Spätestens seit Sally Rooney ein Begriff ist, kennt man auch Zoë Beck. Hochgelobt wurde sie für ihre Übersetzungen der Romane der irischen Erfolgsautorin. Wieso sie an diese Arbeit mit Vorsicht herangeht, und wie sie kritische Stimmen männlicher Kollegen betrachtet, hat sie uns im Interview erzählt.
Interview: Marie Ladstätter
Frau Beck, Sie sind Autorin, Übersetzerin, Synchronregisseurin und haben einen Verlag gegründet. Wenn man sich Ihren Lebenslauf anschaut, hat man das Gefühl, alles was Sie anpacken, wird zu Gold. Stimmt das?
Das klingt, als hätte ich irgendwas davon geplant und dann entsprechend umgesetzt. So war es eigentlich nie, weil sich viele Sachen ergeben haben. Ich mache all diese Sachen sehr gerne und ich glaube, mir ist gerade die Abwechslung wichtig. Teamwork im Studio hat auch einen Feierabend. Beim Schreiben, Übersetzen und auch beim Verlegen ist das oft nicht so, weil da viele Unwägbarkeiten dazwischenkommen, und weil es sehr viel einsamere Beschäftigungen sind. Deshalb finde ich es gut, einen Fuß in beiden Welten zu haben. Ich komme immer wieder an den Punkt, an dem ich Dinge, während ich sie mache, verfluche. Aber auch das gehört dazu: Alles was man liebt, hasst man zwischendurch, um es dann wieder sehr zu lieben.
Ich habe Sie durch Ihre Übersetzungen von Sally Rooneys Romanen entdeckt. Sie wird als die Stimme der Millennials gehandelt. Nehmen Sie sich als Übersetzerin auch als Rooneys Co-Autorin wahr?
Nein. Übersetzen ist eine unglaublich große Verantwortung, denn wenn etwas aus sprachlichen Gründen abgelehnt wird, ist das im deutschsprachigen Raum meine Schuld. Ich habe schon oft erlebt, dass ich Werke im Original sehr geschätzt habe. Warum aber kamen die hier nicht so gut an? Fast immer lag es daran, dass Dinge nicht richtig transportiert wurden beziehungsweise das Lektorat nachlässig war. Der Verlag hat offenbar an allen Ecken und Enden gespart. Das Besondere, was den Originaltext ausmacht, geht verloren.
Für Autor*innen stelle ich mir das krass vor. Durch all die Übersetzungen in fremde Sprachen verhallt das Buch für sie wohl auch im Dunkeln.
Als Autorin kenne ich das auch und finde es deswegen schön, wenn mich die Übersetzer*innen kontaktieren. Ich mag das, wenn aus meinen deutschen Wortkreationen Neue im Finnischen entstehen. Irritierend ist es trotzdem, wenn die Übersetzung erscheint, und niemand hat mich irgendwas gefragt. Man kann bei Fremdsprachen nicht beurteilen, wie die Übersetzung geworden ist und das ist ein seltsames Gefühl.
Übersetzen ist eine unglaublich große Verantwortung, denn wenn etwas aus sprachlichen Gründen abgelehnt wird, ist das im deutschsprachigen Raum meine Schuld.
Sie haben Übersetzen nicht studiert. Würden Sie das als ein Handwerk betrachten, das jede*r, der*die ein Gefühl für Sprache hat, lernen kann?
Übersetzen ist sehr viel Handwerk, aber nicht nur. Eine studierte Übersetzerin hat mal zu mir gesagt: Wenn man die Ausgangssprache kann, herzlichen Glückwunsch, aber die Zielsprache, nämlich die eigene Sprache, muss man besonders gut können. Hier kommt das Sprachgefühl zum Tragen. Ich habe eine große Demut, sowohl vor diesem Ruf des*der Übersetzer*in, als auch den Texten gegenüber. Ich würde mich niemals in den Vordergrund stellen, indem ich sage, ohne mich gäbe es diesen Text auf Deutsch nicht. Natürlich gäbe es den, nur von jemand anders. Denn: Wenn man denselben Text drei Übersetzer*innen gibt, bekommt man drei verschiedene Varianten zurück. Das fasziniert mich.
