Adventskalender: Erste Woche

Ihr seid noch auf der Suche nach einem Buch zum Verschenken? Oder einer Lektüre für die Weihnachtstage? Kein Problem, we got you. Die Redaktion hat ihr Lesejahr Revue passieren lassen und präsentiert euch im diesjährigen Litaffin-Adventskalender Lieblingsbücher, Coverkäufe, aber auch Memes und Gedichte.

1. Dezember

Wenn es eine Geschichte gibt, die ich in der Weihnachtszeit immer wieder lesen muss, dann ist es Astrid Lindgrens „Pelle zieht aus“. Wütend über seine Eltern, die Pelle zu Unrecht für das Verschwinden eines Füllfederhalters verantwortlich machen, beschließt Pelle kurz vor Heiligabend in das kleine Toilettenhäuschen im Hinterhof, genannt Herzhausen, zu ziehen. Wenn er erst mal weg ist, so denkt sich Pelle, werden seine Eltern ganz traurig sein und es bestimmt bereuen, ihn für etwas verantwortlich gemacht zu haben, für das er keine Schuld trägt.

Beim Lesen der Geschichte kann ich Pelle jedes Mal so gut verstehen. Die Wut und Enttäuschung, die man gerade bei Eltern oftmals empfindet und der Wunsch, mit einer großen Geste Eindruck zu schinden. Wahrscheinlich hat jedes Kind den Satz „Ich ziehe aus“ seinen Eltern ein mal ins Gesicht gepfeffert und irgendwann dann auch in die Tat umgesetzt. Darüber hinaus ist Pelle ein wahnsinnig lustiger Erzähler. In Gedanken überlegt er, wie er seine Eltern am effektivsten quälen kann, zum Beispiel, in dem er sich von einem Löwen in Afrika fressen lässt, entscheidet sich schlussendlich aber für ein wehmütiges Ständchen auf der Mundharmonika, um seine Eltern zu Tränen zu rühren.

Zurück bei meiner Familie lese ich also Pelles Geschichte, denke an die Male zurück, als ich meiner Mutter mit Auszug drohte und an den Tag, an dem ich es dann auch gemacht habe. Und freue mich über das Happy End in Pelles Geschichte. Denn wie das ebenso ist mit Streitereien unterm Tannenbaum, am Ende wird sich wieder vertragen, keiner will schließlich Weihnachten allein in einem Plumpsklo feiern.

Von Hannah-Lou Multhaup (Illustration: Kahrin Engelkind)


2. Dezember

Ich glaube, diesen Herbst gab es keine Person aus der Bookstagram-Bubble, der nicht dieses Buch in den Feed gespielt wurde. Und spätestens seit der Nominierung des Romans für den Deutschen Buchpreis war er auf jedem Büchertisch zu finden. Auch ich konnte dem Hype nicht widerstehen und habe mir „Die schönste Version“ von Ruth-Maria Thomas gleich in der nächsten Buchhandlung besorgen müssen. Natürlich hat mich bei dem Kauf auch das lachsfarbene Cover mit dem übermalten Ölporträt in seiner Ästhetik sehr angesprochen. Ich war gespannt, wurde aber in meinem Umfeld auch vorgewarnt. Ich erwartete eine Geschichte, die mich mitnimmt, unangenehm wird und schwer im Magen liegt. Ich wurde in meinen Erwartungen nicht enttäuscht.

Mit ihrem Debütroman „Die schönste Version“ schreibt Ruth-Maria Thomas schonungslos ehrlich von der Lebensrealität vieler Frauen: Jella und Yannick führen eine Partnerschaft, die von Gewalt, Missbrauch und Manipulation geprägt ist. Der Roman spielt in den frühen 2010er-Jahren in Ostdeutschland. Jella und ihre Freund*innen sind bestimmt vom Male Gaze, ihr Selbstwert ist abhängig von männlicher Validierung. Es ist die Geschichte eines Mädchens, das zur Frau wird, von der ersten Liebe, von Körpern und Grenzen und der Ohnmacht im Patriarchat. Der Schreibstil ist so unmittelbar und explizit, dass man als Leser*in auch körperlich mit der Protagonistin Jella mitfühlt und -leidet.

„Die schönste Version“ ist vielleicht kein Wohlfühlroman für die Adventszeit, aber eine Geschichte, die ich jeder Person wärmstens empfehlen kann.

