Austausch und Vernetzung unter Literaturaffinen verlagern sich zunehmend in die Onlinesphäre. In unserem Interview erklärt Gesine von Prittwitz, welche Rolle Blogs im Literaturmarkt spielen, warum die herkömmliche Literaturkritik an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat und wie sie die Digitalisierung des Buchmarktes einschätzt.
Hallo Gesine, könntest du dich bitte kurz für unsere Leser vorstellen und erzählen, was du so machst?
Zunächst, Anne, danke für die Einladung zu diesem Gespräch. Wer bin ich? Von Hause aus studierte Literaturwissenschaftlerin und Empirikerin; ich habe den Hang, möglichst weit über den Tellerrand hinaus zu blicken. Nach dem Studium tätig in Forschung und Lehre, seit 1995 für die Buchbranche, 2005 gründete ich die Agentur Prittwitz & Partner, deren Motto lautet: Wir machen Büchern Beine.
Ich berate Autoren, begutachte und lektoriere Manuskripte und konzipiere öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, off- und online. Meine Leidenschaft gehört der Arbeit mit und am Text. Seit jeher treibt mich der Literaturbetrieb um. So habe ich an der Universität Tübingen bei einem Forschungsprojekt zur „Literaturgesellschaft DDR“ mitgewirkt, später mit dem Autor Joachim Walther das Standardwerk „Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik“ erarbeitet. Heute beschäftigen mich die Folgen der Digitalisierung für den Literaturbetrieb und Buchmarkt. Damit einhergehende Veränderungen behandelt mein Blog SteglitzMind. Von zentraler Bedeutung sind sie auch im Arbeitsalltag in meiner Agentur.
Im September 2012 hast du auf deinem Blog eine Interviewreihe mit bibliophilen Bloggern ins Leben gerufen. Was genau steckt dahinter und wie kam es dazu?
Auch beruflich bedingt beobachte ich die Entwicklungen seit geraumer Zeit. Der Austausch über Literatur hat sich zu weiten Teilen ins Netz verlagert. Communities, Foren und Blogs wirken daran mit. Wer behauptet – wie Anfang November 2012 bei Tagesspiegel.de und Zeit Online geschehen–, dass hierzulande nicht über Literatur gebloggt werde, der verkennt die Realität im Netz komplett. Tatsächlich sind dort Unzählige in Sachen Buch und Literatur aktiv. Allein LovelyBooks verzeichnet meines Wissens über 800 Buchblogger.
Um ein wenig Licht in dieses Dickicht zu bringen, brachte ich im September 2012 die Gesprächsreihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“ an den Start. Die Reihe folgt dem Prinzip: Literaturaffine Blogger stellen sich in einem Kurz-Interview vor, empfehlen ihre persönlichen Blog-Preziosen und machen Vorschläge, wer in der Reihe ebenfalls zu Wort kommen sollte. – Ich freue mich sehr, dass die Eingeladenen die Gelegenheit zur Selbstdarstellung wahrnehmen und wir gemeinsam daran wirken, buchaffinen Bloggern zu mehr öffentlicher Wahrnehmung zu verhelfen.
In deinen Interviews spielen auch die Entwicklungen im Literaturbetrieb eine Rolle. Gibt es bei den Bloggern einen gemeinsamen Nenner zum Thema E-Books und Selfpublishing?
Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Sowohl zum E-Book wie zum Selfpublishing vertritt jeder der Befragten einen individuellen Standpunkt. Im Allgemeinen stehen die Blogger, die bislang zu Wort gekommen sind, der Entwicklung hin zum elektronischen Lesen nicht abgeneigt gegenüber, halten aber vielfach dem gedruckten Buch die Stange. Hierfür sind vorrangig haptische Gründe und natürlich Lesegewohnheiten ausschlaggebend.
