Er zählt zu den bedeutendsten und meistgelesenen europäischen Schriftstellern. Er war der erste Portugiese, der den Literaturnobelpreis erhielt. Er provozierte gerne, legte sich mit der katholischen Kirche sowie mit der Regierung an. Im Alter von 87 Jahren verstarb José Saramago am Freitag auf Lanzarote.
„Saramago lebt wie er schreibt; genauso integer und hellsichtig wie in seinen Büchern ist er im täglichen Leben“, bemerkte die kolumbianische Romancier Laura Restrepo einmal und lobte den „deutlichen Abdruck der Humanität“, der sowohl aus der Person Saramagos als auch aus seinen Büchern spreche. So souverän wie mit dem Leben hielt es dieser auch mit dem Tod: „Meine Ruhe und meine Gelassenheit haben mir geholfen, den Tod als etwas ganz Natürliches zu betrachten, gegen den man sich allerdings wehren sollte. Man darf nicht resignieren und die Tatsache des Sterbens einfach akzeptieren“, antwortete er nach schwerer Krankheit – er litt an Leukämie – in einem Interview vor zwei Jahren auf die Frage, wie er dem Tod gegenüber stehe. Im Angesicht des Todes besann er sich dann doch wohl eher auf die Gelassenheit. „Er hatte eine ruhige Nacht verbracht. Nachdem er normal gefrühstückt und sich mit seiner Frau unterhalten hatte, begann er sich schlecht zu fühlen und verstarb kurz darauf“, wie die spanische Zeitung La Vanguardia unter Berufung auf seine Familie meldete. Gekämpft, das hatte er hingegen sein Leben lang.
José Saramago wurde 1922 nahe Lissabon in einfachen Verhältnissen geboren. Das Geld fürs Gymnasium konnten seine Eltern nicht aufbringen, daher wurde er Maschinenschlosser und arbeitete später als technischer Zeichner, als Angestellter in der Sozialbehörde, in einem Verlag, als Literaturkritiker und schließlich als stellvertretender Leiter der Tageszeitung Diárioa de Notícias. Erst mit etwa 40 Jahren fand er zur Schriftstellerei. 1966 erschien unter dem Titel Os poemas possiveis (Die möglichen Gedichte) sein erstes Buch. Der internationale Durchbruch gelang ihm allerdings erst später, mit Romanen wie Hoffnung im Alentejo (1980), Das Memorial (1982) oder Das Todesjahr des Ricardo Reis (1984). Der siebte Roman des bekennenden Atheisten, Das Evangelium nach Jesus Christus (1991), führte zu kontroversen Diskussionen in den portugiesischen Feuilletons, da er Christus nicht nur als lebenshungrigen und wissbegierigen Jüngling zeichnete, sondern auch als einen am Glauben Zweifelnden. Auf Veranlassung eines Unterstaatssekretärs wurde das Buch wegen angeblicher „Verletzung religiöser Gefühl“ von der Vorschlagsliste für den Europäischen Literaturpreis gestrichen. Als Reaktion darauf siedelte Saramago nach Lanzarote, Spanien über. „Wenn so etwas zu Zeiten der Salazar-Diktatur geschehen wäre, hätte ich es ja noch verstehen können. In einer Demokratie aber empfand ich diese Zensur beschämend“, so der Autor. 1995 veröffentlichte er mit Die Stadt der Blinden einen seiner berühmtesten Romane, drei Jahre später erhielt er den Literaturnobelpreis.
Überhaupt erwies sich Saramago häufig als Querdenker. Der EU-Mitgliedschaft seines Landes stand er äußerst kritisch gegenüber, den Kommunismus schätzte er. Seit 1969 Mitglied der Kommunistischen Partei Portugals, kämpfte er gegen die Zensur des Salazar-Regimes an und setzte sich vor allem für Meinungsfreiheit ein. Auch in der aktuellen Politik meldete er sich gerne provokant zu Wort. Für Aufregung sorgte Saramago etwa im Juli 2007 mit dem Vorschlag, sein Heimatland Portugal solle sich mit Spanien zusammenschließen. Ein weiterer Skandal: Nach einem Besuch in Ramallah verglich er auf seinem Internetblog die israelische Besetzung in den palästinensischen Autonomiegebieten mit den Gräueln der Nazis in Auschwitz und Buchenwald. Trotz der Proteste nahm er seine Vorwürfe nicht zurück. Als das Blog als Buch veröffentlich wurde, bestand er darauf, auch diese Einträge mitzudrucken. In Deutschland führte der Disput dazu, dass Saramago im April diesen Jahres mit seinem Werk den Verlag von Rowohlt zu Hoffmann und Campe wechselte, da Rowohlt den Abdruck nicht verantworten wollte.
„Ich bin kein Pessimist, sondern bloß ein gut informierter Optimist. (…) Wir stecken alle in der Scheiße. Optimist kann eigentlich nur sein, wer gefühlslos, dumm oder Millionär ist“, so ein vielangeführtes Zitat Saramgos. Entsprechend düster erscheint die Welt in seinen Büchern, etwa in der utopischen Parabel Die Stadt der Blinden. Stilistische wurde er häufig mit dem kolumbianischen Schriftsteller Gabriel Garcia Marquez verglichen, die Machart seiner Texte wurde oft als Realismus gepaart mit lateinamerikanischem Mystizismus und kafkesken Elementen beschrieben – gerade auch wegen seiner Technik, historischen Persönlichkeiten fiktive Figuren gegenüberzustellen. Stets oszilliert er dabei zwischen feiner Ironie und ätzendem Sarkasmus, lässt aber auch immer wieder die Hoffnung, den Glauben an das Gute im Menschen, durchblitzen.
Im kommenden Herbst erscheint Saramgos Die Reise des Elefanten in Deutschland bei Hoffmann und Campe. Im Herbst 2011 soll dann sein jüngster – sein letzter – Roman Kain folgen. Mit José Saramago hat die Welt eine streitbare und polemisierende Stimme des Widerstands verloren, die nie müde wurde, an die Humanität zu appellieren.
Foto: © Pedro Soares/Hoffmann und Campe
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Wahrlich ein herber Verlust für die Literatur. Für mich war er einer der besten Autoren, und er bleibt einer der wenigen, von dessen Büchern ich nicht genug kriegen kann.