Am Mittwoch klagte das amerikanische Justizministerium fünf der größten amerikanischen Verlage und Apple an. Grund dafür: Kartellverfahren mit dem Zweck, die wachsende Macht Amazons durch einen Wechsel zum sogenannten “Agentur-Modell”, zu bremsen. Dies würde die Preise von E-Books deutlich erhöhen. Nun haben drei der fünf Verlage, HarperCollins, Hachette und Simon & Schuster, sich mit dem Justizministerium aussergerichtlich geeinigt – mit heftigen Konsequenzen. Macmillan, Penguin und Apple entschieden sich jedoch dafür, gegen die Anklage zu kämpfen. Ein Riesenerfolg für Amazon – doch was steckt hinter dem Verfahren in einem Land ganz ohne Preisbindungsgesetze für Bücher?
Das Kartellverfahren in Amerika ist seit 1890 nach dem „Sherman Antitrust Act“ verboten. Monopole und Kollusionen sind zum Beispiel untersagt; Ziel ist, den Marktwettbewerb zu fördern. Die Anklage des Justizministeriums lautet, dass diese fünf Verlage sich zusammen mit Apple illegal konspiriert haben, um E-Bookpreise aufzublähen und damit den Verbrauchern von E-Books angeblich einen Schaden 100 Millionen Dollar kosteten.
Was genau ist passiert? Als Amazon sein Kindle auf den Markt brachte, haben die Verlage und Amazon das traditionelle Modell des amerikanischen Buchhandels verwendet: Die Verlage verkaufen ihre Bücher mit einem sehr hohen Rabatt an Amazon und Amazon wiederum verkauft die Bücher dann zu einem selbst festgelegten Preis. Da es in den USA weder für E-Books noch für gedruckte Bücher ein Preisbindungsgesetz gibt, kann Amazon die E-Books zu einem sehr niedrigen Preis ( $9,99) verkaufen. Dieser Preis ist so niedrig, dass selbst Amazon hierdurch Verluste erzielt. Doch genau das ist der Plan: Denn der Verlust ist unbedeutend, solange die Verbraucher am Ende an das Kindle gebunden sind. Denn durch die Bindung der Kunden macht Amazon schließlich Gewinn, da auf ein Kindle nur E-Books von Amazon gelesen werden können – und wenn die E-Books günstig sind, werden sie auch mehr gekauft.
Während Amazon zu diesem Zeitpunkt 90 % des E-Book-Marktes besaß (im Vergleich zu den heutigen 60 %), ging es den Verlagen anders. Das drohende Monopol Amazons sorgte für Angst bei den Verlagen, denn diese befürchteten, langfristig keine Kontrolle mehr darüber zu haben, für wieviel Geld ihre Bücher verkauft werden – und die Verbraucher könnten sich schnell an Preise gewöhnen, die den Wert eines Buches unterschreiten. Als Apple sein iPad und somit den iBookstore auf den Markt bringen wollte, sahen die Verlage die Chance, die Macht Amazons einzudämmen und schlossen mit Apple ein Abkommen ab: Apple fungiert als Agentur für die Verlage, in dem Apple deren E-Books auf dessen Plattform verkauft und 30 % des Ladenpreises behält. Der Verlag legt selbst den Preis fest und behält 70 % des Ladenpreises. So verkaufte der iBookstore E-Books für 12 bis 15 Dollar. Wichtiger noch: Unter diesem Abkommen dürfen keine anderen Anbieter E-Books zu einem niedrigeren Preis als die bei Apple anbieten. Als die Verlage Amazon die Wahl gaben, zum Agentur-Modell zu wechseln oder ihre E-Books nicht mehr verkaufen zu dürfen, beugte sich Amazon. Und für die Kindle-Besitzer waren die Preise von E-Books plötzlich deutlich teuerer.
Zurück zum Kartellverfahren. Die Anklage, erhoben von der Hagens Berman Gruppe für Zivilprozesse mit Unterstützung der Europäischen Kommission und 15 amerikanischen Bundesstaaten, behauptet, dass die Verlage und Apple technologische Entwicklungen bremsten, um ihre eigenen Gewinne und Marktanteile zu schützen, und dabei die Rechte der Verbraucher sowie andere Händler verletzten. „Sollten sich die Vorwürfe erhärten, drohen den Unternehmen in Europa hohe Geldbußen,” berichtet das Handelsblatt. Aber ein Sieg für Verbraucher wäre aus der Perspektive der Verlagen und Buchhändlern nur kurzfristig, behauptet die New York Times. Am Ende wird nur getauscht, und zwar ein Scheinmonopol für ein Echtes. Amazon sitzt wieder auf dem Thron.
Unter den Bedingungen des Ausgleiches mit dem Justizministerium, die HarperCollins, Hachette und Simon & Schuster einhalten müssen, zählen unter anderem die Ernennung eines “Anti-Trust Compliance Officer”, ein jährliches Audit, Dokumentation fast aller Kommunikationen im Bezug auf Verkaufsstrategien und Pläne für E-Books, Kontrolluntersuchungen des Justizministeriums in den Büros der Verlage, informale und offizielle Interviews mit Betriebsangehörigen und Agenten und das Einreichen von Berichten, sofern verlangt. Obwohl keiner der Verlage zugibt, an einer illegalen Kollusion teilgenommen zu haben, kämpfen Macmillan, Penguin und Apple weiter. Macmillan CEO John Sargent schrieb in einem Brief an Macmillans Autoren, Illustratoren und Agenten: “The settlement … would have a very negative and long term impact on those who sell books for a living, from the largest chain stores to the smallest independents … We made the change to support an open and competitive market for the future, and it worked … It is also hard to settle a lawsuit when you know you have done no wrong”. Und Scott Turow, Präsident des Author’s Guild, erklärte: “Our government may be on the verge of killing real competition in order to save the appearance of competition”. Auf Twitter entstand sogar die Hashtag “dojfail”. Agent Michael Bourret twitterte, dass die Anklage “may as well have been written by Amazon”. Amazon freute sich natürlich und nannte die Entscheidung des Ministeriums einen Sieg für Kindlenutzer.
Was mit den Verlagen Macmillan und Penguin passieren wird, ist noch unklar. Da Macmillan zur Verlagsgruppe Holtzbrinck gehört, hat das Kartellverfahren auch in Deutschland Bedeutung. Die Kapitulation der anderen Verlage aber macht deutlich: Hier geht es nicht mehr nur um E-Books, sondern um die finanzielle Zukunft der Verlage überhaupt.
Foto: © flickr.com creative commons/ewige
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Nach außen hin scheint es John Sargent, CEO von Macmillan, immerhin mit Humor zu nehmen, wie in der NYT zu lesen ist: „He wrote to his authors and employees that he made the decision to change pricing structure ‚on January 22nd, 2010, a little after 4 a.m., on an exercise bike in my basement. It remains the loneliest decision I have ever made, and I see no reason to go back on it now.’” Man möchte ihm glauben…
Mit meinem Kindle kann ich durchaus auch Bücher, die ich nicht bei amazon gekauft habe, lesen. Legal, aber das erfordert natürlich technische Grundkenntnisse.
Ich les hauptsächlich Blogs und die Zeitung auf dem Gerät.