Oft findet man den Namen des*der Übersetzter*in nur, wenn man genau nachliest. Sehen Sie das kritisch?
Bei vielen Werken steigt der Ruhm nicht, wenn man mit Namen am Cover steht. Ich bin da auch unsicher. Es gibt genug Werke, die übersetzt werden, weil man damit Geld verdienen möchte, und es gibt Werke, auf die man so stolz ist, dass man mitgenannt werden will. Das Übersetzen grundsätzlich als künstlerische Leistung und Urheberleistung anzusehen, erachte ich als essenziell.
Inwiefern ist der Inhalt für Sie bei Übersetzungsangeboten relevant?
Bücher müssen mir nicht gefallen, damit ich sie übersetze. Und es kann auch ökonomische Gründe geben, wieso man einen Titel annimmt. Etwas anderes ist es bei moralisch problematischen Texten, so etwas übersetze ich ungern. Ich kann aber verstehen, dass Leute auch solche Aufträge annehmen und dann nicht mit ihrem Namen auftreten möchten. Fakt ist: Es hilft, wenn man Spaß dran hat. Man hat beim Übersetzen ein anderes Tempo, und liest Bücher intensiver. Ich finde Verschiebungen immer interessant: Wenn mir eine Stelle erst beim Übersetzungsprozess auffällt und ich dadurch merke, wie großartig die gebaut ist.
Ertappen Sie sich beim reinen Lesegenuss bei Überlegungen, wie man das ins Deutsche übersetzen könnte? Entwickelt man da eine Art Berufskrankheit?
Ja, das kann passieren und ist wahnsinnig lästig. Ich versuche das auszuschalten, aber es hilft auch dem Lernprozess, wenn man in die deutsche Übersetzung reinschaut und das mit den eigenen Überlegungen vergleicht. Und es ist schön, wenn man sich denken kann: Zum Glück muss ich das jetzt nicht übersetzen. Ich merke das auch bei Synchronfassungen, dass ich beim Schauen des Originals auf die deutsche Version neugierig werde. Dann switche ich um und denke mir meinen Teil: Mal ist es genial und mal ist es skandalös, das gehört dazu.
Bücher müssen mir nicht gefallen, damit ich sie übersetze. Und es kann auch ökonomische Gründe geben, wieso man einen Titel annimmt.
Wo liegt der Unterschied zwischen dem Übersetzen von Serien und dem Übersetzen von Büchern?
Es heißt, beim Übersetzen geht immer etwas verloren und das stimmt. Beim Übersetzen von Filmen geht allerdings viel mehr verloren, weil man zum Beispiel Dialekte nicht in eine andere Sprache übertragen kann. Beim Literarischen kann man zumindest dazuschreiben: „hat einen Arbeiterklasse-Akzent“. Dazu kommt, dass ich auf die Lippenbewegungen achten und mir überlegen muss, was die Labiale ist – ein Labial ist zum Beispiel ein M. Mir ist es lieber, dass es nicht perfekt aussieht, dafür aber natürlicher klingt. Es ist deshalb schon etwas anderes, weil man sich so reduzieren muss.
Wie lange sitzen Sie im Schnitt an einer Übersetzung?
Das ist unterschiedlich. Es gibt Texte, die fließen und es gibt Texte, an denen man lange sitzt und für die man erstmal den Ton finden muss. Der Schnitt könnte bei zehn Seiten am Tag liegen – wenn es wirklich gut läuft. Ich habe mir letztens eine Nacht um die Ohren geschlagen, weil ich zum Thema muslimische Bestattungsriten recherchieren musste und bis man was gefunden hat in einer Sprache, die man selbst versteht, kann es ewig dauern.
