Der Sommer ist noch nicht vorbei: Bücher für den Seetag

Wie definiert man ein echtes „Sommerbuch“?  Locker flockig, leicht verdaulich, passt gut in die Strandtasche? Oder ein echter Schmöker, der einen den Sommer begleitet und den man gar nicht mehr aus der Hand legen mag? Wir präsentieren euch unsere Lieblings-Bücher für den Sommer ’24, der zum Glück noch lange nicht vorbei ist!

Laura Naumann: Haus aus Wind

Von Emma Rotermund

Ein queerer Surferroman ohne Surferboys, stattdessen gleich zwei Surferinnen: Johanna, nach der Trennung von ihrer langjährigen Partnerin Rosa in der Algarve gestrandet, ist hin und weg, als die gescheiterte Profisurferin Luz sie aus den Wellen zieht. Auch die einige Jahre ältere Robyn fällt Johanna gleich am Strand auf. Sie verliebt sich in beide.

Eigentlich wollte sie nur zwei Wochen bleiben, eine kurze Pause von ihrem Job als Synchronsprecherin in Berlin. Aber dann verhilft Luz ihr zu einem Job im Surfhostel ihrer Schwester und nimmt sie unter ihre Fittiche.

Luz, mittlerweile Surflehrerin, ist schlagfertig und selbstbewusst – all das, was die unsichere Johanna gerne wäre. Und Robyn, die schon so viel Lebenserfahrung hat, fasziniert sie mit ihren Geschichten, die alle eine Pointe zu haben scheinen, und gibt ihr Halt.

In ihrem Dreiergespann fühlt sich Johanna zum ersten Mal seit Langen angekommen. Gleichzeitig ist sie gezwungen, ihre Komfortzone zu verlassen. Ganz hinter sich lassen kann sie ihre Vergangenheit allerdings nicht: Immer wieder wird sie von Erinnerungen eingeholt, an Konflikte mit ihren Eltern, an Rosa und ihre Trennung und Grenzüberschreitungen bei der Arbeit. Und dann das ständige Herzrasen und die Ängste, von denen sie regelmäßig überwältigt wird.

Als es nicht mehr anders geht, wird Johanna klar, dass sie sich nicht mehr hinter anderen verstecken kann, wie sie es als Synchronsprecherin getan hat, seit sie 11 ist. Dass sie selbst dafür verantwortlich ist, herauszufinden, was sie eigentlich will, und das auch mitzuteilen.

Eine späte Coming of Age-Geschichte mit Ende 20, in der die Protagonistin nicht nur lernen muss, Wellen zu reiten, sondern sich auch endlich ihren Gefühlen zu stellen. Mit einer angenehmen Selbstverständlichkeit werden gesellschaftliche Themen aufgegriffen, wie etwa die Sozialisierung im Ostdeutschland der Nachwendezeit, queere Elternschaft oder Sexismus und Queerfeindlichkeit im Sport, ohne dass es belehrend wirkt. Die perfekte Lektüre für den Strand, oder um sich dorthin zu träumen.

Haus aus Wind von Laura Naumann, S. Fischer Verlag 2024, 336 Seiten.


Paul Murray: The Bee Sting (Der Stich der Biene)

Von Eva Bensberg

“Everyone knew everyone, everyone knew your business; when you walked down the street people would slow their cars to see who you were so they could wave at you.” 

In einer kleinen Stadt mitten in Irland wohnt die Familie Barnes. Einst extrem wohlhabende Autohausbesitzer, schwindet nun das Vermögen dahin. Der Crash des Keltischen Tigers hat auch sie nicht verschont, wer kann sich denn noch Luxusartikel wie Autos leisten? Plötzlich scheint nichts mehr sicher. Cass hatte fest vor in Dublin studieren, um dieser unsäglich kleinen Stadt mit den “lumpen potato-poeple” zu entfliehen. Aber gerade kurz vor den Abschlussprüfungen verbringt sie immer mehr Nächte in den örtlichen Kneipen und mit immer fragwürdigeren Typen. Ihr kleiner Bruder PJ hat seine eigenen Sorgen. Der Schul-Bully hat es auf ihn abgesehen, seine Füße hören einfach nicht auf zu wachsen und wenn er sich nicht zusammenreißt, schicken ihn seine Eltern bestimmt auf ein Internat. Vielleicht wäre es einfacher abzuhauen?

