Wie schreibt man einen Roman? Man tut es einfach. Die Teilnehmer des „National Novel Writing Month“ tuen es genau jetzt. Die Herausforderung: 50 000 Worte in 30 Tagen.
Es ist November. Ein oft grauer, nasskalter Monat mit immer kürzer werdenden Tagen. Die im Oktober noch bunt leuchtenden Blätter liegen im November als matschige Masse auf den Bürgersteigen. Für Weihnachtsstimmung ist es noch zu früh. Was macht man im November?
Mann könnte sich einen Bart wachsen lassen, sich in diesem Monat gar nicht rasieren und am NoShavember 2012 , bzw. Movember teilnehmen. Oder man schreibt einen Roman. Eine weitere Idee und ein kreatives Novemberabenteuer aus den USA.
Weil sie gerade nichts Besseres zu tun hatten, beschlossen Chris Baty und seine Freunde Bücher zu schreiben. Sie strebten weder eine literarische Karriere an, noch versprachen sie sich irgendeinen Erfolg von der Idee. Sie beschlossen Romane zu schreiben aus dem gleichen naiven Grund, aus dem andere Bands gründen. Sie dachte Autoren können leichter Mädels klar machen, als Nicht-Autoren. So erklärten sie den Juli 1999 zum „National Novel Writing Month“, kurz: NaNoWriMo. Ziel des Projekts: in einem Monat einen 50 000 Wörter (ca. 175 Seiten) umfassenden Roman schreiben.
Von insgesamt 21 Teilnehmer erreichten damals sechs das selbstgesteckte Ziel. Zu ihrer eigenen Überraschung machte ihnen das Schreiben unglaublich viel Spaß. Es war ein literarischer Marathon, bei dem man sich gegenseitig motivierte nicht aufzugeben. Die Ergebnisse waren nicht überragend, aber okay. Baty dachte sich, wenn er und seine Freunde es schafften in einem Monat einen passablen Roman zu schreiben, muss das jeder können.
Seitdem findet der „National Novel Writing Month“ jedes Jahr statt, im November, um das schlechte Herbstwetter auszunutzen. Was in San Franciso begann, ist international geworden. Die Teilnehmerzahl steigt, die Autoren kommen aus allen Ecken der Welt. Im letzten Jahr stellten sich über 250 000 Teilnehmer der Herausforderung. Ungefähr jeder Sechste erreichte die Zielgerade und schaffte es bis um Mitternacht des 30. November die erforderte Wortzahl zu erreichen. Die Gewinner erhalten eine Urkunde und werden in die offizielle Liste der Sieger eingetragen. Besiegt haben sie in erster Linie den inneren Schweinehund und eigene Hemmungen.
„Win or lose, you rock for even trying“
So lautet das Motto des NaNoWriMo. Es geht zunächst um Quantität. Qualität ist im November optional. In 30 Tagen einen perfekten Roman zu schreiben, ist kaum möglich. Während des NaNoWriMo sollen die Teilnehmer einfach unzensiert schreiben und Spaß an ihren Geschichten haben. Der „innere Kritiker“ wird gefesselt, geknebelt und einen Monat lang ignoriert.
„Remember, you can edit a bad novel into a good novel, but you can’t edit a blank page into anything but a blank page. You need to give yourself permission to make a mess. I think that once you truly commit to it, the hardest part is over and behind you. Let it be fun, let it be an adventure and whatever you do, leave the editing for December!“ (Chris Baty. Quelle: The National)
Vielen Teilnehmern hilft die am Ende des Monats lauernde Deadline und die Herausforderung, die sie angenommen haben – nicht alleine, sondern als Teil einer großen Gemeinschaft. Der NaNoWriMo ist eine organisierte, große Schreibgruppe. Jeder Teilnehmer registriert sich auf der offiziellen Webseite und füllt ein Profil aus. Neben einem Forum, kann man sich hier auch lokalen Gruppen anschließen, Treffen organisieren und andere Teilnehmer kennenlernen.
Die Schülerin Mila aus Kiel ist dieses Jahr eine der vielen Teilnehmerinnen aus Deutschland: „Es machen dieses Mal so viele von meinen Freunden mit, die da dann auch die ganze Zeit drüber reden, dass ich gar nicht anders konnte, als auch einzusteigen. So ganz sicher bin ich mir aber noch nicht, ob das die richtige Entscheidung war.“ Zweifel und Frustration sind genauso Teil des Prozesses wie Spaß und Erfolg.
