In Emi Yagis Roman „Frau Shibatas geniale Idee“ bekommt die Protagonistin die geballte Macht des Patriarchats zu spüren. Doch Frau Shibata schlägt zurück – indem sie sich selbst schwängert. Mit Akkuratesse und feinsinnigem Humor führt sie die Welt hinters Licht und uns vor, weshalb ihre geniale Idee ein geheimer Akt des Widerstandes ist.
Tokio: Frau Shibata arbeitet in einer Firma, die Papierrollen herstellt. Ein ganz gewöhnlicher Schreibtischjob mit Großraumbüro. Im Konferenzraum stehen noch die benutzten Kaffeetassen vom vergangenen Meeting. Ausgedrückte Zigarettenstummel inklusive. Ungeduldig wirft der Abteilungsleiter diese Beobachtung in den Raum.
Niemand sah auf. Niemand fühlte sich angesprochen. Ich tat es meinen Kollegen gleich und fixierte einen Punkt auf meinem Computerbildschirm. […] Ich hatte genauso wenig Zeit wie alle anderen in diesem Büro.
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Doch anders als ihre Kollegen ist Frau Shibata eine Frau und offenbar verleihen ihr die beiden X-Chromosomen Superkräfte. Denn der Aufgabenverteilung nach ist sie die einzige, die weiß, wie man Kaffee kocht, Tassen in den Geschirrspüler räumt, Briefe verteilt, den Müll ausleert, das Kopierpapier nachfüllt und Essenreste aus der Mikrowelle kratzt. Kommt Frau Shibata diesen Aufgaben nicht von selbst nach, wird sie passiv-aggressiv daran erinnert. Dank erhält sie selbstverständlich nicht. Eigentlich möchte man in diesen Szenen vor Frustration weinen. Doch Emi Yagi gelingt es mit dem trockenen Humor ihrer Protagonistin trotzdem, ein Schmunzeln auf die Lippen der Lesenden zu zaubern.
„Das ist ja gar nicht so schwer!“, sagte [ein junger Kollege] erstaunt, als ich ihm in der Teeküche vormachte, wie das mit dem Kaffeekochen ging. Er hatte mich um eine Einweisung gebeten.
„Stimmt“, antwortete ich, „Das hat Instantkaffee so an sich.“
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Täglicher Sexismus, ständige Zusatzbelastungen, keinerlei Wertschätzung: Irgendwann reicht es Frau Shibata. Wie der Titel – auf Deutsch unpassend reißerisch geraten – nahelegt, hat sie eine geniale Idee: Vom Abteilungsleiter auf die beschmutzten Kaffeetassen hingewiesen, erklärt sie sich kurzerhand für schwanger. Leider löse der Geruch von Kaffee und Kippen furchtbare Übelkeit bei ihr aus. Ob nicht er selbst diese Aufgabe für sie übernehmen könne?
Wie ein leerer Bauch das Patriarchat aushöhlt
Was als Lüge im Affekt beginnt, nimmt schon bald seinen natürlichen Lauf. Frau Shibata ist schwanger, macht Übungen für Schwangere, notiert ihre Tagesabläufe in einer Schwangerschafts-App. Und all das ohne (Ehe-)Mann, was bei der alkoholschwangeren Weihnachtsfeier für anzügliche Kommentare sorgt. Überhaupt tauchen Männer nur als bedrohliche, abstoßende oder zumindest übergriffige Gestalten auf, selbst wenn sie es eigentlich gut meinen. Ein Kollege ist schon bald derart fixiert auf Shibatas Schwangerschaft, dass er Listen mit möglichen Namen für das Kind anlegt. In dem verzweifelten Versuch, ihm zuvorzukommen, nennt Shibata ihren Sohn Sotaro. Leerer Mensch.
Die Leere als Motiv und Metapher taucht immer wieder im Roman auf. Lange Zeit bleibt Shibatas Bauch leer, abgesehen von Stofftüchern, die sie sich unter die Bluse stopft. Der Originaltitel 空芯手帳 (Kūshin techō) lässt sich mit Kernlos Notizen übersetzen. Im Englischen wurde der Titel „Diary of a Void“ gewählt. Von dieser Marketingentscheidung abgesehen, ist Luise Steggewentz die Übersetzung aus dem Japanischen ins Deutsche elegant gelungen. von Dass Shibata in einer Papierrollenfirma arbeitet und von der Verarbeitung der Pappe, die sich um einen leeren Kern schlingt, fasziniert ist, dürfte ebenfalls kein Zufall sein.