Das Meinungsbild bezüglich Selfpublishing ist ausgewogen. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ich die Gesprächspartner nicht danach befrage, was sie generell von dem Phänomen halten, dass zunehmend Indie-Autoren mit Publikationen auf den Markt drängen. Ich will lediglich von ihnen wissen, wie sie damit umgehen, wenn Selfpublisher ihnen Titel zur Rezension anbieten. Durch die Bank legen meine Interviewpartner großen Wert auf Unabhängigkeit und selbstbestimmte Lektüre. Daher lehnen sie Rezensionsexemplare vielfach ab; das gilt für Selfpublisher und Angebote aus Verlagen gleichermaßen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Selfpublishing eine relativ junge Erscheinung ist und Menschen sich mit Neuem bekanntlich immer schwer tun. Und dass das Phänomen auch viel Mist hochschwemmt, ist ebenfalls ein Tatbestand, den man nicht unter den Teppich kehren sollte. So überhaupt dezidierte Skepsis oder gar Vorurteile innerhalb der Gesprächsreihe laut werden, rührt das meist daher, dass die Befragten entweder keine oder gar schlechte Erfahrungen mit Publikationen von Selfpublishern gemacht haben.
Mit dem Neuen schwertun – den Eindruck habe ich auch. Wie nimmst du denn persönlich die Digitalisierung des Buchmarktes wahr?
Als Herausforderung und als Bereicherung. Auch ich muss immer noch eingefahrene Wege verlassen und mich zu neuen Ufern aufmachen. Allerdings liegt mir das persönlich von Natur aus.
Dass Umbrüche auch Verluste kosten und ängstigen, liegt auf der Hand. Wohl lässt sich das Rad nicht zurückdrehen. Deshalb beschäftigen mich die Debatten rund um die Frage „Quo vadis Buch?“ nicht mehr, in denen Bewahrer und Reformer aufeinander einschlagen. Sie sind anachronistisch. Die buchbrancheninternen Diskussionen verfolge ich zwar schon allein beruflich weiterhin, sie tangieren mich allerdings kaum mehr. Impulse kommen inzwischen vornehmlich von außen. Die Zukunft des Buchmarktes ist digital. Und der damit einhergehende Wandel beschränkt sich nicht allein auf ein Medium, das sich derzeit (noch) Buch nennt.
Es bedarf also insgesamt neuer Perspektiven. Welche Potenziale siehst du in der Literaturbloggerszene?
Eine schwierige Frage, auch deshalb, weil es d i e Literaturbloggerszene meines Erachtens gar nicht gibt. Die literarische Szene im Netz lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Jedes Blog verfolgt ein anderes Konzept, jeder Blogger vertritt einen anderen Anspruch. Man muss genau abwägen, welches Profil ein Blog hat, welche Intentionen vorrangig sind. Autorenblogs, Buchblogs, Literaturblogs oder reine Rezensionsblogs verfolgen unterschiedliche Ansätze.
Ich begrüße es sehr, dass bibliophile Blogs den Austausch über Bücher befördern und zum Lesen animieren. Hier beziehe ich auch jene Blogger mit ein, die sich vorrangig mit leichter Kost oder gängiger Stapelware beschäftigen. Den abfälligen Blick auf Blogger, die sich mit Chick-Lit beschäftigen, kann ich so nicht nachvollziehen, weil auch sie Bücher an Leser bringen. Geschmäcker sind verschieden. Potenzial sehe ich darüber hinaus darin, dass sich Literaturblogger vielfach solchen Büchern und Autoren zuwenden, die nicht im Fokus stehen. Einige können durchaus für sich verbuchen, einen Gegenpol zum klassischen Mainstream-Feuilleton zu bilden.
Können Blogs als Multiplikatoren (auch) für Selfpublisher dienen, was Vermarktung, Rezensionen usw. betrifft?
Können sie, so sie Reichweite haben. Der springende Punkt dabei ist allerdings, ob sie sich für Vermarktungsinteressen einspannen lassen wollen. Meine Interviewpartner jedenfalls lassen sich nicht instrumentalisieren.
