Die interessantesten Momente beginnen oft mit einem Geständnis. Hier kommt meins:
Es sollte eigentlich um den Konzertpianisten a.D. und Schriftsteller Alfred Brendel gehen, um die Verbindung zweier Kunstformen in einer Person und um den Begriff des „Musikschriftstellers“, der ihm vom Feuilleton gerne aufgetragen wird und gegen den er sich mindestens genauso gerne wehrt, wie gegen Hustenanfälle in Konzertsälen.
Ich hatte bereits alles vorbereitet. Mein aktueller Bezug sollte Brendels Lyrik-Lesung in der Berliner Philharmonie sein, von der ich etwas enttäuscht war. Zudem besorgte ich mir das im Hanser Verlag erschienene Buch Nach dem Schlussakkord. Die Enttäuschung über die Lesung wollte ich mit dadaistischen Verweisen verknüpfen, da sich Alfred Brendel als Lyriker selbst in diese Tradition einreiht. Aber wie es nun einmal so ist mit Situationen, in denen Geständnisse auftauchen, kam es auch hier anders, als zunächst vermutet.
Nach unzähligen Versuchen, den Brendel-Abend zu rezensieren, merkte ich, dass ich vor allem an zwei Dingen scheiterte:
Erstens langweilte mich die Lesung, die zumindest mit einem überzeugendem Streicher-Trio verbunden war, doch nicht so sehr, um darüber einen Verriss zu schreiben, noch fühlte ich mich in der Lage, Brendels Lyrik – Eindrücke davon finden sich hier, hier und hier – per se zu analysieren. (Man sollte generell keine Kritik verfassen, wenn man nur oberflächlich über ein Thema Bescheid weiß, das hilft weder dem Kritiker, noch dem Kritisierten.) Zweitens wurde ich mit einem grundlegenden Problem des Bloggens konfrontiert, denn möchte man über ein aktuelles Thema berichten, sollte man dies auch zeitnah fertig bringen, sonst ist irgendwie die Luft raus. Brendels Lesung war Anfang Februar.
Nun aber zu der oben groß angekündigten Planänderung.
Das Dilemma erinnerte mich an eine Platte der New Yorker Band One Ring Zero. Warum auch immer. Vermutlich aber, da diese ebenfalls Literatur mit Musik verband. Denn für As Smart As We Are haben die Musiker Michael Hearst und Joshua Camp Schriftsteller mit der Bitte angeschrieben, ihnen Texte jeglicher Art zu schicken, mit der Aussicht, diese für ihr nächstes Album zu vertonen. Musikalische Genrewünsche wurden angeblich berücksichtigt. Für das Projekt fanden die Musiker dann auch tatsächlich literarische Größen wie Denis Johnson, Jonathan Lethem, Dave Eggers, Margaret Atwood und viele Andere. Herausragend ist für mich der Beitrag von Altmeister Paul Auster, dessen textliche Vorgabe Natty Man Blues die Band in einem Stil verarbeitete, der ein wenig an Tom Waits erinnert, den man wiederum selbst zu der Königsklasse musikalischer Erzähler zählen sollte.
Natürlich kann man sich über die literarische Qualität einiger Texte streiten, aber bei Zeilen wie „There ain’t no sin in Cincinnati, since I’ve been in Cincinnati“ kann ich vor Begeisterung nur müde über die Versuche deutscher Poetryslammer lächeln, die nach gescheiterten Roman-Versuchen sich mit ihrer Gitarre auf Kleinkunstbühnen stellen und nicht einmal im Ansatz Vergleichbares erzeugen. (Vorschlag für möglichen Blogeintrag: Streitschrift gegen zu Komikern avancierte Poetry Slammer, inkl. der Behauptung, es gäbe im Hip Hop weitaus mehr Akteure, die mit literarischem Talent überzeugen können.)
Auch bei ambitionierten Vorhaben wie As Smart As We Are gibt es jedoch Absagen. Michael Chabon zum Beispiel beteuert in einem Brief an One Ring Zero Sänger Michael Hearst, wie gerne er dabei wäre, es zeitlich jedoch nicht schaffe und grüßt schließlich mit den Worten „I’m very sorry to be left out of such a distinguished group. I suck! MC“. Wie schön eine solche Absage werden kann, zeigt die musikalische Umsetzung, die zwar nicht auf dem Album, aber zumindest im Internet ihren Platz fand:
Um eine kleine Brücke zurück zu Brendel bzw. den Streichern zu schlagen, hier eine andere Version: The Parker String Quartet
Von Verbindungen zwischen Literatur und Musik haben an dieser Stelle aber schon andere berichtet. Beispielsweise von Finn Ole Heinrichs Du drehst den Kopf, ich dreh den Kopf und von dem Kookbooks Projekt Elektro.Lit. Das Album von One Ring Zero ist zudem aus dem Jahr 2004 und damit nun auch nicht gerade aktuell. Hätte ich also doch ruhig über Alfred Brendel schreiben sollen? Vielleicht. Am Ende steht jedenfalls noch eine kleine Revision und damit auch ein weiteres Eingeständnis: Man braucht keinen aktuellen Anlass, um über tolle Dinge zu schreiben, man muss es nur tun.
Zuletzt würde ich jedem, der sich durch die Poetryslam Anmerkung auf die Füße getreten fühlt, mit Michael Chabons Worten entgegnen: I’m very sorry to be left out of such a distinguished group. I suck! CL.
Bildnachweis:
Eigenes Foto. Album Artwork zu „As Smart As We Are“ von Honest Design/ Softskull
- Die strategische Vermessung künstlerischer Kollektive - 8. Juni 2011
- As Smart As We Are – Literatur, Musik und eine Planänderung - 11. März 2011
- Verortung der Gegenwart – Ulrich Peltzers Poetikvorlesung - 23. Februar 2011