachrufen. Und dabei geht es nicht nur darum, dass schwule Männer sich im Stück widergespiegelt sehen! Bei jedem kann etwas getriggert werden.
Oh mein Gott, wir wussten auf einmal was top und bottom ist!
Oft kommt es mir so vor, als sei kritisches Theater eine Art Meinungs-Selbstbespiegelung. Die Leute, die zu einem Stück kommen, werden nicht aufgeklärt, sondern sind eh schon gleicher Meinung mit dem Gezeigten und Expert*innen auf dem Themengebiet. Der Theaterabend wird zur Selbstbestätigung. Menschen aus anderen Bereichen werden nicht erreicht.
Moritz: Gerade bei der letzten Vorstellung waren neben unseren Freunden auch viele Stammgäste des TiK da, die vorher keine Ahnung hatten, worum es in der Performance geht und die danach zu uns kamen und sagten, sie hätten viel gelernt.
Johannes: Die waren dann so: „Oh mein Gott, wir wussten auf einmal was top und bottom ist!“
Moritz: Also auch Leute, die wir nicht persönlich kennen, fanden den Abend berührend, obwohl unsere Inhalte ganz andere als die ihrer Realität sind. Sie haben also nicht gesagt: „Damit habe ich gar nichts zu tun, da mache ich zu.“ Wenn wir das Glück haben und die Leute uns auf der Bühne sympathisch finden, dann können wir auch viel rüberbringen und vermitteln.
Johannes: Bühne ist halt auch voll die gute Fläche, um einfach mal Sachen sagen zu können, die man sich sonst nicht traut zu sagen. Ich habe Moritz zum Beispiel während unseres fünfwöchigen Probenprozesses, einfach weil ich wusste, das ist jetzt unsere Arbeit, Dinge gesagt, die ich ihm vorher noch nicht erzählt hatte. Wenn ich Texte schreibe, gibt mir das einen Raum, in dem ich Dinge verhandeln kann, über die ich mich nicht traue, direkt mit Leuten zu reden. WINK’N TWINK finanzieren wir größtenteils selbst, deshalb machen wir das auch für uns. Und gerade Themen wie Weißsein verhandeln auch echt wenig Leute in meinem Umfeld.
Die behandelten Themen sind alle welche, die uns beschäftigen, zu denen wir es aber trotzdem schwer finden, eine Meinung zu formulieren. Deshalb ist es total angenehm, so einen Abend zu machen, der länger dauert als eine allein stehende Aussage.
Ich liebe schreiben, weil ich dort ich selbst sein und schonungslos alles aussprechen kann – das geht mit den wenigsten Menschen, weil man entweder Angst vor ihren Reaktionen hat oder die Leute einen nicht richtig wahrnehmen.
Ich habe bei der Vorstellung viel gelacht. Warum ist euer Stück trotz ernstzunehmender Themen so witzig?
Moritz: Ich habe einfach wahnsinnig Bock, mich auf der Bühne zum Affen zu machen (lacht). Mir macht es Freude, Themen – egal welche – mit Humor anzugehen. Als Figur auf der Bühne will ich mich ernst nehmen können, aber kein wahnsinniges Gewicht auf meinen Schultern tragen.
Warum Theater? Ist das heute noch ein guter Weg, wenn man etwas mitteilen möchte?
Johannes: Ich finde viele Dinge, die ich bisher in meinem Leben machen musste, echt doof und langweilig. Theater hingegen bringt mir Freude. Ich liebe schreiben, weil ich dort ich selbst sein und schonungslos alles aussprechen kann – das geht mit den wenigsten Menschen, weil man entweder Angst vor ihren Reaktionen hat oder die Leute einen nicht richtig wahrnehmen. Beim Schreiben ist das anders. Wenn die Texte aber nur geschrieben sind und nicht gelesen werden, sind sie tot, habe ich das Gefühl. Wenn man auf einer Bühne steht und etwas mit den Texten macht, kommt Leben rein. Auf der Bühne zu stehen finde ich sehr ehrlich, aber auch albern – und das gefällt mir. Ich habe das Gefühl, im Alltag darf man das beides oft nicht so zulassen. Dabei ist Lachen so befreiend! Und das heißt nicht, dass man nicht auch etwas Tiefgehendes machen kann. Aber man tut den Zuschauern einen größeren Gefallen, wenn man was Lustiges macht, glaube ich.
Wie habt ihr gelernt, ein Stück auf die Beine zu stellen? Hat euch ein Studium dabei geholfen?
Moritz: Ich habe gar nicht studiert bisher und ich bin mir auch nicht sicher, ob das noch kommt. Ich hab durch Zufall über ein Projekt von Freund*innen angefangen, Theater zu machen, wurde dann Regieassistent und hatte wahnsinnig Freude daran. Theater oder Performance sind immer sehr kommunikativ. Und das Zusammenarbeiten mit Leuten an einem Stück hat mir immer sehr gutgetan. Im Gegensatz zum alleine Schreiben hat man sofort jemanden zum Austauschen. Bei WINK’N TWINK haben wir uns morgens getroffen und nachmittags bis abends Texte geschrieben, die wir dann am nächsten Tag gemeinsam wieder auseinandergenommen und neu zusammengesetzt haben. Das war ein toller Prozess.
