„Wir sind unbelastet und flexibel“

Sie sind jung, unabhängig und kreativ – der Berliner binooki Verlag hat sich innerhalb kürzester Zeit als Marke für moderne türkische Literatur im Betrieb platziert und etabliert.
Im Interview spricht Verlegerin Selma Wels über erste Gehversuche, ausgefallene Marketing-Aktionen und die Frage, wieso gerade Unerfahrenheit in der Verlagsbranche ein Vorteil sein kann.



Litaffin:
binooki wurde 2011 in Berlin gegründet und ist damit noch recht jung in der Verlagsszene. Erzähl uns doch bitte kurz etwas über den Verlag und Euer Konzept?
Selma Wels: 2010 war ich wegen eines Theaterprojekts in Istanbul und zur gleichen Zeit fand dort auch die Buchmesse statt. Also bin ich mit meiner Schwester über die Messe geschlendert und sie sagte immer nur, ich solle dies lesen und jenes. Mein Problem war aber immer, dass ich mich zwar für türkische Literatur interessiere, allerdings relativ ungern auf Türkisch lese. Leider gibt es aber – sieht man mal von Autoren wie beispielsweise Orhan Pamuk ab – relativ wenige deutsche Ausgaben türkischer Bücher. Da kam uns das erste Mal die Idee, dass man doch an dieser Situation etwas ändern müsste…

Litaffin: Wie ging es dann weiter?
Selma Wels: So eine Entscheidung trifft man natürlich nicht von heute auf morgen. Wir haben uns zunächst gefragt, ob es für einen derartigen Verlag und seine Bücher einen Markt gibt und sind dann schnell zu dem Ergebnis gekommen: Ja, den gibt es definitiv.
Bei den türkischen Verlagen wurden wir auch mit offenen Armen empfangen, denn die waren ja froh, dass überhaupt irgendetwas passiert. Im März 2012 kamen dann die ersten Bücher heraus, bis jetzt haben wir insgesamt acht veröffentlicht.

Litaffin: Ist es nicht verwunderlich, dass in Deutschland so viele türkisch-stämmige Menschen leben, aber vor Euch noch niemand auf die Idee gekommen ist, einen Verlag mit einem derartigen Konzept zu gründen?
Selma Wels: Das war ja der Punkt und genau darüber haben wir uns gewundert. Natürlich gab es immer jemand, der türkische Literatur übersetzt und veröffentlicht hat. Aber vielleicht war da keiner konsequent genug bei der Sache. Ich habe ja auch lange darauf gewartet, aber es hat sich nicht wirklich etwas bewegt.
Richtig entschieden zu sagen: wir veröffentlichen türkische Literatur vor allem junger, in diesem Land noch unbekannter Autoren – mit so einer Botschaft ist glaube ich noch niemand an die Öffentlichkeit getreten.

Litaffin: Du sprachst eben davon, dass es definitiv einen Markt für Eure Bücher gäbe – wer sind denn Eure Leser?
Selma Wels: Als wir die ersten Male unser Konzept vorstellten, kam oft die Behauptung, unsere Bücher seien ja nur für Türken. Da kann ich aber nur erwidern: Nein, unsere Bücher sind für jeden, der Deutsch lesen kann. Man liest ja auch deutsche Übersetzungen von Autoren aus anderen Ländern. Und auch unsere Verkaufszahlen spiegeln das wider. Über unseren Shop können wir beispielsweise nachverfolgen, dass 10% unserer Leser einen türkischen, 90 % einen deutschen Hintergrund haben.

