Nicht nur das Gastland Georgien zog sich thematisch vielfältig durch die Frankfurter Messetage. Auch der Rechtsruck und Positionierungen gegen diesen soziopolitischen Wandel begegneten den Besucher*innen auf der Frankfurter Buchmesse vielfach.
Steinmeiers Plädoyer
Es begann mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der am Mittwochmorgen den neuen Frankfurt Pavillon eröffnete und im Gespräch mit den Autor*innen Ivana Sajko (Kroatien) und Stefan Hertmans (Belgien) seine Bedenken gegenüber dem medialen Umgang mit den derzeitigen soziopolitischen Veränderungen äußerte. „Da weht eine neue Faszination des Autoritären“ diagnostizierte er und es lag ihm hier ein ganz bestimmter Aspekt am Herzen: Die Medien vermittelten den Eindruck, dass die Gesellschaft davon schon beherrscht sei, doch die Realität, die er erlebe, wenn er durch Deutschland reise, sei eine andere. Er begegne ehrenamtlichen Bürgermeistern, Feuerwehrmännern und anderen Menschen, die tagtäglich ganz unaufgeregt dafür sorgten, dass Menschen gerne in Deutschland leben. „Ich will nichts schönreden – ich sage nur, dass es eine Realität Europas gibt, über die wir derzeit gar nicht reden“, lautete sein an die Medien gerichtetes Plädoyer für das Sichtbarmachen eines positiven Bildes Europas.
Diplomatische Position der Messe
Nachdem die Frankfurter Buchmesse (FBM) im vergangenen Jahr scharf dafür kritisiert wurde, auch rechten Verlagen eine Plattform zu bieten, blickte man nun besonders auf die politische Positionierung der FBM. Während der Eröffnung am Dienstag erklärte Messedirektor Juergen Boos diplomatisch, dass die Messe sich als Ort der „radikalen Vielfalt“ verstehe, der divergierenden Meinungen zur Verfügung stehe: Die Erde habe nur eine Oberfläche, die wir uns teilen müssen; wir können einander nicht aus dem Weg gehen, so Boos, auch wenn die Ansichten der Anderen im Widersprich zu unseren stehen. Offenbar hatte man aber dennoch das Bedürfnis, der selbstgewählten Präsenz der rechten Verlage etwas entgegenzusetzen, denn Boos postulierte im selben Zug, dass man sofort und vehement widersprechen werde, wenn die Messebühnen für Äußerungen missbraucht würden, die den Respekt vor der anderen Person missachten.
Mehr Schein als Sein?
Es stellt sich die Frage, wie dieser von Boos versprochene Widerstand ausgesehen hat, als Björn Höcke am Freitag in einer mit massivem Polizeiaufgebot gesicherten, geschlossenen Veranstaltung auf der FBM sein Buch vorstellte und dabei vermutlich wenig Respekt gegenüber einer ganzen Reihe an Menschengruppen zeigte. Man weiß es nicht, denn Zugang hatten nur geladene Gäste und auch Presseberichte von der Veranstaltung gibt es scheinbar keine – eine Augenzeugin berichtete mir, dass einem Journalisten mit Presseausweis der Eintritt verwehrt worden sei. Den deutlich sichtbareren Widerstand leistete Martin Sonneborn (Die Partei), der als Hitlerattentäter Stauffenberg verkleidet Höcke die Show stahl.
I’M ON THE SAME PAGE
Es entstand der Anschein, dass der versprochene Widerspruch gegen menschenverachtende Ideen ausschließlich in der Kampagne I’M ON THE SAME PAGE lag, die dieses Jahr die Messe begleitete und gemeinsam mit arte, ZDF, SPIEGEL, Amnesty International und den Vereinten Nationen konzipiert wurde. Die Kampagne zum 70. Jubiläum der Unterzeichnung der Menschenrechtscharta war thematischer Anlass für viele Programmpunkte – teils mit herausragenden Gästen wie der Autorin Chimamanda Ngozi Adichie und mit vielfältigen Formaten von Diskussionsrunden bis zur überdimensionalen Mitmach-Page. Definitiv eine tolle Kampagne, aber Boos Worte ließen mich anfänglich doch mehr erhoffen.
