In Dresden ist sie in einer großen Familie aufgewachsen, in Chemnitz hat sie studiert, eher so aus Trotz, und ist dann Hals über Kopf nach Berlin, hat eine Beziehung mit Paul angefangen und ist erst mal bei ihm eingezogen: Gisela ist die Protagonistin in Paula Irmschlers Debüt Superbusen, die zurück nach Chemnitz fährt in eine Zeit und einen Freundinnenkreis, der sie politisiert, gestärkt und selbstbewusst gemacht hat – und mit dem sie vor gar nicht so langer Zeit diese Band hatte: Superbusen.
Gisela sitzt im Zug nach Chemnitz, die am zweitschlechtesten angebundene Stadt Deutschlands, das hat sie mal gelesen. Hier hat sie studiert, demonstriert, mit ihren Freundinnen Meryam, Fred und Jana gefeiert und gekifft und gleich ist sie wieder dort.
,Ich kam nicht umhin, mich zu fragen… weshalb ich jetzt nach Chemnitz fahre‘, nuschele ich weiter. Die gute alte Carrie-Bradshaw-Phrase. Wobei ich optisch mal wieder die absolute Anti-Carrie bin oder maximal die von Steven King.
Jetzt ist sie wieder da, ihre Freund*innen holen sie am Bahnhof ab, direkt geht es zur Demo, es ist Sommer 2018, an dem Karl-Marx-Kopf hängt das Banner Chemnitz ist weder grau noch braun.
Der Hashtag zum Anlass lautet #2708. Chemnitz am 27. August. Früher waren an solchen Tagen unter solchen Hashtags größtenteils nur wir Linken unterwegs und tauschten uns über die Lage auf Antifademos aus. […] Da drüben die Nazis, hier wir, wie wir es seit Jahren einstudiert haben.
Dieses Mal sind nicht fast nur Linke unterwegs. Ab dem Zeitpunkt taucht Gisela ab in die fernere, aber vor allem nähere Vergangenheit.
Dresden, Chemnitz, Superbusen
Geboren ist Gisela um die Wendezeit herum in eine große Familie am Rand von Dresden. Für das Kind des frisch wiedervereinigten Deutschlands ist die DDR in ihrer Kindheit eine ständig präsenter Begleiterin. Denn „zu DDR Zeiten“ war es anders, so oder so, dann die Wende, ein Einschnitt, das kapiert die kleine Gisela, aber was es war, das nicht. Giselas Prägung, in Ostdeutschland aufgewachsen zu sein und hier studiert zu haben, begleitet den Roman. Der Umzug nach Chemnitz dann ein bisschen aus Trotz, aber dort gibt es Politikwissenschaften NC-frei. Und hier geht es dann los, hier trifft sie auf Fred, auf Jana, auf Meryam. Sie arbeitet an der Garderobe im Club und weiß, was gute Gäste und ätzende Gäste sind (die, die ihre Jacken zusammenhängend oder auf dem Boden platziert haben wollen und dann noch frech sind). Hier wohnt sie in chaotischen WGs, feiert, trinkt, kifft, studiert und wehrt sich gegen übergriffige Dozenten und Antanzmänner im Club. Sie ist montags da, als sich Pegida und sämtliche Ableger gründen. Hier stehen die Freundinnen zueinander bei Abtreibungen, Beziehungskrisen oder, wenn sie sich unwohl in ihrem Krörper fühlen. Und aus all dem, aus der Idee „mal etwas auf die Beine [zu] stellen“, entsteht in der Mitte des Buches die Band Superbusen.
Der Name für unsere Band stand fest, bevor es überhaupt irgendeinen Song gab oder endgültig geklärt war, wer welches Instrument übernehmen würde: Superbusen. Es ist das beste 80er Wort überhaupt. Mal abgesehen von Bild Artikeln über Pornosternchen (auch ,Pornosternchen‘ ist so ein Wort, aber weniger super).
Mit Superbusen ziehen sie durch Deutschland, nagut, erstmal nur in die linken Lokalitäten weniger Städte, über die ihnen verraten wird, dass sie „wohl bald schließen. Das sagt man bei linken Lokalitäten eigentlich immer.“ Sie lernen Instrumente, schreiben Texte und Gisela macht sogar den Führerschein, um die Band herumzufahren. Die Songtexte von Superbusen besitzen einen Hauch Schnipo Schranke, einen Hauch Neonschwarz und sind klar links und feministisch.
Popkultur der Jahrtausenwende
Musik ist sowieso wichtig für Gisela: Texte von Kraftclub werden zitiert, klar Chemnitz, aber auch von Britney und Bosse. Die Popkultur um die Jahrtausendwende ist von den Freundinnen heißgeliebt und heute, wo es offiziell Trash ist, auch wieder anerkannt: Boygroups wie *NSYNC, die Bravo, Serien wie Gossip Girl und Berlin Berlin und zum Einschlafen gibt es mal ne‘ Bibi Blocksberg. Da schlägt das Herz der Mitte, Ende 20-jährigen Leserin – die ich bin – schon ein bisschen höher. Auch wenn Gisela und Co. das alles gar nicht ironisch, sondern höchst ernsthaft verehren, ist Ironie großes Element im Roman. Die Ironie erlaubt es, dass trotz der thematischen Fokussierung auf rechte Gewalt und Sexismus ein wirklich lustiger Roman entstanden ist. Kleine Anekdoten wie „Frau Geludowig heißt in Wirklichkeit Frauke Ludowig“ oder treffende Beschreibungen des Patricharts verleihen dem Roman eine tolle Bildlichkeit:
Vom Autofahren hatte ich langsam die Schnauze voll. Es ist einfach zu sehr Gesellschaft, nur noch komprimierter. Patriachard wird sehr deutlich auf deutschen Straßen. Autos sind die Männer, Fahrräder die Frauen und Fußgänger die mehrfach Diskrimierten.
Trotz alledem gibt es ein kleines Manko: Obwohl die Frauen Probleme haben und sich verletztlich zeigen, wirken sie in all der Ironie, Schlagfertigkeit und in ihrer Coolness manchmal unrealistisch. Dann fällt die Identifikation einen Moment lang schwer.
Nicht platt, nicht belehrend
Stark ist, dass Paula Irmschler nicht doziert, erklärt oder platt kritisiert, sie lässt Gisela einfach Gisela sein – mit klarer linker Einstellung, schwarzer Kleidung, Selbstbewusstseins-Problemen, ostdeutscher Kindheit in einer Großfamilie und der Ironie. Eine weitere Einordnung braucht es nicht und die gibt es zum Glück auch nicht. Neben den schrecklichen Ereignissen rechter Gewalt und dem Sexismus schafft sie es auch noch Themen wie Essstörungen, Studiumsprobleme, Körperrasur und einfach das Auseinanderleben in Freundinnenschaften unterzubringen, ohne, dass der Roman überfüllt wirkt. Denn – und so startet das Debüt – die Superbusen-Zeit ist vorbei. Fred hat ein Kind, Meryam ist nach Leipzig gegangen und Gisela nach Berlin. Und Streit, den gibt es auch in dieser Freundinnenschaft, weil eben alle einen anderen Weg einschlagen und trotzdem zueinander gehören.
Paula Irmschler: Superbusen, Ullstein/Claassen 2020.
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