Litaffin:
Alle Eure Bücher sind auch als E-Books erhältlich, was in Deutschland nicht unbedingt selbstverständlich ist…
Selma Wels: Ja, das stimmt. Wir versuchen eigentlich immer, alle E-Books parallel zur Printversion zu veröffentlichen, was bisher auch gut funktioniert hat. Auch wenn die Absatzzahlen nur einen geringen Prozentsatz ausmachen, sollte man einfach aufgestellt sein und nicht so eine Angst vor der digitalen Entwicklung haben. Denn ehrlich gesagt verstehe ich die Probleme der Branche nicht so richtig. Wir sind ja noch recht neu in der Verlagsbranche und haben dadurch einen Nachteil: wir haben nicht die Erfahrung. Der Vorteil ist aber: wir sind unbelastet und flexibel – was natürlich auch mit der Größe zusammenhängt. Wir lassen uns nicht verrückt machen, sondern verlassen uns auf unser Gefühl. Die ganz großen Verlage haben vielleicht mehr Erfahrung, aber eben auch komplexere Strukturen – und das ist auch unser Vorteil und der Grund, wieso wir Aktionen wie #berlinliestbinooki relativ einfach umsetzen können.

Litaffin: Da gibst Du das Stichwort! Mit #berlinliestbinooki habt Ihr habt den Virenschleuderpreis 2012 gewonnen – was genau war das für eine Aktion?
Selma Wels: Die Macher des Internationalen Literaturfestivals Berlin hatten ja mit Berlin liest zu einer Art „berlinweiten Lesung“ aufgerufen, diese Idee wollten wir mit einer eigenen Aktion untermalen.
Wir dachten uns, dass es doch schön wäre, wenn alle lesenden Menschen das Ganze auch festhalten und mit anderen Literaturinteressierten teilen würden – das war der Grundgedanke. Nach einer ziemlich kreativen und schlaflosen Nacht war dann klar, dass wir einen literarischen Fotocontest machen wollten.
Die Leute sollten sich selbst beim Lesen fotografieren und ihre Fotos dann bei Instagram mit dem Hashtag #berlinliestbinooki hochladen, oder uns per Mail schicken. Die Fotos mit den meisten Likes konnten dann schöne Preise gewinnen.

Litaffin: Und wie habt ihr das Ganze publik gemacht?
Selma Wels: Natürlich sollten die Leute irgendwie informiert und vor allem motiviert werden, an der Aktion mitzumachen. Es war ja von vorn herein klar, dass wir dafür kein großes Budget zur Verfügung haben, also sollten die Kosten natürlich so gering wie möglich gehalten werden. Durch eine Medienpartnerschaft mit FluxFM war uns schon mal eine gewisse Aufmerksamkeit sicher, außerdem haben wir eine Landingpage gemacht und Flyer gedruckt. Unsere Booklets waren natürlich das „Herzstück“ der Aktion. Neben einer Leseprobe unserer Neuerscheinung „Unsere große Verzweiflung“ von Barış Bıçakçı, konnte man darauf auch alle Infos zur Aktion finden.

Litaffin: Und mit diesen Booklets seid Ihr dann raus auf die Straße gegangen?
Selma Wels: Ganz genau! Die Aktion lief ja 14 Tage und an jedem dieser Tage sind wir morgens aufgestanden und haben die Booklets an relevanten Plätzen und Straßen in Berlin platziert, mal ganz einfach mit Klebeband, mal mit Paketschnur oder einer Wäscheleine. Danach haben wir den jeweiligen Ort auf Facebook und Twitter gepostet – es war unglaublich, wie schnell die Booklets weg waren.

#berlinliestbinooki#berlinliestbinooki

Litaffin: Wieso habt Ihr das Ganze nicht einfach nur im Internet platziert, sondern habt Euch zusätzlich für die „Guerilla-Variante“ auf der Straße entschieden?
Selma Wels: Auch wenn ich eben gesagt habe, dass wir digital aufgestellt sein wollen, ist natürlich alles gedruckte viel greifbarer für unsere Leser. Ich glaube wenn man etwas in der Hand hat, reagiert man unter Umständen viel positiver. Wenn Du über eine Brücke läufst und dort überall unsere Booklets siehst, bekommst Du natürlich auch eine viel größere Aufmerksamkeit und wirst ganz anders wahrgenommen.

Litaffin: Würdest Du Guerilla Marketing als ein gutes Mittel für kleine Verlage bezeichnen, um Aufmerksamkeit auf sich und seine Arbeit zu lenken?
Selma Wels: Auf jeden Fall! Die Kosten sind relativ gering und wir konnten ziemlich viel selbst machen, mussten also keine weiteren Menschen mit ins Boot holen. Wir haben keine großen Marketingbudgets zur Verfügung, deshalb sehe ich für uns eigentlich keinen anderen Weg. Aber auch davon abgesehen würde ich in jedem Fall auf eine solche Form des Marketings setzen. Es ist sympathisch, es ist authentisch.

