Der Stückemarkt 2010 eröffnet mit einer Debatte über europäische Dramatik
Unter dem Titel „Import – Export. Über Grenzen, Zwischenräume und Chancen neuer Dramatik in Europa“ wurde am Mittwoch der Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 2010 mit einer Expertendiskussion eröffnet. Acht der knapp dreihundert eingesandten Stücke wurden von der Jury ausgewählt; fünf davon sind als szenische Lesung während des Festivals zu sehen. Wer von ihnen als Preisträger nach Hause gehen darf, entscheidet sich jedoch erst am 21. Mai.
Ja, es mutet etwas seltsam an. Beim Heidelberger Stückemarkt wurden vor ein paar Tagen gleich alle Nominierten ausgezeichnet, da keiner eindeutig als Sieger hervorzuragen vermochte. In Wien sagte man den Wettbewerb letztes Jahr aufgrund mangelnder Qualität der Einsendungen ganz ab. Die Nachwuchsförderung in der Krise?
In Berlin hat die Jury entschieden. Zu den diesjährigen Auserwählten zählt der rumänische Autor Peça Stefan, was dazu inspirierte, den Stückemarkt mit einer Debatte über europäische Dramatik zu eröffnen. Deutlich wurde in der Diskussion mit Roland Schimmelpfennig, der georgischen Dramatikerin und Regisseurin Nino Haratischwili und Yvonne Büdenhölzer vor allem eines: Der „Schleudergang Dramatik“ ist noch lange nicht beendet. Erst letztes Jahr richteten die Berliner Festspiele ein Symposium aus, das in Diskussionen und Workshops Modelle gegen den Uraufführungshype und die schnelle Vermarktung junger Dramatiker entwickeln sollte. Doch es scheint auch der Druck der zahlreichen Förderungsmöglichkeiten zu sein, dem sich das erfolgsorientierte dramatische Schaffen beugen muss.
In seiner Eröffnungsrede betonte Intendant Joachim Sartorius den herausragenden Erfolg der in den Vorjahren gekürten Preisträger Nis-Momme Stockmann und Oliver Kluck. Der eine ist seit diesem Jahr Hausautor am Schauspiel Frankfurt, der andere Träger des Kleistförderpreises. Auch in den diesjährigen Autoren wird viel Potential gesehen: „Sie rütteln an unseren gesellschaftlichen Bildern.“, so Daniel Richter, Leiter des Stückemarkts 2010. Ob sie die Forderung nach Welthaltigkeit erfüllen, bleibt vorerst offen.
Die im Titel angekündigten Zwischenräume schafften es nur kurz in die Gesprächsrunde, bevor es dann ausführlich um die Chancen deutscher Texte im Ausland ging, bei denen Roland Schimmelpfennig mit Übersetzungen in dreißig Sprachen sein Expertentum beweisen konnte. Auch die Kriterien für die Förderungswürdigkeit europäischer Dramatik erfuhr man an diesem Abend nicht. Yvonne Büdenhölzer, Leiterin der Theaterbiennale Wiesbaden, sprach von Stücken, „die etwas erzählen wollen“, sich mit Geschichte auseinandersetzen und trotzdem „den Transport nach Deutschland schaffen“. Damit bestätigte sie Nino Haratischwilis Vorwurf, osteuropäische Dramatik müsse sich im Regelfall mit Leid und Krieg auseinandersetzen, um als welthaltig anerkannt zu werden. „Ich selbst habe das auch alles erlebt und darum scheinbar das Recht, darüber zu schreiben und pathetisch zu sein. Emotionalität wird entschuldigt mit einem ,Ah! Sie kommt aus dem Osten, sie darf das!’“
Am Ende stand der Wunsch nach verstärkter Offenheit für europäische Dramatik und internationale Kooperationen. Dass sich daraus ein wirkliches Lernen voneinander entwickelt, mag jedoch noch einige Zeit dauern. Denn bezeichnenderweise war es die Eingangsfrage, ob die Förderung neuer Dramatik eher ein „Feigenblatt-Projekt“ oder ein Prestigefaktor sei, die bis zum Schluss unbeantwortet blieb.
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Dazu fällt mir das Seminar „Autofiktionales Schreiben“ ein: Heute Morgen war Abbas Khider (gebürtiger Iraker, seit zehn Jahren in Deutschland) zu Gast und diskutierte mit uns über seinen Roman „Falscher Inder“. Er sagte etwas ähnliches, wie Nino Haratischwilis. Er stelle immer wieder fest, dass „Migranten-Schriftsteller“ stark auf ihre Geschichte reduziert werden und weniger Interesse an ihrem literarischen Können vorhanden sei. In seinem Fall war es wohl so: Kein Verlag wollte sein Manuskript als Roman veröffentlichen, er wurde um Streichung aller fiktionalen Stellen gebeten, er solle doch bitte seine „wahre“ Geschichte erzählen.
Nino Haratischwili erwähnte in ihrer Rede einen ähnlichen Fall: In einem Drama, das sich direkt mit ihrer Heimat Georgien auseinandersetzt (übrigens das einzige ihrer Stücke!) beschreibt sie persönliche Erfahrungen, die von ihrem Lektor als beinahe absurd fiktional gewertet wurden. Sie solle diese Stellen bitte „authentischer“ gestalten. Spricht für sich, oder?
Ich stelle mir bei solchen Fällen immer die Frage: ist es wirklich das, was das Publikum will? Authentizität? Haben wir so wenig Bedürfnis nach Fantastischem?
Vielleicht stimmt es ja, dass die Geschichte des Autors mehr interessiert. Wie war das noch auf Lesungen: haben Sie das wirklich so erlebt?
Woran liegt das, dass diese Frage sooo spannend ist und der besondere Umgang mit Sprache und sogar der Text in den Hintergrund rücken?
Ich persönlich glaube, man versucht hier wieder mal den Markttrend bis aufs Letzte auszureizen, bis man das Wort authentisch nicht mehr hören kann.
Mal sehen wie lange das noch anhält :)
Ich persönlich empfinde es mitunter sehr unterhaltsam belogen zu werden.
Und erst selber lügen… wie leicht es doch ist, kleinere Episoden mit wenigen Worten spannender zu gestalten.
Trotzdem: Die Welt lernt man kennen, wenn man sie sich von Menschen zeigen und erzählen lässt, die ein Stück von ihr sind.
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