Heinz Strunk legt mit seinem neuen Buch eine ebenso monotone wie grandiose Neuerscheinung vor. Seine Romane sind wie ein guter Whiskey. Mit seinem kräftige Aroma kein Highlight für jeden Gaumen, jedoch stets mit Hingabe und Leidenschaft hergestellt. Wer den feinen Tropfen goutiert, kennt seinen Wert und will ihn nicht mehr missen.
von Viktoria Feldhaus
Wenn Strunks Gesamtwerk also eine schöne Flasche Glenfarclas ist, dann ist sein 2019 erschienenes Buch Nach Notat zu Bett das kleine Stückchen Herrenschokolade mit mindestens sechzigprozentigem Kakaoanteil, das den Geschmack abrundet und verfeinert. Seit 2015 veröffentlicht Strunk als Kolumnist des Satiremagazins Titanic seine Intimschatulle mit Einblicken in das vermeintlich eigene Alltagsleben. Nun hat er diese Texte auf knapp 250 Seiten zu einem Buch komponiert.
22.06.: Was muss eigentlich passieren, damit ich mich mal wohlfühle? Ein richtiges Scheißleben ist das.
Ein Jahr begleiten wir den Ich-Erzähler Heinz Strunk durch sein Leben. Ort? Hamburg. Das Jahr? Fiktiv. Die Begegnungen? Wahrscheinlich alle erfunden. Zum ersten Mal bekommen die Leser*innen eine Vorstellung davon, wer der echte Mathias Halfpape, so Strunks bürgerlicher Name, eigentlich sein könnte. Hier präsentiert er sich monoton als larmoyanter, ständig schlecht gelaunter genialer Loser. Er bewegt sich im immer gleichen Rhythmus zwischen seiner Wohnung, seinem Stammcafé und Restaurant und will endlich den literarischen Durchbruch schaffen. Deutlicher können wir ihn uns nicht vorstellen.
05.04.: Man kann sich nur schämen, dass man selbst zu schreiben wagt.
Strunks literarisches Ich (ist er es „selbst“?) changiert permanent zwischen Größenwahnsinn und Bescheidenheit in der „Mehlsoße schrecklicher Mittelmäßigkeit“. Das unablässige Gejammer und der überhebliche Hochmut – das provoziert. Aber diese Arroganz ist sympathisch – denn seine Beobachtungen sind so genau und richtig, dass sie legitim sind. Hier stehen sich Kritik am duseligen Fernsehbetrieb und literarischem Wischiwaschi der Kollegen („So ein verpisstes Kackbuch krieg ich schon lange hin, das wichs ich in vier Wochen zusammen.“) und Kleinstapelei der eigenen kreativen Arbeit gegenüber, die unangemessen und kaum auszuhalten ist. Und wäre es nicht so genial gut geschrieben, würde man ihm gerne das Maul stopfen. Denn eigentlich kennt Strunk seinen Platz und weiß um seine schriftstellerische Qualität. Die Arbeit an seinem Tagebuch wird zur Methode der eigenen Selbsttherapie, sein Hadern zwischen Schreiblust und Schreibfrust ist lustvoll übertrieben. Der Ich-Erzähler Strunk ist teilweise trübsinnig, dann voll von schwarzhumoriger Abscheu vor menschlichen Abarten und Abgründen – auch den eigenen. Aber niemals schreibt er in resignativem Lamento, sondern in einer ständigen Erwartungshaltung, dass da noch etwas Größeres, etwas Besseres kommen könnte.
02.01.: Nur dann zu schreiben, wenn man Lust dazu hat, ist das beste Mittel, sein Werk niemals zu schaffen.
Die Tagebuchform, die er gewählt hat, ist dabei perfekt für Strunks literarische Bedürfnisse geeignet. Sie ist dreierlei: ein Manifest, ein offener Denkraum zum Zwecke der Selbstreflektion und stellenweise auch noch Kommentar der eigenen Gattung:
18.07.: Warum liest man in den Tagebüchern anderer? Weil man wissen will, wie die das Leben gemeistert haben. Woran sie gescheitert sind. Und man selbst? Macht man es besser, hat man mehr Glück?
Ganz schön deep. Und keineswegs zufällig.
Bereits 2016 wurde Heinz Strunk mit der Veröffentlichung seines Romans Der goldene Handschuh für seine Sorgfalt und Disziplin bei der Recherche mehrfach ausgezeichnet. Dass auch dieser Tagebuchroman ein Ergebnis akribischer Vorbereitung ist, zeigt er, indem er die ganz Großen, darunter Thomas Mann, J.M. Coetzee, Franz Kafka und Baudelaire zu Wort kommen lässt und ihre Credos zum eigenen Lebensmotto macht. Er recherchiert mitunter sogar in originalen Kochbüchern aus den 1920er Jahren und entwirft überhaupt gerne von sich selbst das Bild eines Desperate Houseman.
21.10.: Heinz Strunk – der Abstecher lohnt.
Strunk selber führt keinen Instagramaccount, aber im Roman reihen sich hashtagreife Anglizismen an Wörter, die sich nicht dem Diktat der deutschen Rechtschreibreform unterwerfen (phantastisch!). Hamburger Schnack vom Feinsten. Überhaupt ist der ganze Text sehr collagenhaft und steht an Buntheit und Bildhaftigkeit einem verrückten Social Media Feed in Nichts nach. Manch einer mag Strunk vorwerfen, was er niederschreibt, sei „Gedankenwichs“ für den „Apfel Mülleimer“. Man kann das aber auch ganz anders sehen: Strunks Text ist ein Panoptikum an präziser Beobachtungsgabe („25.01.: Komplett in Beige der ganze Mann! Hose, Schuhe, Hemd, Jacke und natürlich die charakteristische Trucker-/Rentner-(Cargo-)weste in einer Beige-Hellbraun-Ocker-Sandfarben-Kombination. Oberbegriff: Sauerkrautpalette.“), absurden Anekdoten, Nonsens-Schnipseln (16.05.: „Lustige Vorstellung, an der Tür ein Post-it: ‚Herein, ich habe mich erhängt.‘ Man tritt ein, und es stimmt.“) und schwachsinniger Kalendersprüche (23.03.: „Ein chinesisches Sprichwort: ‚Besser ein zerbrochenes Stück Jade als ein unversehrter Ziegelstein.‘ Klingt richtig.“). Strunk entwirft Szenarien und stellt genialere Fragen als ein Kind bei einer langweiligen Autofahrt: „09.02.: „Gedanke: Wie könnte die fadeste Pizza heißen? Laura. Pizza Laura. […] Alternativclaim: ‚Pizza Laura – und aus Muskeln werden fett.‘“ Anarcho-Humor gespickt mit Ausflügen in die Poesie. Als Leser*in fragt man sich nicht: Worüber lache ich hier eigentlich? Sondern: Worüber lache ich hier eigentlich nicht?
Die einzige schlechte Nachricht: Der literarische Text kann mit der Hörbuchversion in nuschel-nöligem Hamburger Dialekt, die der Autor selber eingesprochen hat, nicht mithalten.
Strunk gelingt ein popkultureller Paukenschlag mit trashigem Unterton, der in einem tragikomischen Tusch endet. Besser geht’s nicht.
Heinz Strunk: Nach Notat zu Bett, Rowohlt 2019.
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