Litaffin: Wie war denn letztendlich die Resonanz auf Eure Aktion?
Selma Wels: Die Resonanz war wirklich super! Als die Aktion morgens losging war ich total nervös und das nach einer halben Stunde immer noch kein Foto angekommen war, machte es natürlich auch nicht besser. Dann ging es aber Schlag auf Schlag und bis zum Ende der Aktion durften wir uns über rund 400 Einsendungen freuen. Mir ist echt ein Stein vom Herzen gefallen. Wenn Du so eine Aktion auf die Beine stellst und dann wird es nicht angenommen… das wäre schon schlimm für mich gewesen.
(Weitere Daten & Fakten zu #berlinliestbinooki)

Litaffin: Ihr nutzt social media, twittert, seid auf Facebook und YouTube aktiv und betreut einen eigenen Blog – was für einen Stellenwert hat virales Marketing bei Eurer täglichen Verlagsarbeit?
Selma Wels: Virales Marketing hat bei uns definitiv einen hohen Stellenwert. Ich glaube einfach, dass es ein schöner Weg ist um im Gespräch zu bleiben und natürlich auch in einen Dialog mit seinen Lesern zu treten. Ich freue mich auch immer über Kritik jeglicher Art, denn nur die kann uns nach vorne bringen. Es ist ja ganz klar, dass nicht jedem alles gefallen kann und da ist es doch eine gute Chance, aus konstruktiver Kritik etwas zu lernen. Dabei ist es uns natürlich besonders wichtig authentisch zu bleiben und unser Gegenüber ernst zu nehmen.

Litaffin: Was darf man von Euch in der Zukunft erwarten?
Selma Wels: Wir denken in sehr viele Richtungen. Nicht nur im kommunikativen Sinne, sondern auch wie sich binooki weiter entwickeln wird. Wir haben beinahe jeden Tag viele gute Ideen, die wir verwirklichen wollen. Für manche ist die Zeit noch nicht reif und andere sind vielleicht noch eine Nummer zu groß für uns. Aber aktuell haben wir etwas in der Planung, was hoffentlich ähnlich gut angenommen wird wie #berlinliestbinooki. Wir werden auf jeden Fall unsere Strategie der offenen Kommunikation und Dialogorientierung weiter führen, denn für uns ist die Bindung und Beziehung zu unseren Lesern sehr wertvoll. Wir wollen uns nicht anonym hinter unseren Büchern verstecken, sondern weiter hin offen sein für Gespräche, Kritik und Vorschläge. Ich glaube, wir haben in sehr kurzer Zeit sehr gut dafür gesorgt, dass sich binooki als Marke für moderne türkische Literatur etabliert hat. Jetzt werden wir uns noch stärker auf die Bücher konzentrieren, um die wunderbaren Geschichten, die es einfach wert sind gelesen zu werden, noch bekannter zu machen. Schließlich sind es die Bücher, die binooki auszeichnen und nicht unser Marketing.

Litaffin: Wir sind gespannt, bedanken uns für das nette Gespräch und wünschen für die Zukunft alles Gute!

Copyright aller Fotos: binooki Verlag

3 Kommentare zu „„Wir sind unbelastet und flexibel““

  1. Sehr spannendes Interview Steffen! Und es wirklich erstaunlich, dass so ein Verlag nicht schon eher gegründet wurde…Ich muss gerade an eine ähnliche bookcrossing-Aktion denken, die wir im Bremer Literaturhaus gemacht haben, da haben wir auch Bücher in der Stadt „versteckt“ und die Leute sollten uns dann anschließend Fotos schicken, von dem Fundort, sich und dem Buch schicken.

  2. Und nun ist der Verlag mit dem Kurt-Wolff-Förderpreis ausgezeichnet worden. Es zeigt sich, Mut und Innovation werden doch manchmal belohnt!

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