Weihnachten steht vor der Tür und für die komplizierten Geschenke wird es langsam zu knapp? — Keine Sorge, Hilfe naht! Hier findet ihr meine Graphic Novel-Empfehlungen für das Jahr 2016, die unterm Weihnachtsbaum für viel Freude sorgen werden.
von
Nicolas Wouters (Autor) & Mikael Ross (Illustrator)
avant-verlag, 29,95 Euro
Hardcover, 128 Seiten
Darum geht’s:
Mit ihrem neuen Coming-of-Age Comic „totem“ schicken uns Mikael Ross und Nicolas Wouters zusammen mit dem zwölfjährigen Louis nicht nur in ein Pfadfinderlager, gelegen inmitten eines düster-geheimnisvollen Waldes, sondern auch in die Tiefen einer verletzten Kinderseele. Der introvertierte Louis, klassischer Außenseiter und Held der Geschichte, sitzt gegen seinen Willen in diesem verregnetem Sommercamp fest, während sein Bruder sich zu Hause einer Operation unterziehen muss. Geplagt von Sorge um ihn, bewegt sich sein Alltag im Camp zwischen Mobbing durch die älteren Pfadfinder und seinen Dämonen, die ihn Tag und Nacht verfolgen. Konfrontiert mit dem eigenen Selbst und seiner schwierigen Familiensituation nimmt Louis die Hürden des Erwachsenwerdens auf sich und versucht sich seinen Ängsten zu stellen.
Das perfekte Geschenk für: pubertierende Jungs, Pfadfinder, Abenteurer, Entdecker, Geisterjäger und für Menschen, mit einer viel zu großen Phantasie.
…weil: dieses Buch ein literarisches Gesamtkunstwerk ist – sowohl Text als auch formale Inszenierung überzeugen gleichermaßen durch die ungemein eigenwillige Lebendigkeit und hinterlassen ein nachhaltiges Leseerlebnis. Auf großformatigen Seiten entführt uns Ross in eine sehr atmosphärische, passend kolorierte Szenerie, die sich durch mystische Finsternis und fantastisch-realistische Bilder auf den Betrachter überträgt und ihn in die surreale Welt eintauchen lässt. Zeichnerisch erschafft er über mehrere Seiten faszinierende und doch alltägliche Licht- und Wetterstimmungen, komponiert nuancierte Farbtöne, die sich sowohl an seine Illustrationen anpassen als auch Wouters Text stilvoll ergänzen. „totem“ gehört zu den einprägsamsten Neuerscheinungen des Jahres und enthält Seiten, die man aufgrund ihrer Ausdruckskraft immer wieder aufschlagen möchte.
Bleibt im Kopf:
Dahinter steckt: das Künstlerduo Nicolas Wouters (Autor) & Mikael Ross (Illustrator). Sie lernten sich in Belgien an der Hochschule École Supérieure des Arts Saint-Luc Bruxelles kennen. 2012 schloss dort der belgische Schriftsteller, Illustrator und Drehbuchautor Wouters sein Studium ab. Beide stellten fest, dass sie ein Interesse für Comics und Subkultur teilen, und arbeiteten daraufhin gemeinsam an dem exzessiven Comic-Roman Lauter Leben, der 2014 im Berliner avant-verlag auf Deutsch erschienen ist. Der 1984 geborene Münchner Mikael Ross studierte an der Kunsthochschule Weißensee und lebt derzeit in Berlin.
The Number 73304-23-4153-6-96-8
von
Thomas Ott
Edition Moderne, 29 Euro
Hardcover, 144 Seiten
Darum geht’s:
Thomas Ott ist einer der wenigen deutschsprachigen, vielleicht sogar internationalen Comic-Zeichner, der vor allem für seine Schabkartontechnik bekannt ist.