#verlagegegenrechts
Eine weitere, allerdings von der Messe unabhängige, Kampagne war äußerst präsent: Mit Aufklebern, Flyern und Lesezeichen des Aktionsbündnisses #verlagegegenrechts schmückten viele Verlage ihre Stände und Mitarbeiter*innen. Auffällig war, dass es vor allem die kleineren und unabhängigen Verlage waren, die sich an der Kampagne beteiligten. Besonders renommierte Verlagshäuser und große Verlagsketten wollten offenbar kein #verlagegegenrechts an ihre großräumigen Stände kleben.
Demonstration ‚Wir sind mehr‘
Am Samstag bot sich den Medien wieder die Möglichkeit, das von Steinmeier angesprochene positive Bild Europas zu zeigen. Parallel zur großen Unteilbar-Demo in Berlin zog in Frankfurt die Wir-sind-mehr-Demo durch die Straßen. Die Grundgedanken einten sie: gegen Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit, gegen eine die Menschenrechte verachtende Partei in blauem statt braunem Gewand, gegen völkische und angstschürende Rhetorik egal von welcher politischen Seite – und stattdessen für Solidarität, Menschlichkeit und ein friedliches und tolerantes Miteinander. Zu Beginn versammelten sich, laut Polizeirechnung, 3.000 Menschen mit vielen bunten, kreativen Schildern auf dem Baseler Platz. Im Laufe des Demonstrationszuges verdoppelten sich die Teilnehmenden mindestens. Auch Künstler*innen beteiligten sich mit Aktionen und Performances. Es hätten aber durchaus noch mehr Demonstrierende sein können, wenn man bedenkt, dass die Buchmesse am Samstag eine besonders große Zahl an Menschen in die Stadt holte. An diesem Tag sind viele Fachbesucher*innen noch vor Ort und zugleich bereits die privaten Besucher*innen anwesend. Viele Messebesucher*innen hatten jedoch gar nichts von der Demonstration gewusst. Ein tolles Zeichen der FBM wäre es sicher gewesen, wenn sie nicht nur rechten Verlagen eine Bühne, sondern auch der Wir-sind-mehr-Kampagne großzügigen Werberaum gegeben hätte.
Mediale Unsichtbarkeit
Auch die aufgrund der Messe eigentlich zahlreich in Frankfurt versammelten Medienleute haben erstaunlich wenig Notiz von diesem großen, gemeinsamen Aufstehen gegen angst- und hassverzerrte Tendenzen genommen. In der überregionalen Presse beachtete man vorrangig die Berliner Demo mit ihren stolzen Anzahl von 240.000 Demonstrierenden. Dass auch in vielen anderen Städten parallel Umzüge stattfanden, wurde meist lediglich in einem Nebensatz erwähnt; Zahlen der anderen Demonstrationen wurden in dem Zuge kaum genannt. Am Samstag gingen nicht 240.000 Menschen gegen Rechts auf die Straße – es waren im ganzen Land viele Tausend mehr. Wird das tatsächliche Ausmaß medial nicht allzu sehr abgemildert, wenn ausschließlich die größte der Demonstrationen beachtet wird? Blieben die gegen Rassismus auf die Straße gehenden Menschen anderer Städte nicht ebenso unsichtbar wie die von Steinmeier erwähnten engagierten Bürgermeister*innen und Feuerwehrleute?
Ich habe aus Frankfurt vieles mitgenommen. Darunter ist auch der Wunsch, dass Berichterstatter*innen sich mehr Mühe geben, das tatsächliche Ausmaß solcher Proteste abzubilden, und sich gegebenenfalls die Arbeit machen, Zahlen zumindest bis zu einem gewissen Grad auch mal zu addieren.
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