Wortmüll und Veröffentlichungen
Jedes Jahr geben ca. 80 % der registrierten Teilnehmer im Laufe des Monats auf. Die Handlung macht keinen Sinn, sie haben versehentlich schon nach 20 000 Wörtern alle Figuren umgebracht. Wenn es nicht mehr weiter geht, geben andere Teilnehmer Tipps: Innerer Monolog? Neuer Charakter? Sex?
Natürlich entstehen im NaNoWriMo jährlich über tausend schlechte bis mittelschlechte Romane. Für viele Gewinner endet die literarische Karriere am 30.November. Doch jeder, der die Herausforderung annimmt, verändert sich als Autor oder Leser, sagt Chris Baty. Deswegen hat auch der im November produzierte Wortmüll einen Wert.
Auf der anderen Seite gibt es aus dem NaNoWriMo hervorgegangene, durchaus erfolgreiche Veröffentlichungen. So erschien zum Beispiel Time Off For Good Behavior von Lani Diane Rich, die im Jahr 2002 am NaNoWriMo teilnahm, zwei Jahre später bei Warner Books. Darüberhinaus gewann die Autorin mit diesem Werk einen Preis für das beste Romandebüt. Sie selbst sagt, der NaNoWriMo habe ihr geholfen den Perfektionsgedanken zu vergessen, der sie immer zurückgehalten hatte. Auch Sara Gruens später sogar verfilmter Roman Water for Elephants entstand während ihrer Teilnahme am NaNoWriMo. Weitere Erfolge finden sich hier.
Auf die Plätze, fertig, los!
Der Startschuss zum NaNoWriMo fällt jedes Jahr am 1. November um 00:01 Uhr Ortszeit. Laut offizieller Regel darf es ab diesem Zeitpunkt mit der Planung des Romanes begonnen werden. Jetzt zählt ein Programm jedes eingegebene Wort, vom ersten bis zum 50 000. Allerdings erkennt es nicht, ob es sich dabei um eigenes Gedankengut handelt. So würden auch ein paar abgetippte Bibelseiten oder ein kopierter und eingefügter Fülltext zum theoretischen Erreichen des Ziels führen. Da es aber hauptsächlich um das Gefühl geht, etwas geschafft zu haben, hat es wenig Sinn diese Regeln zu brechen.
Wenn es im Grunde sonst nichts zu gewinnen gibt, warum machen so viele Leute mit? Chris Baty hat folgende Antwort:
„I think for most people it just feels really great. Tackling a large creative project, you never feel more alive than when you set a goal that’s slightly bigger than yourself and then nail it. Additionally, I think that spending a month exploring your imagination is truly one of the best things you can do.“ (Quelle: The National)
Der November ist der Monat, um in die eigene Phantasie zu flüchten. Weg mit der grauen, nass-kalten Realität, hinein ins kreative Abenteuer. Der Bart und sämtliche Körperhaare wachsen da von ganz allein.
Was meint ihr: Gut Ding will Weile haben? Oder bringt es mehr, den Gedanken freien Lauf zu lassen? Habt ihr euch selbst schon mal am NaNoWriMo versucht? Habt ihr Lust, die Herausforderung an zu nehmen? Auch jetzt, am 3. November, kann man sich hier anmelden und los schreiben.
Bildnachweise:
– http://www.nanowrimo.org/
– http://en.wikipedia.org/wiki/Water_for_Elephants
- Mein erstes Mal: E-Books lesen - 11. Januar 2013
- Auf und hinter der Bühne bei den Poetry Slam Meisterschaften 2012 - 22. November 2012
- NaNoWriMo – Auf die Plätze, fertig, schreib! - 3. November 2012
Hihi, mein liebster Satz: „sie haben versehentlich schon nach 20 000 Wörtern alle Figuren umgebracht“ -- das kann schon mal passieren :)
Schade, dass ich nicht eher davon wusste, sonst hätte ich auch mitgemacht, das klingt ziemlich witzig!
Der Zug ist noch nicht abgefahren, Peter. Müsstest das Ganze jetzt nur in 26 Tagen schaffen. :) Los! Los!