Die Geschichte beginnt in einem Todesstrakt, als ein Gefängniswärter beim Säubern der Zelle eines Gefangenen, kurz nach seiner Hinrichtung, einen Zettel findet, auf dem die Häftlingsnummer 73304-23-4153-6-96-8 gekritzelt wurde. Spontan steckt er das kleine Schriftstück in seine Hosentasche. Nach Feierabend zuhause angekommen erwecken die Zahlen auf dem Papier seine Neugier. Als er bemerkt, dass Teile der Ziffer in seinem Alltag auftauchen, begibt er sich schließlich auf die Suche nach dem verborgenen Sinn – die Zahlen verfolgen ihn und signalisieren einen radikalen Wandel in seinem Leben. So beschließt er, sein Schicksal in die Zahl zu setzen. Doch was zu Beginn wie ein fantastischer Wunschtraum anmutet, entwickelt sich zusehends unkontrolliert zu einer paranoiden Wahnwelt. Seine „Glückszahlen“ schicken ihn plötzlich unaufhaltsam in den Abgrund, sein Leben wird zum Albtraum, aus dem er nicht mehr erwachen wird…
Das perfekte Geschenk für: Verschwörungstheoretiker, Numerologen und Horror-Klassiker-Fans
…weil: die sich wiederholenden Zahlen eine Kadenz für das Buch schaffen, einen dunklen Rhythmus vorgeben, der in die Köpfe der Leser getrommelt wird und dem nur schwer zu entkommen ist. Ott nutzt die Schabkartontechnik bis zur Perfektion und lässt seine Schnitzereien wie Schwarz-Weiß-Fotos erscheinen, die gesammelt als ein surreales Fotoalbum funktionieren können, welches man fasziniert und verstört von seiner dunklen Bedeutsamkeit nicht wieder aus der Hand legen kann. Otts paranoide, halluzinatorische, hyper-detaillierte Szenarien werden dem Leser noch länger im Gedächtnis bleiben und ihm vor Augen führen, wie das Leben so spielt.
Bleibt im Kopf:
Dahinter steckt: der Schweizer Comic-Autor Thomas Ott, dessen Werke bereits in zwölf Ländern publiziert worden sind. Seit Mitte der 80er Jahre ist Ott als Zeichner, Musiker und Filmemacher in der Schweiz, Deutschland und Frankreich ununterbrochen aktiv. Seine Arbeit wurde bereits 1996 mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet. Derzeit lebt er in Zürich und spielt in der Rock-Band «Beelzebub».
von
Felix Scheinberger
Jaja-Verlag, 28 Euro
Hardcover, 136 Seiten
Darum geht’s:
Das Berliner Nachtleben gehört zu den aufregendsten der Welt und Clubs wie das Berghain, der KitKatClub oder das Insomania zählen zu den berüchtigsten Orten der Hauptstadt. Sei es wegen der ausufernden Parties, der strengen Türpolitik, den legendären Dresscodes oder der mystischen Erzählungen, die sich über die genannten Hedonistentempel erzählt werden. Seit Jahren ranken sich um die angesagten Clubs, vor allem aber um das Berghain, Legenden von Exzess und Ekstase – vieles ist dort erwünscht, was in anderen Berliner Clubs nicht erlaubt ist. Der Fotoapparat muss jedoch zuhause bleiben. Felix Scheinberger kümmerte das jedoch sehr wenig. Mit Stift und Papier bewaffnet zeichnete er Menschen und Szenen, die hinter den gefürchteten Türen im Verborgenen bleiben und gibt uns mit seinem Buch „Hedo Berlin“ Einblicke in ein verstörend-anziehendes Universum voller Fetisch, sexueller Freizügigkeit und Parallelwelten.
Das perfekte Geschenk für: Nachteulen, Disko-Fetisch-Liebhaber*innen und für all jene, die dem Hedonismus hingebungsvoll frönen und die sich immer wieder gern in den langen Nächten der Berliner Clubszene verlieren.
…weil: nicht nur die Idee brillant ist, sondern vor allem die Illustrationen. Scheinberger begeistert von der ersten Seite und dem ersten Strich an, denn seine in Aquarell gehaltenen authentischen Skizzen dokumentieren nicht nur seine Professionalität, sondern führen sensibel und lustvoll zugleich durch die geheimnisumwitterten Räume besagter Schauplätze. Sein surreal-abstrakter Stil unterstreicht für den Betrachter die Absonderlichkeit des Dargestellten und obwohl die Momentaufnahmen oft höchst intim sind, driften Scheinbergers Zeichnungen nie ins Pornografische.
Bleibt im Kopf:
Dahinter steckt: der erfolgreiche Zeichner Felix Scheinberger. Mit seinen Illustrationen zu den Büchern von Paul Austers Im Land der letzten Dinge (2001) oder Thomas Manns Tod in Venedig (2005) machte er sich im deutschsprachigen Raum einen Namen. Er lebt derzeit in Berlin und ist unter anderem als Professor für Illustration am Fachbereich Design der FH Münster tätig.
