Benedict Wells ist der jüngste Autor, der bei Diogenes jemals unter Vertrag genommen wurde, und der mit gerade einmal 27 Jahren vor kurzem sein drittes Buch veröffentlicht hat. Letzten Sommer kam sein Roman „Fast genial“ auf den Markt, mit dem er zurzeit quer durch Deutschland tourt. Mit seinem neuen Buch in der Hand, an einem Tisch und mit einem Glas Wasser, befindet er sich fast jeden Tag in einer anderen Stadt und liest dabei für ein ständig wechselndes Publikum.
Soeben kommt er aus dem Süden Deutschlands und befindet sich nun wieder einige Tage in seiner alten Heimat Berlin, wo das mit dem Schreiben eigentlich erst so richtig angefangen hat. Wir haben ihn bei seiner Lesung in der Buchhandlung Kisch&Co im Park Café getroffen. Der Erlös dieser Lesung geht – „ganz wichtig“, so Benedict – an das Projekt „Ghetto Romantik“. Wir haben vorab mal nachgefragt, was er uns zum Leben auf Lesereise, zum Schreiben allgemein und auch zu „Fast genial“ speziell sagen kann und was er für Pläne und Projekte für die Zukunft hat.
Litaffin: Jetzt ganz ehrlich, hat man sein eigenes Buch irgendwann satt, wenn man Tag für Tag daraus vorlesen muss?
Benedict Wells: Ja, es gibt diese Momente, wo man manche Stellen nicht mehr sehen kann und sich denkt: Oh nein, bitte nicht schon wieder. Schön ist dagegen jeden Abend aufs Neue der Moment, wenn man das Gefühl hat, dass das Publikum gespannt zuhört und die Geschichte mag, das wiegt alles andere auf.
Litaffin: Was liest man denn selbst, wenn man gerade auf Lesereise ist?
Benedict Wells: Ich habe gerade „Tschik“ von Wolfgang Herrndorf gelesen, ein wunderbares Buch, das ich jedem empfehlen kann. Momentan lese ich „Gegen die Welt“ von Jan Brandt und „Die Finkler-Frage“ von Howard Jacobson.
Litaffin: Was ist das letzte Buch, das du aus der Hand gelegt hast, weil du es nicht zu Ende lesen konntest? Und warum?
Benedict Wells: „Rot und Schwarz“ von Stendhal. Es ist ein großartiges Buch, keine Frage, und ich muss es irgendwann einmal fertig lesen, aber die Hauptfigur hat mich einfach unglaublich genervt.
Litaffin: Wo kaufst du deine Bücher?
Benedict Wells: Meistens im „Lehmkuhl“ in München, es ist die Buchhandlung meiner Kindheit.
Litaffin: Was hältst du von der Generation der E-Book-Reader, würdest du es traurig finden, wenn Menschen dein Buch auf solch einem Reader lesen würden?
Benedict Wells: Ja, schon. Es gibt in meinem Vertrag eine Klausel, dass es von mir keine E-Books gibt. Ich liebe die Jahrhunderte alte Tradition des gedruckten Buchs, das man aufklappen und in die Hand nehmen kann, den Geruch der Seiten, das Gefühl, dass dieses Exemplar nur einem selbst gehört. Ein geliebtes, mehrmals gelesenes Buch ist wie ein Freund. Ein E-Book nur eine Datei.
Litaffin: Hast du den Eindruck, dass zwischen deinem ersten Entwurf von „Fast genial“ und der finalen Version Welten liegen? Was machst du mit deinen Entwürfen?
Benedict Wells: Ja, da liegen Welten dazwischen. In den ersten Fassungen ist noch alles in der Ich-Perspektive geschrieben, und die Sprache war zudem viel verschnörkelter. Es hat mich sehr viel Zeit gekostet, an dieser einfachen, schlichten Erzählweise zu feilen. Die frühen Entwürfe habe ich aber noch von allen Büchern, auch die 1500-Seiten Version von „Becks letzter Sommer“, die damals noch „Becks letztes Jahr“ hieß.
Litaffin: Von wem lässt du dir in Bezug auf dein Schreiben etwas sagen? Wo holst du dir Rat, wenn du welchen brauchst?
Benedict Wells: Bei Menschen, deren Urteil ich sehr vertraue, etwa meinem früheren Deutschlehrer, meiner Lektorin, meinem Agenten.