Und wie war das bei dir?
Johannes: Studiert habe ich freie Kunst – und im Studium hatte ich das Gefühl, alle tun immer so, als hätten sie mega viel Ahnung von einem Thema, das eigentlich extrem leer ist. Ich wurde dafür immer als Bauerntrottel abgestempelt. Trotzdem habe ich dann gemacht, wovor ich am meisten Angst hatte: Schreiben – und es Leuten zu zeigen. Und weil die Kunstleute tatsächlich aber alle zu faul waren, meine Texte zu lesen, habe ich dann im dritten Semester gedacht: „Dann zwinge ich euch, sie zu hören!“, und habe angefangen Performances auf diesen Texten basierend zu machen. Da habe ich wenigstens mal Resonanz gekriegt.
Jetzt noch eine Frage, die mir schon lange unter den Nägeln brennt: Wie habt ihr zueinander gefunden? Und zwar so, dass am Ende eine Performance dabei herauskam?
Johannes: Moritz, ich habe dich zum ersten Mal in der Brunnenstraße gesehen, als du in deinem langen, schwarzen Pelzmantel ankamst, auf meinen Boyfriend zuliefst und ihn zur Begrüßung auf den Mund geküsst hast. Ich war nur so: Biiiitte, wer ist das?
Moritz: (lacht) Wenn Leute beschreiben, wie sie mich kennengelernt haben, sagen alle immer: „Du warst sehr laut!“
Johannes: Du warst nicht laut, aber du hast meinen Boyfriend unsittlich berührt! Also hatte ich kurz Hass auf dich …
Moritz: Das höre ich zum ersten Mal. Ich schwöre!
Johannes: Und das nächste Mal habe ich dich dann in meiner Hospitanz am Theater getroffen.
Moritz: Du warst mein Hospitant, I owned you!
Johannes: Und eigentlich haben wir da am ersten Tag schon relativ schnell abgefaggt. Kurzer Blick, fag, fag, toll!
Moritz: Und dort haben wir dann irgendwann einfach angefangen, Leuten zu erzählen, dass wir Brüder seien.
Johannes: Ne, das war andersrum! Zu mir sind ständig Leute gekommen, die mich mit „Moritz“ angeredet haben.
Moritz: Und mittlerweile denken sogar schon gute Freunde von mir, Johannes sei mein Bruder! Wir haben beide keinen Bart, runde Brillen, sind gleich groß, weiß und super faggy.
Was würdet ihr Menschen mit auf den Weg geben, die auch Theatermacher*innen werden wollen?
Johannes: Einfach machen!
So lange ich lebe, werde ich wahrscheinlich Angst haben, dass der nächste Job nicht kommt.
In eurer nächsten Performance HONEY’N NUNNEY soll es neben Familie vor allem um Zukunft und Ängste gehen. Habt ihr selbst als Künstler auch manchmal Angst vor der Zukunft?
Beide lachen.
Moritz: Natürlich! Da hilft nicht mal Therapie! Aber ich habe das Glück, mit Leuten zusammenzuarbeiten, mit denen es mir Freude macht und ich möchte weiterhin so arbeiten. So lange ich lebe, werde ich wahrscheinlich Angst haben, dass der nächste Job nicht kommt. Und ich muss mir die Jobs ja selber ausdenken! Da kommt keiner zu dir und sagt: „Hey, wir haben da so ein fertig finanziertes Projekt. You wanna come?“ Ich bekomme aber auch gerade Geld vom Jobcenter.
Johannes: Ich habe permanent Angst, dass ich nächsten Monat meine Miete nicht zahlen kann.
Ihr seid echt mutig und stark.
Moritz: Oder einfach wahnsinnig große Idioten.
Johannes: Dummheit und Naivität überwiegen auch bei mir.
Moritz: Bei dir auf jeden Fall!
Zu guter Letzt: Gibt es andere Stücke – außer eurem natürlich –, die ihr unseren Leser*innen ans Herz legen möchtet?
Moritz: Ich war gestern mal wieder bei Gob Squad und habe einfach wahnsinnig Freude bei denen.
Johannes: Ich empfehle Miet Warlop. Fruits of Labor ist so gut! Ich habe mir fast in die Hose gekackt vor Gutheit!
Moritz: Bestellen wir jetzt endlich Bier?
Bin dabei! Vielen Dank für das Gespräch.
WINK'N TWINK feiert am Freitag, 23. März 2018 Derniere. Eintritt 8 Euro, ermäßigt 5 Euro. Mit der Folge-Performance HONEY'N NUNNEY wollen BR*OTHER ISSUES im Sommer am TiK Nord Premiere feiern.
- Und was macht man damit? #24 Sinah Swyter - 21. Juni 2018
- Im Gespräch mit BR*OTHER ISSUES - 22. März 2018
- Vor Frust „außer sich“ vor Freude - 10. September 2017