Von Inga Kuck


3. Dezember

„Yes yes yes I do like you. I am afraid to write the stronger word“, schreibt Virginia Woolf in einem Brief an Vita Sackville-West. Als die beiden sich 1922 bei einer Dinnerparty das erste Mal begegnen, scheint Woolf nicht sonderlich angetan: Sackville-West sei hart und männlich, neige zum Doppelkinn und habe nicht den Geist eines Künstlers, schreibt sie in ihr Tagebuch. Vita Sackville-West hingegen ist vom ersten Moment an hin und weg: Eine spirituelle Schönheit strahle Woolf aus, sie verehre sie. „Darling, I have quite lost my heart“, schreibt sie an ihren Ehemann.

Die Schriftstellerinnen verband eine lebenslange Freundschaft und Liebesbeziehung, unterbrochen durch Phasen mit weniger Kontakt. Der Briefwechsel zwischen Woolf und Sackville-West, der ihre Beziehung dokumentiert, ist bereits in verschiedenen Versionen erschienen. An den von Alison Bechdel herausgegeben „Love Letters“ (dieses Jahr auch auf Deutsch beim Unionsverlag erschienen) ist neu, dass sie durch Tagebucheinträge und Briefe ergänzt wurden. Dadurch liest sich die Geschichte zwischen den beiden erst recht wie ein mitreißender Liebesroman.

Vita Sackville-West war die Inspiration für die Hauptfigur in Woolfs Roman „Orlando“, einem Klassiker der queeren und insbesondere trans* Literatur. Die Entstehung und Veröffentlichung des Buchs lässt sich auch im Briefwechsel nachverfolgen, etwa im Brief von Vita an Virginia, als sie „Orlando“ zum ersten Mal liest und sich „unendlich geehrt“ fühlt. Neben überschwänglichen Liebeserklärungen ist der Roman voller Witz und Beobachtungen über die zeitgenössische Literaturszene, aber auch in die Auswirkungen des Krieges auf die Leben der beiden und Woolfs Depression bekommt man einen Einblick. Das Buch ist ein Muss für Fans von Virginia Woolf sowie für jeden, der einfach eine gute Liebesgeschichte lesen möchte.

Von Emma Rotermund


4. Dezember

Worüber wir nie reden wollen…


5. Dezember

Viele Personen haben ein Buch, das sie jedes Jahr zu den Feiertagen wieder lesen – bei mir ist es immer ein anderes. Ich lese im Dezember ein Buch erneut, von dem ich weiß, dass es ein gutes Gefühl hinterlässt. Von kurzweiligen Romanen bis hin zu lustigen Comics war bisher alles dabei.

In diesem Jahr habe ich mich für „Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd. Eine bewegte Geschichte“ von Charlie Mackesy entschieden. Es handelt von einem Jungen, der nach einem Zuhause sucht. Er begegnet einem Maulwurf, einem Fuchs und einem Pferd, und gemeinsam machen sie sich auf den Weg.

Das Buch zum animierten Kurzfilm ist liebevoll gestaltet und voller kleiner Weisheiten, die wir alle hin und wieder hören könnten. Mit seinem Setting in einer schneebedeckten Landschaft passt es perfekt zum Winter und hinterlässt ein wohliges Gefühl.

Von Antonia Prume


6. Dezember

TW: Essstörung

Eigentlich hätte man es ahnen können: Dass sich hinter Buchcovern in Pink und Rosa nicht ausschließlich Zuckerwatte und Wohlfühlgeschichten verbergen, hat dieses Jahr mindestens Ruth Maria Thomas mit „Die schönste Version“ bewiesen. Trotzdem habe ich dieses Buch vor allem wegen der Farben eingesteckt. Dass sich hinter dem Cover von Yade Yasemin Önders „Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron“ eine Erzählung verbirgt, die ich fast schon als Body-Horror bezeichnen würde, habe ich nun wirklich nicht erwartet. 

