Mordgeschichten. Russen. Balkanmusik. Das alles gab es an diesem Abend im LCB. Ausgangspunkt war das Grenzgänger-Programm der Robert-Bosch-Stiftung, das 2004 gegründet wurde und seit 2005 mit dem LCB kooperiert.
Ziel dieses Projektes ist es, Autoren und Autorinnen zu fördern, die sich thematisch mit den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas auseinandersetzen wollen. Das Stipendium gibt ihnen die Chance, selbst in diese Länder zu reisen, vor Ort zu recherchieren und Informationen aus erster Hand zu sammeln. Dabei entstehen nicht nur Romane, sondern auch Sachbücher, Fotobände, Hörfunkbeiträge und Filme.
Der Abend startete mit dem Autor Michal Hvorecký, der aus seinem Roman „Tod auf der Donau” (Tropen Verlag) las. Der Roman spielt auf dem Kreuzfahrtschiff MS Amerika, auf dem sich nicht nur eine Horde amerikanischer Senioren befindet, sondern auch rätselhafte Morde geschehen. Da Hvorecký seinen Roman in seiner Muttersprache slowakisch verfasste, war auch sein Übersetzer Michael Stavaric anwesend. In einem Gespräch tauschten sich die beiden über den Übersetzungs-Prozess aus und Hvorecký berichtet von seinen Recherchen auf der Donau.
Stavaric, selbst Autor, übersetzt normalerweise aus dem Tschechischen ins Deutsche, die Übersetzung war folglich ungewöhnlich für ihn. Hinzu kommt die Tatsache, dass Hvorecký seinen Roman zwar auf slowakisch geschrieben hat, dennoch fast perfekt deutsch spricht. „Da fällt sofort auf, wenn etwas nicht richtig übersetzt wurde“ sagt Stavaric lachend.Hvorecký merkt in diesem Kontext an, dass die deutsche Übersetzung immer mindestens 20 Prozent länger sei als die Orginalversion, das sei „intensive und harte Arbeit, das adäquat zu übersetzen“. Das Thematik des Übersetzens spielt auch innerhalb des Romans eine Rolle, denn der Protagonist des Roman ist selbst Übersetzer. Ist das Buch autobiografisch, fragt Stavaric und der Autor nickt. Er sei selbst zwei Saisons auf einem Schiff auf der Donau tätig gewesen und habe in dieser Zeit so einige Gesprächen und Geschichten von den Passagieren mitbekommen. Das Grenzgänger-Stipendium habe ihm ermöglicht, die Strecke noch einmal abzufahren und sich dieses Mal ausschließlich auf die Recherche und sein Buch zu konzentrieren. Hvorecký berichtet weiter, dass es in seinem Heimatland so gut wie keine Literaturförderung gebe. Es sei großartig, dass dies in Deutschland anders sei, denn „ohne das Stipendium würde ich hier heute nicht mit meinem Buch sitzen.“
Nachdem das Publikum kurzzeitig auf eine Kreuzfahrt auf der Donau entführt wurde, ging es weiter mit der Autorin Olga Grjasnowa, die von der Literaturkritikerin Wiebke Porombka vorgestellt wurde. In ihrem Debüt „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ (Hanser Verlag) geht es um die Dolmetscherin Mascha, die viele kulturellen Identitäten in sich trägt, um ihr Trauma, das sie in ihrer Kindheit erlebt hat und um ihre Beziehung zu Elias, der versucht, Zugang zu Maschas Vergangenheit zu finden.
