Vorsicht: Verbrennungsgefahr – Teil 2. Litaffin hat Titel aus der Hotlist herausgepickt, um vorzukosten, ob da wirklich alles so “hot” gegessen wird, wie es gekocht wird.
Wer wird sie je vergessen können, die Szene mit dem blutverschmierten Pferdekopf unter der Bettdecke aus Mario Puzos Der Pate? Das Epos aus dem Jahre 1969 war ein großer Bestseller, der auch dank Verfilmungen und Fortsetzungen die Wahrnehmung Italiens im Ausland wesentlich prägte. Paternalistische Strukturen, blutrünstige Schießereien und abgedunkelte Hinterzimmer – was sonst, von Terracotta-Romantik einmal abgesehen, sollte den deutschen Durchschnittsleser an Italien interessieren?
Die hohe Präsenz italienischer Krimis auf dem deutschen Buchmarkt lässt vermuten, dass das Etikett „Mafia“ fast immer zieht, zuletzt eindrücklich bewiesen durch das als Enthüllungsbuch gefeierte Gomorrha von Roberto Saviano.
Auch die Aufmachung von Romanzo Criminale lässt sofort an die genretypischen Kategorien denken. Doch der „Kriminalroman“, verfasst noch in der Prä-Saviano-Zeit (2002) von dem Richter Giancarlo De Cataldo, ist mehr als ein einfacher Thriller und mehr als ein Lamento über die italienischen Zustände. Es handelt sich vielmehr um eine Dokufiktion, angelehnt an die wahre Geschichte der Magliana-Bande, die das Rom der späten Siebzigerjahre dominierte. Der Roman, der in Italien bereits zum 24. Mal aufgelegt wurde, widmet sich auf 572 Seiten dem großen Ganzen von Gesellschaft, Politik und organisierter Kriminalität. Die absolut überzeugende deutsche Übersetzung von Karin Fleischanderl liegt nun, ganze acht Jahre nach dem ersten Erscheinen, beim Südtiroler Folio Verlag vor.
Die Handlung setzt 1978 ein, Italien ist gespalten in Faschisten und Kommunisten. Auf der einen Seite agiert die linke Terrorfraktion brigate rosse, auf der anderen – oder irgendwo in der Grauzone – die sagenumwobene Geheimloge P2, die ebenso ominöse Organisation Gladio sowie der Geheimdienst. Das Resultat: Der Politiker Aldo Moro wird entführt und ermordet, am Bahnhof von Bologna explodiert eine Bombe, die mehr als 40 Menschen in den Tod reißt. Vor dem Hintergrund teils noch heute ungeklärter Vorgänge schildert De Cataldo Aufstieg und Fall einer Gruppe Kleinkrimineller, die unter der Führung des intelligenten und abgeklärten Libanese zunächst das Drogengeschäft der Stadt an sich reißt. Die Spirale der Kriminalität führt die jungen Männer von Raub über Entführung zu Mord, von Geld zu noch mehr Geld. Mit zunehmender Macht entstehen Kontakte zu Drahtziehern aus Mafia- und Geheimdienstkreisen, doch der einstigen Loyalität untereinander weicht immer mehr persönliches Profitstreben, was letztlich zur Zersetzung der Gruppe führt.
De Cataldo blickt in sehr kurzen, dialog- und temporeichen Kapiteln mal dem ermittelnden Kommissar Scialoja, mal den Gangstern mit ihren Helfern, Helfershelfern und Frauen über die Schulter – über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg. Der Ton ist dabei dokumentarisch-nüchtern, der Autor interessiert sich weniger für explizit geschilderte Blutbäder denn für die Positionierung seiner zahlreichen Figuren, die sich durch ihr Handeln und stärker sogar noch durch ihr Sprechen charakterisieren. Sympathisiert wird weder mit der Justiz noch mit den Kriminellen, keiner der Charaktere könnte eindeutigen Kategorien von Gut und Böse zugeordnet werden. Ein jeder ist vielmehr ein Fähnchen im Wind, mal Täter, mal Opfer.
Mit Romanzo Criminale zeichnet De Cataldo ein ebenso aussagekräftiges wie umfassendes Bild der Verbrechen und brisanten Verflechtungen im Italien jener Jahre, das dem Leser ein gewisses historisch-politisches Vorwissen abverlangt. Etliche weitere Krimis und Thriller hat De Cataldo in den letzten Jahren verfasst – bisher sind sie noch nicht auf Deutsch verfügbar. Aber vielleicht gibt es ja ein Wiedersehen mit ihm auf der Hotlist 2011.
Giancarlo De Cataldo: Romanzo Criminale. Ein Politthriller, Folio Verlag, Wien/Bozen 2010, 572 Seiten, 24,90 Euro
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