Natürlich besteht kein Zweifel daran, dass Buch-, Literatur- und Rezensionsblogs heute gewichtige Multiplikatoren sind. Dies gilt insbesondere für Selfpublisher, die von den klassischen Medien noch weitgehend ignoriert werden. Und da die Medien Buchbesprechungen immer weniger Raum geben und mit Vorliebe auf marktgängige Titel setzen, wird die Bedeutung von Buch- und Literaturblogs weiter zunehmen. Auch deshalb, weil die Literaturkritik ihre Glaubwürdigkeit als Vorreiter und Ansager inzwischen weitgehend eingebüßt hat.
Allerdings sollten sich Autoren und Verlage von Buchbloggern kein Heil versprechen. Das Prinzip „Lies mich / Besprich mich / Kauf mich“ kennt keine Gewährleistungspflicht.
Wie stellst du dir die Zukunft des Buches und seiner digitalen Geschwister vor?
Wir stehen am Anfang einer Entwicklung, die enorme Veränderungen – nicht zuletzt für den Buchmarkt und den Literaturbetrieb – mit sich bringt. Wohin der Weg geht, ist derzeit nicht absehbar. Ich bin mir gewiss, dass das elektronische Lesen mit der Verfeinerung der Lesegeräte und Tablets, mit E-Book-Verleih und Flatrate-Angeboten an Gewicht zulegen und sich das gedruckte Buch in Nischen halten wird. Die Rolle und Funktion der Verlage und das Selbstverständnis von Autorenschaft werden sich ebenso verändern wie die Vermittlung von und der Austausch über Literatur, Stichwort: Social Reading. Es werden sich neue Gattungen und Erzählformen herausbilden.
Für mein Empfinden geht es doch längst nicht mehr darum, ob sich das E-Book durchsetzen wird. Die aktuellen Herausforderungen liegen inzwischen woanders: etwa beim Selfpublishing, Fragen der Vermarktung unter gewandelten Kommunikations- und Distributionsbedingungen, beim Urheberrecht etc.pp. – Ich beobachte die Entwicklung gespannt und freue mich darüber, dass ich bedingt durch die Zusammenarbeit mit Verlagsautoren, Hybrid-Autoren und Indie-Autoren und über den Austausch mit „Pionieren“ daran teilhaben kann. Wobei mich vornehmlich die Frage umtreibt, wie man unter heutigen Bedingungen Büchern Beine macht.
Herzlichen Dank für das Gespräch und deine Zeit, Gesine!
(Foto: © Sabine Münch)
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Interessantes Interview!
„Den abfälligen Blick auf Blogger, die sich mit Chick-Lit beschäftigen, kann ich so nicht nachvollziehen, weil auch sie Bücher an Leser bringen. Geschmäcker sind verschieden. Potenzial sehe ich darüber hinaus darin, dass sich Literaturblogger vielfach solchen Büchern und Autoren zuwenden, die nicht im Fokus stehen. Einige können durchaus für sich verbuchen, einen Gegenpol zum klassischen Mainstream-Feuilleton zu bilden.“
( Gesine von Prittwitz.)
Der Chicken-Lit-Wirtschaft haben wir wohl mehr als zuhauf, wie auch der Vermassung und geistigen Vermüllung. An der Vermassung wird sich nichts ändern, sie wird eher zunehmen und andere, qualitativ hochwertige Blogs, mit in einen Sumpf ziehen.
Wer den geistigen Sumpf bewässert, darf sich nicht über dessen Auswüchse beklagen.
Somit ist eine Förderung und eindeutige Unterstützung von Qualität angesagt. Es geht auch um eindeutige Positionierungen in einer zunehmend vieldeutigen, unüberschaubaren Welt, sei sie nun real oder virtuell.
„Geistiger Sumpf“? Ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt, Stefan! Literatur soll doch auch (vor allem?) unterhalten. Blogs über Literatur sollen über Literatur informieren, über hochliterarische wie triviale. Und wo die Grenze ziehen? Warum positionieren? Auch Blogs über ChickLit haben eine Daseinsberechtigung. Man muss sie ja nicht lesen.
