Eine wirklich sehenswerte Ausstellung zur Nobelpreisträgerin Herta Müller läuft derzeit im Literaturhaus Berlin.
„Sich querzulegen in einer unerträglichen Realität“ – mit diesen Worten umschreibt Marlies Janz bereits 1985 Hertas Müller Position, die abstoßende und nicht minder gefährliche Enge des Alltags ihres Heimatdorfes Nitzkydorf literarisch zu fassen und dadurch gleichzeitig nicht als endgültig anzuerkennen. Gegenüber gestellt werden dem in der laufenden Ausstellung: Herta Müller. Der kalte Schmuck des Lebens Leserbriefe, Zeitungsartikel und Rundschreiben, in denen jene „unerträgliche Realität“ von Exildeutschen (Banater Schwaben, Bund der Vertriebenen) geleugnet wird und in Diffamierungskampagnen mündete.
Glücklicherweise hat sich Müller von solcher Hetze, die ganz im Sinne des rumänischen Geheimdienstes Securitate geschah, nicht einschüchtern lassen. Sie schrieb weiter, um aufzuzeigen und aufzuklären, wie sich Individuen gegen die Verhältnisse, sei es nun die dörfliche Beengtheit (Niederungen) oder die perfiden Praktiken im Arbeitslager – minutiös dargelegt in ihrem letzten Roman Atemschaukel – zu behaupten versuchen. Für ihr Gesamtwerk, ihren politischen Einsatz gepaart mit der unter die Haut gehenden, poetischen Sprache, wurde Müller mit unzähligen Preisen geehrt, auch zuletzt mit dem Nobelpreis für Literatur 2009.
Jene Ehrung wurde schließlich zum Anlass für die derzeit im Literaturhaus Berlin laufende Ausstellung. Auf drei Räume verteilt wird anhand von Familienfotos, Zeitzeugenberichten, zu Collagen umfunktionierten Postkarten, Zeitungsartikeln, Arbeitsskizzen, Videobeiträgen Herta Müllers Biografie nachgezeichnet.
Herta Müller wurde am 17. August in Nitzkydorf, einem der deutschen Minderheit zugehörigen Dorf in Rumänien, geboren. Zur Schule und zum Studium der Germanistik und Rumänistik ging sie in die Stadt Temeswar, wo sich die Befürchtung ihrer Mutter bewahrheitete und Müller verdorben wurde: Sie fing an, Bücher zu lesen. Zu dieser Zeit kam Herta Müller mit Autoren der Aktionsgruppe Banat in Kontakt, die ihr schnell zu „lebensnotwendigen“ Freunden wurden. Ihre fast tausendseitige Securitate-Akte ist als Faksimile an einem dünnen Stahlseil durch die Räumlichkeiten aufgedröselt und erinnert auf erdrückende Weise an die in der Diktatur vorherrschende Paranoia. Neben der absurden Vorgabe, die Nutzung einer Schreibmaschine behördlich anzumelden und diesbezüglich ein vorgegebenes Pamphlet „über die Ausbeutung der unterentwickelten Länder durch die industrialisierten kapitalistischen Länder des Westens“ als Schriftprobe anfertigen zu müssen, werden in der Ausstellung die Drangsalierungen geschildert, die sie und Gleichgesinnte erleiden mussten und manche sogar zum Selbstmord trieben. Auch vor Mord wurde nicht zurückgeschreckt. Ehemalige Mitglieder der Aktionsgruppe kommen mittels Videobeiträgen zu Wort und sprechen reflektiert über ihren Versuch, sich die lebensnotwendige Freiheit zu nehmen.
Glücklicherweise ist der Leiter des Literaturhauses und Mitkurator Ernst Wichner von seiner Grundhaltung, nur Ausstellungen über tote Schriftsteller zu gestalten, abgewichen. Denn mittels des Audioguides kann der Besucher den von Müller selbst gesprochenen Anekdoten und Berichten lauschen. Man erfährt beispielsweise von ihrem ersten Besuch in Bukarest 1989 – zwei Jahre nach ihrer Übersiedlung in die BRD –, wo sie hautnah die Verklärung des zuvor hingerichteten Diktators Nicolae Ceaușescu beobachtet: Ältere Frauen hinterlassen Gaben an dessen vermeintlichem Grab und sprechen ihn selig. Und man erfährt, wie die inzwischen auch zu einer Art Markenzeichen avancierten Postkarten-Collagen entstanden sind und warum Müller insbesondere nach der Entgegennahme des Nobelpreises exzessiv an gerade diesen gearbeitet hat.
Die Ausstellung sei allen empfohlen, sowohl den Kennern als auch denjenigen, die bisher Herta Müller nur vom Namen her kennen. Sie lässt tiefe Blicke in ihre Biografie und den hineinspielenden Lebensumständen zu, ohne sensationslustig oder banalisierend zu wirken. Gleichzeitig ist es ein gelungener Einstieg in ihr Werk, das sie schon früh aufzubauen begann. Zu Abiturzeiten schrieb Müller in der Schulzeitung ein Gedicht mit dem Titel „Dämmerungseile“:
Der Atem behaucht
Das Glas des Lebens
Und meine Blicke schreiben darauf
In allen Sprachen :
Wohin eilst du, Mensch?
„Herta Müller. Der kalte Schmuck des Lebens“ Literaturhaus Berlin, Fasanenstr. 23, Charlottenburg, noch bis zum 21. November 2010. Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr, Sa, So, Feiertag 11-19 Uhr, Do 11-21 Uhr, Eintritt: 5,- / 3,- Euro (inklusive Audioguide)
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