Ein Gastbeitrag von Svenja Hoch
In der Reihe unserer Lieblingsbücher hat sich litaffin diesmal einen Gastbeitrag geangelt. Svenja Hoch schreibt über die Suggestivkraft der Erinnerung, heitere Poesie und tieftraurige Melancholie in „Diese Liebe„ von Robert Cotroneo.
Edo hat das, wovon viele bibliophile Menschen wohl träumen: einen eigenen Buchladen. Er sagt „man müsse sich den Buchladen wie eine Apotheke vorstellen. Für die Leiden am Dasein.“ Zusammen mit seiner Frau Anna, die eigentlich Lehrerin ist, führt er das Geschäft. All das ändert sich, als Edo eines Morgens erwacht und sich an nichts mehr erinnert: nicht an die Koordinaten des Badezimmers im eigenen Haus, nicht an den besten Freund, nicht an die Kinder und auch nicht an Anna. Gab es zuvor nur ein „Wir“, das in der buchstabengefüllten Stille des Buchladens seinen Ausdruck fand, so lebt Edo jetzt allein in einer Welt, die ihm in jedem Winkel nur Unbekanntes bietet, dem „Land des Ungesagten“.
Anna bringt Edo nach Rom, dort soll er von Spezialisten untersucht werden. Doch in der Nacht vor jener Untersuchung, die Klarheit bringen soll, verschwindet Edo aus dem Hotel: „Niemand konnte mehr nachvollziehen, wohin er an jenem Morgen um fünf Uhr gegangen war, niemand hatte ihn gesehen.“ Die Amnesie und das Verschwinden Edos bringen Anna aber mehr als Verwirrung und Schmerz: Sie vermögen es, Glück und Liebe wie auf hastig geknipsten Polaroids zu konservieren; denn Edo hält mit seinem Verschwinden die Zeit an. Anna lebt nun nur noch mit und in der Buchhandlung, so wie sie immer gewesen war. Sie lernt: „Mit der Zeit habe ich begriffen, wie sehr das Nichtdasein zu einer Form der Präsenz werden kann, die oft intensiver ist als die eigentliche Anwesenheit“.
Die Erzählchronologie von Edos Verschwinden und Annas Leben ohne ihn wird immer neu durchbrochen. Der Roman ist eine Hommage an die Liebe, die Raum und Zeit überdauert und sich allein aus Erinnerungen und verlorener Zukunft speist, ohne dabei ihre Wirklichkeit zu verlieren. Bemerkenswert ist vor allem Cotroneos Stil. Der Roman zerfällt in teilweise einzeilige Absätze, die zwar nie die Verbindung zueinander verlieren, aber doch nur für sich stehen. Wie Verse eines großen Gedichts erscheinen die einzelnen Teile, mit dem ersten Wort noch dem letzten Absatz verbunden, mit dem letzten im Grundthema des Romans verhaftet. Was entsteht, sind netzartige Variationen des immer gleichen Themas: der Liebe.
Es gibt eine Stelle im Roman, an der Anna alle Familienfotos auf dem Fußboden ordnet. Hier schreibt Cotroneo vielleicht am deutlichsten über sein eigenes Darstellungsverfahren: Ein „Baum der Erinnerung“ wächst aus der Anordnung der Bilder. Wie auf einer Klaviatur schlägt Cotroneo die verschiedenen Entwicklungslinien einer Liebe an, reiht Bruchstücke und Fragmente aneinander. Das Buch steckt voller Anspielungen auf literarische Texte, die der Autor virtuos in seinen Roman einwebt, um einen glatten und gleichzeitig bunt gemusterten Stoff zu erhalten. Am Ende entsteht ein Mosaik des Einmalgewesenen und keine durchgehende, chronologische Erzählung der Liebesgeschichte Edos und Annas. So entgeht Cotroneo der Kitsch-Falle, die ein solches Thema stets bereithält und die bei der Nähe zu Poesie, Anekdote und dem Heraufbeschwören italienischer Kleinstadtidylle allzuleicht zuschnappen könnte.
Anna beginnt, Edo zu suchen: zuerst in den Büchern, die er las und in denen er seine Gedanken, Notizen, Unterstreichungen hinterlassen hat. Dann wörtlich: Sie verfährt mit literarischen Spuren, als wären es echte und reist nach Paris, folgt dort der Literaturkarte der Erinnerungen, weil sie sich nach der Zukunft zurücksehnt. So verliert sich Anna, deren Leben stillsteht, in der Fantasie, im träumerischen Zwiegespräch mit Edo; glaubt ihn zu sehen, zu hören, zu fühlen. Nicht nur Orte und Räume werden Anna zum Refugium: „Düfte wie Orte. Jasmin, der andere Wege einschlägt, als könnte er laufen. Er geht die Sonne suchen“.
Mehr als 23 Jahre lebt Anna ohne Edos physische Präsenz. Es ändert nichts am gemeinsamen Leben der beiden, denn alles soll so sein, wie es immer war, wenn Edo zurückkommt. Der Roman endet überraschend. Der Leser und auch die Romanfiguren sehen sich vor die Frage gestellt, wer es tatsächlich war, der aus dem gemeinsamen Leben verschwunden ist: Edo oder vielleicht Anna selbst? Erinnerte Zukunft vermischt sich mit der Realität. Doch hätte es dieser finalen Wendung nicht bedurft, denn Anna ist auch so zur Dichterin geworden, zur Schriftstellerin jener Geschichte, die sie in ihrem Kopf geschrieben hat. Die Suggestivkraft ihrer Erinnerung ist groß, ausdrucksstark, vereint heitere Poesie mit tieftrauriger Melancholie. »Diese Liebe« ist ein Buch für alle bibliophilen Menschen; an beliebiger Stelle kann man es aufschlagen und wird von Anna an ihren poetischen Angelhaken genommen, an dem man unversehens in eine fabelhaft erzählte Liebesgeschichte hineingezogen wird.
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Danke für die nette Zusammenarbeit und dass ich überhaupt mitmachten durfte :) Macht weiter so!
Eine wunderbare Rezension, liebe Svenja, hat das litaffine Herz zum Schlagen gebracht…
Danke *zum Glück sieht keiner, dass ich jetzt ganz rot geworden bin*.