Ich dachte ja, die Sache mit dem U und dem E ist over? Anscheinend besteht aber Gesprächsbedarf… Jedenfalls wird der Filter immer wichtiger, wenn das Angebot größer wird. Eigentlich ja der Ansatzpunkt für Blogs -- wenn jeder ein ebook schreiben kann und darf, dann gilt gleiches auch für dessen „Bewertung“. Insofern ja zur Positionierung, nein zur Bevormundung des Lesers durch so etwas wie “ Qualitätssicherung“ im Sinne von Zensur angeblich nicht (genügend) literarischer Inhalte.
schau mal :)
http://steglitzmind.wordpress.com/tag/litaffin/
Interessant sein wird sicher auch die zukünftige Entwicklung und Reichweite von Selfpublishing-AutorInnen und ihren Werken. Gerade im Zuge von prominenten Plattformen wie Amazons Kindle-direct-Publishing-Bereich. Spannend auch, ob kleinere „Skandale“ wie die Plagiatsvorwürfe gegen den Kindle-Bestseller 2012 „Holunderküsschen“ von Martina Gercke der Entwicklung schaden (können/werden).
Qualität. Das ist ein sehr schwieriger Begriff. Natürlich nehmen die Komplexität des Angebots und vor allem die Quantität der Titel unheimlich zu und es bedarf Orientierungshilfen. Warum da nicht auch Blogs zurate ziehen? Meines Erachtens bieten diese ein alternatives Angebot zu den gängigen Literaturkritiken -- aber wichtig dabei, wie bereits erwähnt: Es zwingt einen niemand, diese zu nutzen. Man entscheidet selbst, ob und was man lesen möchte. Die individuelle Spezialisierung / Selektion wird erst möglich. (Paralle Nutzung sowieso)
Fokussieren sich Verlage primär auf ihre „Spitzentitel“, bleiben einige höchst interessante Werke weitgehend unbeachtet und verschwinden nach ein paar Wochen wieder aus dem Blickfeld. Verlage stecken in einer schwierigen Zeit / Umbruchphase und müssen als wirtschaftliches Unternehmen auch sehen, wie sie Umsatz machen. Umsatz ist freilich nicht mit Qualität gleichzusetzen. Wie oft ist von Lektoren zu hören, dass sie diesen oder jenen anspruchsvollen Titel gerne gemacht hätten. -- Aber: Er verkauft sich nicht.
Ich kann Gesine nur zustimmen und meine, das Netz bietet hier ein großes Potenzial, was den Austausch über Literatur und die Vernetzung untereinander angeht (Empfehlungen usw. eingeschlossen). Dem „geistige(n) Sumpf“, der ja anscheinend vornehmlich in der Onlinesphäre zu entstehen vermag, kann nur dadurch Einhalt geboten werden, indem sich kluge Köpfe aus der Branche überhaupt erst einmal auf diese einlassen / analysieren / Erkenntnisse gewinnen. -- Und es dann besser machen.
Gerade was Empfehlungen angeht, hat sicherlich momentan vor allem Amazon ein Wörtchen mitzureden -- ob nun im Bereich des Self Publishings oder im Rahmen des „normalen Verlagsprozederes“. Interessanter Artikel dazu, was passiert „wenn die crowd mithilft: http://www.buchreport.de/nachrichten/online/online_nachricht/datum/2013/01/14/wenn-die-crowd-mithilft.htm
@steffen: Die Rezensentenmafia, oha. Ich erkenne ehrlich nicht so einen großen Unterschied zur bisherigen Praxis. „Gefälligkeitsrezensionen“ finden sich viele in den Zeitungen, nur online fällt es mehr auf, vielleicht ist das der Unterschied ;)
@Peter:
Da hast Du natürlich prinzipiell Recht. Allerdings denke ich, dass die Sache bei Amazon schon noch weitaus größere Kreise zieht, als es vielleicht in der üblichen Presselandschaft der Fall ist.
cooles Interview!