Wie monoton, dachte ich. Schon zu Schulzeiten hatte ich bei solchen [Fabrik-]Besichtigungen immer auf einen Fehler gehofft. Ein einziger deformierter Sitzgurt, ein schief gebundenes Buch, ganz egal. Ich hätte sehen wollen, wie in einem monströsen System eine Naht aufplatzte, wie sich ein Riss durch etwas zog, das unveränderlich schien.
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Der metaphorische Gehalt ihrer Worte wird schnell deutlich. Die japanische Gesellschaft stützt sich in vielen Bereichen noch immer stark auf patriarchale Prinzipien. Mutterschaft ist wohl das beste Beispiel dafür. Im vergangenen Jahr sorgte etwa eine Broschüre der Stadt Onomichi (Präfektur Hiroshima) für einen nationalen Aufschrei und internationale Berichterstattung, wenn auch eher unter dem Betreff „Kurioses“. (Als ob ähnliches in Deutschland völlig undenkbar wäre.) Gegenstand der Broschüre waren unter anderem Empfehlungen, wie Mütter von Neugeborenen das Leben ihrer Ehemänner angenehmer gestalten könnten: Danken Sie ihm für seine Hilfe beim Abwasch oder Windelwechseln. Begrüßen Sie ihn stets mit einem Lächeln. Massieren und bekochen Sie ihn. Und vor allem: Belästigen Sie ihn niemals mit Haushalts- oder Sorgearbeit. Der Grund für diese einseitige Aufgabenverteilung? „Männer handeln auf Basis theoretischer Überlegungen, Frauen auf Basis von Emotionen.“ Der massive Protest – vor allem von Frauen – bewirkte, dass die Stadt Onomichi diese Broschüre zurückzog.
Turnen für den Fötus
Zumindest das Problem mit dem sabotierenden Partner hat die alleinstehende Shibata nicht, im Gegensatz zu ihren neugewonnen Freundinnen aus dem Maternitybics-Kurs. Während Shibatas Leben als Fake-Schwangere dahinplätschert, gibt es immer wieder Schlüsselszenen, die den eigentlichen Kernkonflikt der Figur aufzeigen: Sie kann dem gesellschaftlichen Rollenzwang nicht entrinnen. Entweder ist sie die Frau, die anzügliche Kommentare und unzählige Zusatzaufgaben weglächeln muss. Oder aber sie ist die Schwangere, die für ihr Kind Sportübungen machen und sich für ihr Kind gesund ernähren soll.
Doch diese Erwartungen haben auch positive Effekte auf Shibata, Stichwort Selfcare. (Fake-)Schwangerschaften als Befreiung vom Patriarchat sind schon in früheren Werken japanischer Autorinnen ein zentrales Motiv gewesen, wie etwa in „The Unfertilized Egg“ von Hasegawa Junko oder Tsushima Yūko’s „Child of Fortune“. Doch Emi Yagi bleibt hier nicht stehen, sondern lässt Frau Shibata auch von Tritten in ihrem Bauch und dem Besuch beim Gynäkologen erzählen. Auf den Ultraschallbildern sieht ihr Kind ungemein wirklich aus.
„Der Arzt drehte ein Rädchen am Bildschirm.
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„Seltsam. Man sieht das Gesicht nicht richtig. Das Bild ist zwar schärfer geworden, aber das Gesicht bleibt noch verschwommen.“
Wie bitte? Materialisiert sich hier etwa tatsächlich ein Kind in Shibatas leeren Bauch? Genüsslich spielt Emi Yagi mit den Erwartungen und Verwirrungen der Lesenden, sodass man sich letztlich fragen muss: Entzieht sich die Erzählerin Shibata mit ihrer Unzuverlässigkeit gerade jenem Rollenzwang, dem sie als Figur ausgeliefert bleibt? Emi Yagi gelingt es durch diese Raffinesse, dem Roman mit seinen direkten gesellschaftskritischen Bekundungen eine zusätzliche Tiefe zu verleihen. Nicht umsonst gewann sie 2020 mit diesem Debutroman den Dazai-Osamu-Preis. In Erinnerung an den Schriftsteller Dazai Osamu (1909–1948) wird der Preis jährlich an Nachwuchsautor:innen vergeben.
Bisher ist „Frau Shibatas geniale Idee“ Emi Yagis einziger Roman. Dennoch sollte man die 1988 geborene Autorin im Blick behalten, wenn man sich für weibliche Perspektiven aus Japan interessiert. Allerdings muss man hoffen, dass ihr nächster Roman in Deutschland nicht wieder in diesem unsäglichen Pink erscheint, nur weil er ein „Frauenthema“ behandelt.
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