„Was ist Mascha für eine Frau?“, will Literaturkritikerin Porompke von der Autorin wissen. „Mascha ist eine Frau, die ein klares Ziel hat, sie will Dolmetscherin werden. Sie ist mit Elias zusammen, der Fußball spielt…“ An dieser Stelle macht Grjasnowa, eine Pause, man merkt, dass sie das Ende eigentlich nicht verraten will, entschließt sich dann aber doch fortzufahren: „…und sich während eines Spiels den Oberschenkel bricht, im Krankenhaus landet und dort später stirbt.“ „Was für eine Beziehung haben Mascha und Elias miteinander?“ fragt Porompke weiter. „Eine gute. Es passt halt.“, antwortet Grjasnowa, das Publikum lacht. Ein Abschnitt des Romans spielt in Israel und die Literaturkritikerin will wissen, wieso es Mascha gerade in dieses Land verschlägt. „Es gibt einen Film, der genauso heißt: „Warum Israel“ erzählt die Autorin. „Zum andern auch einfach, weil die Protagonistin dort eine Cousine hat und sich die Möglichkeit somit anbietet.“
Für ihre Recherchen reiste Grjasnowa nach Armenien, Georgien und Aserbaidschan. Letzteres ist auch ihr Heimatland, weshalb die Reise nach Aserbaidschan eine Mischung aus Recherchereise und Rückkehr in die Heimat gleichermaßen gewesen ist. Ihre Informationen habe sie aus Archiven, aber auch durch Gespräche mit verschiedenen Zeitzeugen erhalten. Die Recherche sei manchmal aber auch müßig und problematisch gewesen: „In Aserbaidschan gibt es keine neutrale Geschichtsschreibung“, berichtet die Autorin, „Nur staatliche Propaganda.“ Da ihre Protagonistin Mascha an posttraumatischen Belastungsstörungen leidet, musste sie auch in diesem Bereich Fachwissen einholen und zum Beispiel nachrecherchieren, wie eine Panikattacke ausgelöst wird.
Nach diesen zwei Leseeindrücken wurde das Publikum akustisch und visuell verführt: Der Schweitzer Filmregisseur und Dokumentarfilmer Stefan Schwietert stellte seinen Dokumentarfilm „Balkan Melodie“ vor. In einem Gespräch mit dem Journalisten und Autor Jörg Magenau berichtete er von der Entstehung seines Filmes. Er ist dem Schweitzer Musikforscher Marcel Cellier gewidmet, der vor über 50 Jahren mit seiner Frau Catherine nach Osteuropa reiste, um dort die traditionelle Musik dieser Länder aufzunehmen. Der Film dokumentiert auf eindrückliche Weise Celliers Arbeit, der unter anderem den bekannten bulgarischen Frauenchor „Le Mystère des Voix Bulgares“ und den rumänischen Panflötist Gheorghe Zamfir entdeckte und berühmt machte.
Recherchiert hat Schwietert in den Ländern Rumänien und Bulgarien. Seine Filme seien „Herzensangelegenheit“ berichtet Schwietert. Deswegen habe er während seiner Recherche in Sofia und Bukarest auch nicht mit professionellen Dolmetschern gearbeitet, sondern mit Leuten, die sich dem Inhalt und der Sache genauso verschrieben haben, wie es bei ihm der Fall ist. Ihm gehe es „um Geschichten, und die Menschen, die dahinter stehen.“ Bei diesem speziellen Film sollte vor allem die Geschichte der Musik erzählt werden. Aus diesem Grund tauchen im Film nicht nur Menschen auf, die unmittelbar mit Cellier zusammengearbeitet haben, sondern auch solche, die die traditionelle Musik in Osteuropa geprägt haben. Die Musik von damals gebe es dort so aber nicht mehr, merkt Schwietert in diesem Zusammenhang an. Die Musiker von früher würden alle etwas anderes machen, seien in Rente oder hätten einen anderen Beruf. „Das liegt daran, dass der Staat die Folklore damals sehr gefördert hat, was heute nicht mehr der Fall ist.“ Schwieterts sorgt mit „Balkan Melodie“ dafür, dass die traditionelle Musik von damals nicht in Vergessenheit gerät und veranschaulicht gleichzeitig, wie die osteuropäische Musik in der Anfangsphase den Einzug in den Westen fand. Gezeigt wurde der Film auf französisch, mit deutschen Untertiteln.
Wer jetzt traurig ist, den Abend verpasst zu haben, der kann sich schon mal auf den Herbst freuen: Voraussichtlich im Oktober sowie November werden zwei Veranstaltung im Rahmen des Grenzgängers-Programm stattfinden, die vom Studiengang Angewandte Literaturwissenschaft organisiert werden. Welche Autoren oder Autorinnen lesen, bleibt noch geheim, genauso wie der Ort und was wir uns dazu alles haben einfallen lassen. Eines aber ist sicher: Man darf gespannt sein!
Foto: Michael Stavaric, Michal Hvorecký (v. links n. rechts) © Tobias Bohm
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