Die Familie der Ich-Erzählerin bricht auseinander, als ihr Vater bei einem Unfall verstirbt. Übrig bleiben sie, ihre Mutter und ein toxisches Miteinander. Der Roman erzählt vom Aufwachsen in der westdeutschen Provinz, dem Dazwischensein als Tochter eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter, von Fremdheit und Ankommen, Kontrollverlust und vor allem vom Körper. Denn neben der kaputten Familie der Ich-Erzählerin und dem verstorbenen Vater, der nicht nur wegen seines Übergewichts als zu raumeinnehmend beschrieben wird, ist besonders die Essstörung der Protagonistin ein zentraler Bestandteil der Erzählung. 

Und auf einmal ist das Rosa des Buchcovers gar nicht mehr so Zuckerwatte, sondern eher verstörend. Önders Debüt ist dennoch seltsam faszinierend und das liegt vor allem an der Experimentierfreudigkeit des Textes. So mögen der fehlende rote Faden und die wechselnden Schauplätze dieses Buch zwar nicht gerade zur einfachsten Lektüre machen, dafür aber zu einer, die – zumindest mir – zeigt, wie sehr Sprache unter die Haut gehen kann. Ich hatte trotz Wut, Ekel, Scham und einer Menge Schaudern riesigen Spaß beim Lesen. Önder hat es geschafft, Wortkombinationen zu finden, von denen ich nicht wusste, dass sie möglich sind.

Alle, die sich mit diesem Thema jedoch unwohl fühlen, denen möchte ich tatsächlich vom Text abraten, denn es wird ganz schön explizit!

Von Klara Siedenburg


7. Dezember

Gemälde: „Stilleben mit Buch“ (1883) von Paul Signac

da im stillleben liegt das buch drapiert arrangiert still da hingelegt stillgelegt? Nicht funktionsfähig? umfunktioniert. an ihm licht form und farben probiert versteckte symbolik augenscheinliche ästhetik das buch in seiner GEGENSTÄNDLICHKEIT eingerahmt sein inhalt ungemalt verschlossen schließt doch was ein eine bildaussage ohne sein inhalt zu sein ich will in das bild hinein greifen das buch aufschlagen die ölfarben aufbrechen seiten voneinander lösen getrocknete farbe von fingerkuppen krümeln und finden was in ihm lebt seine wörter vor meinen Augen aneinanderketten schauen wie sich jeder satz bewegt in mir regt licht form und farbe bildet selber spricht: bild(buch)aussage

Ein Stillleben zeigt leblose, unbewegte Dinge.

das stillleben zeigt ein buch ist ein lebloser unbewegter gegenstand ein buch bewegt wird erlebt lebt fort hier eingefangen in ölfarben verklebt unter farbschichten in einem stillzustand stillstand stillliegen nichterleben still

im stillleben.

Von Inga Kuck


8. Dezember

Es gibt Bücher, die ziehen einen allein durch ihre Gestaltung schon magisch an. Bei mir war das so, als ich die Cover von den beiden Novellen der Monk and Robot-Reihe „A Psalm for the Wild-Built“ und „A Prayer for the Crown-Shy“ gesehen habe. Feifei Ruan und Christine Foltzer haben da echte Kunstwerke gezaubert! Sie verbinden traditionelle ostasiatische Elemente mit modernem Design und brechen damit auf wunderbare Weise mit den typischen Erwartungen, wie Science-Fiction-Literatur aussehen sollte. Die warmen Farben spiegeln die einladende Atmosphäre der Geschichten wider und laden dazu ein, es sich in der Welt von Panga gemütlich zu machen.

Panga, das ist ein Mond von einem fernen Planeten, der nach einer großen Umweltkrise in zwei Gebiete aufgeteilt wurde. In dem einen leben die Menschen im Einklang mit der Natur, das andere ist eine seit vielen Jahren unberührte Wildnis. Erzählt, wird die Geschichte aus der Sicht von Geschwister Dex. Als Tee-Mönch reist Dex von Ort zu Ort, hört sich die Sorgen der Anwohnenden an und brüht für alle den genau passenden Tee. So richtig los geht es aber erst, als Dex sich eines Tages in die Wildnis verirrt und dort über einen Roboter namens Splendid Speckled Mosscap stolpert.

Becky Chambers schafft es, mit viel Feingefühl und Wärme eine positive Zukunftsvision zu zeichnen. Ihre Geschichten sind durchdrungen von Hoffnung, Achtsamkeit und der Suche nach dem Sinn des Lebens. Genau das Richtige für einen kuscheligen Winterabend auf der Couch.

Von Julie Wolz

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