Ihre Eltern scheinen davon nichts mitzubekommen, viel zu beschäftigt sind sie mit sich selbst. Imelda versucht alles, um ihr Image zu bewahren, auch wenn das bedeutet, dass sie kartonweise geliebte Designer Klamotten und Möbel verkaufen muss. Als der Glanz und das Geld schwindet und das Haus immer leerer wird, kommt langsam ihre Vergangenheit wieder zum Vorschein. Dickie scheint es nicht zu jucken, dass das Geschäft den Bach runter geht. Stattdessen fängt er an, im Garten den alten Bunker auszubauen. Nur zum Spaß und für die Kinder, aber auch falls demnächst die Welt untergehen sollte.  

Wie gut kennen wir unsere Eltern wirklich? Und andersherum? Paul Murray baut ein großartiges Puzzle, für das jedes Familienmitglied neue Stücke in ihren ganz eigenen Stimmen liefert. Mit meisterhaftem Foreshadowing, unvorhersehbaren Wendungen und ganz viel dunklem Humor wird die Geschichte einer Familie erzählt, bei der nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. 

Was macht ein gutes Sommerbuch aus? Das Gefühl, nicht mehr loslassen zu können, alle 642 Seiten im Schatten am See zu verschlingen und danach immer noch nicht genug zu haben!

The Bee Sting von Paul Murray, Penguin Books 2023, 642 Seiten. Der Stich der Biene, aus dem Englischen von Wolfgang Müller, Verlag Antje Kunstmann 2024, 700 Seiten.


Caroline Wahl: Windstärke 17

Von Inga Kuck

Wo geht man hin, wenn man möglichst weit weit weg von Zuhause sein will – wenn einem nichts dort hält? Mit einem kaputten Hartschalenkoffer, nichts außer Klamotten, ihrem MacBook und dem Wutklumpen im Bauch steigt Ida in den nächsten Zug. Und anstatt zu ihrer Schwester Tilda nach Hamburg zu fahren, schaltet sie ihr Handy auf Flugmodus. Sie muss allein sein, keiner kann ihr gerade helfen. Und so landet sie bei ihrer Flucht auf Rügen.

Nach dem Bestsellerroman „22 Bahnen“ erzählt Caroline Wahl mit „Windstärke 17“ die Geschichte der kleinen Schwester Ida. Stürmisch, frech und schmerzvoll. Ein Buch über Trauer, Schuld und Verzeihen. Ida wird auf Rügen von dem alten Pärchen Knut und Marianne liebevoll aufgenommen und während sie abends in Knuts Kneipe arbeitet, verbringt sie ihre Tage mit Marianne, spielt Karten und walkt mit ihr durch den Wald. Doch nur das Schwimmen in der Ostsee bringt den Sturm in ihrem Kopf zum Verstummen. Kann Ida den Sturm am Ende bezwingen? Und dann wäre da noch Leif mit den traurigen Augen, der sie irgendwie zu verstehen scheint mit ihren Problemen.

Caroline Wahl schafft Wohlfühlmomente trotz der Tragik im Leben und zaubert den Leser*innen mit Idas Art an so mancher Stelle ein Schmunzeln ins Gesicht. Ein Buch, das die Idylle an ganz ungewöhnlichen Orten findet und bei dem man auch Rügens raue Tage lieben lernt. Tipp: das ideale Buch für verregnete Sommertage.

Windstärke 17 von Caroline Wahl, DuMont Buchverlag 2024, 254 Seiten.


Deborah Levy: Augustblau

Von Antonia Prume

Elsa M. Anderson ist eine weltbekannte Konzertpianistin – bis sie die Bühnen hinter sich lässt. Nachdem sie ihr Leben lang als Wunderkind und Virtuosin galt, fängt sie nun an, die Welt jenseits der Klavierbank zu betrachten. Sie reist, unterrichtet, macht Begegnungen. Immer wieder trifft sie auf eine Frau, die ihre Doppelgängerin zu sein scheint, die nicht greifbar wird und die sie dennoch nicht loslassen kann. Auch die Lücken ihrer Kindheit und die Beziehung zu ihrem Klavierlehrer, der sie adoptiert und aufgezogen hat, drängen sich ihr in dieser Zeit des Umbruchs immer wieder auf.

„Ich wusste, dass ich davonrannte, aber ich wollte mein Leben nicht mit einer Gabel aufspießen und es mir zu genau ansehen.“

Deborah Levy hinterfragt, was uns ausmacht und wer für uns Familie ist. Zart und poetisch, im nächsten Moment doch wieder rau und kraftvoll regt der Roman zum Nachdenken an. Dabei kommt man den Figuren näher, bis sie sich auf der nächsten Seite wieder entziehen und sich in diesem Wechselspiel entfalten. Augustblau ist ein Roman voller Leerstellen, der Fragen stellt und das Antworten den LeserInnen überlässt.

Augustblau von Deborah Levy, aus dem Englischen von Marion Hertle, AKI-Verlag 2023, ca. 176 Seiten

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