Es ist hinreichend bekannt, dass Übersetzen schlecht bezahlt wird. Henning Ahrens, der selbst Übersetzer ist, hat der Debatte um höhere Honorarforderungen 2007 folgenden Vergleich entgegengesetzt: Mit zwei Übersetzungen in einem Halbjahr verdiene er genauso viel wie ein Autor mit einem Buch innerhalb von zwei Jahren. Halten Sie das für realistisch?
Diese Aussage ist auf vielen Ebenen schwierig. Klar kann er das machen, wenn die 250 Seiten haben und er keine anderen Jobs hat. Manche Übersetzer*innen schaffen zwanzig, dreißig Seiten am Tag, andere fünf oder manchmal auch nur eine. Das hängt vom Ausgangstext ab. Und selbstverständlich gibt es Autor*innen, die alle zwei Jahre ein neues Buch schreiben. Es gibt aber auch solche, die zehn Jahre dafür brauchen. Und eben weil es so schlecht bezahlt wird, gibt es sehr viele, vor allem Übersetzerinnen, die keine andere Wahl haben, als zwei, drei Bücher in einem Halbjahr zu übersetzen, weil der Seitenpreis zum Weinen niedrig ist.
Jahrelang war es Kanon-Literatur, dass ein alternder Professor was mit einer Studentin anfängt, und keinen hochkriegt.
Ist Übersetzen denn vor allem ein weiblich dominiertes Feld?
Ja. Und es ist nicht umsonst in der Breite ein Beruf, den vor allen Dingen Frauen machen. Denn sehr viele schlecht bezahlte Jobs werden in allererster Linie von Frauen gemacht – als ginge man davon aus, dass sie mit einem besserverdienenden Mann verheiratet sind. Was nichts anderes als eine riesige Herablassung ist. Es ist interessant, in Übersetzer*innenforen zu lesen, was manche männliche Kollegen für Honorarvorstellungen haben, wenn sie sagen, unter 25 Euro die Seite fange ich erst gar nicht an. Und Frauen sitzen da und sagen, ich mach den Job seit dreißig Büchern und bin froh, wenn ich über fünfzehn Euro die Seite bekomme. Nicht nur die Preise gehen meistens an Männer, sondern auch die gut bezahlten Übersetzungsaufträge – und ich weiß, damit mach mich jetzt wieder bei einigen der männlichen Kollegen unbeliebt.
Kann man dieses Phänomen des Nicht-Ernst-Genommen-Werdens so auch auf weibliche Autorinnen ummünzen?
Natürlich. In vielen Artikeln über Sally Rooney wurde ihr Aussehen hervorgehoben und ihre scheuen Rehaugen beschrieben. In Deutschland bezeichnete man sie als „Fräuleinwunder“. Und dann gab es in Bezug auf ihr jüngstes Buch, „Beautiful World Where Are You“, den Vorwurf, es wäre banal. Natürlich ist es an der Oberfläche banal, wenn sich zwei Frauen schreiben, Hypothesen und Ideen austauschen und Wikipedia erwähnen, aber genauso führen Menschen Diskurse. Und Sally Rooney macht das bewusst mit viel Ironie.
Sie denken, es gäbe diesen Banalitäts-Vorwurf nicht, wenn Sally Rooney ein Mann wäre?
Man wäre damit anders umgegangen. Das war auch bei Elena Ferrante so: Als es noch keine Vermutungen gab, wer dahinterstecken könnte, gab es genug Stimmen die sagten, bei all der Tiefe in dem Werk müsse es sich um einen Mann handeln. Da kommt einem doch wirklich die Galle hoch. Jahrelang war es Kanon-Literatur, dass ein alternder Professor was mit einer Studentin anfängt, und keinen hochkriegt, worauf ewig über die Potenzprobleme von älteren Herren geschrieben wurde und das galt dann als Literatur. Inwiefern ist das Literatur und Sally Rooney nicht? Das kann nicht die Bemessungsgrundlage sein.
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