Litaffin: Schreibst du für dich selbst oder für die Welt da draußen?
Benedict Wells: Schwierig zu sagen. In erster Linie schreibe ich, weil diese Geschichten raus mussten. Ich konnte nicht anders. Dennoch bedeutet es mir sehr viel, dass ich veröffentlicht bin. Egal was für Menschen ich in meinem Leben kennenlernen werde, sie können nun meine Bücher lesen. Ich behalte oft für mich, was ich wirklich denke, außer wenn ich schreibe. Die Geschichten sind wie Botschaften an Leute, die ich mag.
Litaffin: Mir hat mal ein Literaturagent gesagt, dass man immer einen kurzen, wuchtigen Satz braucht, um ein Buch zu verkaufen: Was hältst du von folgendem Satz über „Fast genial“: Ein kerouacesquer Roadtrip verbunden mit einer austerischen Vater- und Identitätssuche, erzählt von einer jungen deutschen Stimme.
Benedict Wells: Klingt natürlich super, auch wenn ich von Kerouac und Auster bisher nur je ein Buch gelesen habe. Meine Helden sind eher Irving, Ishiguro, Hornby und Salinger. Aber der Satz hört sich schon ziemlich gut an.
Litaffin: In seinem Buch „How to be good“ erzählt Nick Hornby als Mann aus der Perspektive einer Frau und wurde dafür harsch kritisiert. Als männlicher Autor aus der Ich-Perspektive mit einer weibliche Stimme zu erzählen ist das eine, als deutsche Stimme aus der Perspektive eines amerikanischen Teenagers zu erzählen ist das andere. War es für dich nicht ungewohnt, sich in eine andere Mentalität hineinzuversetzen?
Benedict Wells: Anfangs vielleicht, daher hat es mir auch sehr geholfen, monatelang durch Amerika zu reisen. Und wichtig war vielleicht auch, dass das Buch wie gesagt erst in der Ich-Perspektive geschrieben war. Anderseits bin ich so geprägt von amerikanischer Kultur – Filme, Serien und vor allem Romane –, dass der Schritt nicht so groß war. Ein tolles Buch, in dem ein männlicher Autor aus der Sicht einer Frau schreibt, ist übrigens „Alles, was wir geben mussten“ von Kazuo Ishiguro. Ein Meisterwerk.
Litaffin: Was ist dein Lieblingssatz oder deine Lieblingsszene in deinem neuen Buch „Fast genial“?
Benedict Wells: Ich mag ein paar kleine Spielereien, etwa, dass das Ende schon auf der ersten Seite angedeutet wird. Dass Francis dem von ihm zitierten unterkühlten Replikanten aus „Blade Runner“ gleicht, ehe er am Schluss ebenfalls sein wahres Gesicht zeigt. Oder dass er „Der alte Mann und das Meer“ anfangs nicht fertig gelesen hat, sondern erst, als er selbst bereits alles verloren hat. Diese kleinen Dinge haben mir beim Schreiben besonders viel Spaß gemacht. Wenn ich aber eine Szene nennen müsste, dann der Schluss, die letzten fünf Seiten. Ich konnte es kaum erwarten, die zu schreiben.
Litaffin: Willst du uns einen Ausblick auf dein nächstes Buch geben? Worum geht es? Was ist die Idee oder Thematik?
Benedict Wells: Es handelt von drei Geschwistern, die behütet und glücklich aufwachsen, ehe ihre Eltern bei einem Unfall sterben. Die Geschichte schildert, wie sie sich in den Jahren danach durch diesen Schicksalsschlag verändern, wie sie damit umgehen lernen und selbst noch als Erwachsene davon beeinflusst sind, als sie selbst schon Kinder haben. Es geht aber auch viel um die Frage, was in einem Menschen unveränderlich ist, egal welche Wendungen sein Leben nimmt. Vor allem aber ist es eine große Liebesgeschichte über mehrere Jahrzehnte. In dieses Buch werde ich alles legen, was ich habe, und noch zwei oder drei Jahre daran schreiben.
Schnellfragenrunde mit Benedict Wells from www.litaffin.de on Vimeo.
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Schnellfragerunden fetzen! Das sollte fortgeführt werden, wirklich! :)