FMD — Leben und Werk von Dostojewski. Die Comic-Biografie
von
Vitali Konstantinov
Knesebeck Verlag, 22 Euro
Hardcover, 80 Seiten
Darum geht’s:
Fjodor Michajlowitsch Dostojewski (1821 bis 1881) war ein zentraler Vertreter des Realismus innerhalb der russischen Literatur und gilt als der Schöpfer des psychologischen Romans. Mit moderner psychologischer Erzählweise und der philosophischen Komplexität seines Romanwerkes avancierte er zu den bedeutendsten und einflussreichsten Schriftstellern des 19. Jahrhunderts. Zu seinen bekanntesten Romanen zählen Schuld und Sühne, Der Idiot, Der Spieler oder Die Brüder Karamasow.
Den Spuren seines künstlerischen Schaffens nachzugehen, hat sich Vitali Konstantinov zur Aufgabe gemacht. Er widmet sich dabei neben seinem literarischen Werk dem Menschen, der hinter dem berühmten Autor steht, seinem Lebensweg und seinen Schicksalsschlägen. Dostojewski gehört zu den persönlichen Lieblingsautoren des Ukrainers Konstantinovs, den er bereits im Vorschulalter durch seinen Vater kennenlernte. Für seinen Comic hat der Autor alle verbalen Textteile aus Werken, Briefen und Tagebüchern unterschiedlicher Akteure selbst übersetzt, mit denen er die wechselhafte und dramatische Geschichte des weltberühmten russischen Schriftstellers greifbar und anschaulich nachspürt und erzählt.
Das perfekte Geschenk für: Fans von Schriftstellerbiographien, wahre Dostojewski-Kenner und alle jene, die es noch werden wollen!
…weil: dieses Buch auch für nicht eingefleischte Dostojewski-Fans eine Lesegenuss ist. Seine Comic-Biografie liegt in schwarz-weiß vor und liest sich nicht wie ein klassischer Comic. Viele Momente, die für das Leben Dostojewskijs wichtig waren, hat Konstantinov mit mithilfe seiner Simultanbilder zusammengesetzt und hat dabei Dostojewskijs Leben und seine wichtigsten Werke nicht nur chronologisch und in einzelnen Bildern dargestellt, sondern erweckt sie vielmehr im Zusammenspiel der Gegenüberstellung zum Leben.
Bleibt im Kopf:
Dahinter steckt: der gebürtige Ukrainer Vitali Konstantinov — freier Illustrator in den Bereichen Belletristik für Kinder und Erwachsene, Sachillustrationen und Editorials für deutsche und internationale Verlage. Er veröffentlichte bisweilen zahlreiche Bilderbücher und Illustrationen in Deutschland, Italien, Taiwan, Südkorea, der Schweiz und in den USA. Darüber hinaus arbeitete er bereits mit bedeutenden zeitgenössischen Bestseller-Autoren wie Maxim Biller, Wladimir Kaminer, Morten Ramsland oder Jena Soentgen zusammen. Seine Bücher erhielten zahlreiche Preise, u. a. die Auszeichnung »Schönstes deutsches Buch« von der Stiftung Buchkunst für Seltsame Seiten.
- Und was macht man damit? #22 Lisa Wiedemuth - 24. Februar 2018
- Und was macht man damit? #21 Marie Krutmann - 22. Oktober 2017
- Und was macht man damit? #20 Susann Kretzschmar - 6. Oktober 2017
Mir gefallen die Illustrationen von Felix Scheinberger, die Du zeigst, sehr gut. Dabei weiß ich natürlich nicht wie gut sie zu dem jeweiligen Buch passen, das ist ja manchmal so eine Sache.
Mit Beispielen zu arbeiten, ist natürlich immer so eine Sache. Ich gehe davon aus, wenn der Autor sie nicht passend für sein Buch gehalten hätte, kämen sie nicht darin vor. Mir sind diese beiden Illustrationen vor allem im Gedächtnis geblieben, weil sie diese Intimität aufzeigen, die Felix Scheinberger schafft zu skizzieren ohne ins Pornografische abzudriften. Ich wollte exemplarisch vorgehen und meine Aussage dadurch klarer machen.
Das Buch bietet natürlich viele weitere herausragende Illustrationen, die dort ihren Platz hätten finden können.