Litaffin war Anfang des Jahres im Gespräch mit Yasemin Altınay, Gründerin des Literarische Diverse Magazins und Verlags, die marginalisierte Stimmen im Literaturbetrieb sichtbarmacht und damit Gleichberechtigung fördert.
Mir ist aufgefallen, dass du die Interviews, die du führst, immer mit einer sehr einfachen Frage beginnst: „Wie geht es dir gerade?“ — Und das wollte ich dich jetzt auch fragen.
Wie schön! Danke für die Nachfrage. Den Umständen entsprechend gut. Es ist jedoch nicht einfach, in diesen Zeiten weiter zu funktionieren, bei all dem, was in der Welt passiert. Ich habe aber endlich die Motivation, mein Studium zu beenden und versuche, mehr zu lesen.
Weshalb stellst du diese Frage zu Beginn?
Es steht für mich an erster Stelle, wie es einer Person gerade geht. Es ist eine vermeintlich einfache Frage, aber Menschen sind vielschichtig und so ihr Wohlbefinden. Gerade leben wir außerdem in unsicheren Zeiten, in denen wir besonders aufeinander achten müssen. Vielleicht sollte ich die Frage erweitern in „Was beschäftigt dich gerade?“. Beide Fragen sind ein guter Einstieg, ein Gespräch zu beginnen.
Es ist auch schön, wenn man weiß, was im Gegenüber gerade vorgeht.
Genau. Ich mag es gerne, wenn mentale Gesundheit ein Teil der Magazine ist.
Mir kommt es so vor, als hättest du mit Literarische Diverse eine Art Safe Space für marginalisierte Autor*innen kreiert. War das auch eine Intention von dir?
Freut mich, dass du das so empfindest! Ich gebe mir die größte Mühe, dass es ein Safe Space ist. Es ist mir wichtig, dass Literarische Diverse ein sicherer Ort ist, Texte nebeneinander existieren und atmen können. Gegenseitiges Vertrauen und Kennenlernen ist dafür unabdingbar. Natürlich können dabei Fehler und Konflikte passieren, die man aber lösen kann, wenn man darüber spricht. Daraus sind schon tolle Freund*innenschaften entstanden. Die Releaseparty mit 100 Leuten war auch richtig schön, es hat mir gezeigt, was für eine tolle Community sich aufgebaut hat.
Vor allem, wenn du mit marginalisierten Autor*innen arbeitest, ist es wichtig, dass sie sich bei dir sicher fühlen.
Auf jeden Fall. Bei den Einsendungen müssen Menschen sich mir öffnen. Ich erfahre, ob und welcher Marginalisierung sie angehören, um eine bevorzugte Veröffentlichung einzuordnen zu können. Dass Leute mir ihr Vertrauen schenken, sehe ich nicht als selbstverständlich. Viele Informationen sind vertraulich, sie sollen bei einigen nicht an die Öffentlichkeit kommen. Ich verspreche jedoch, dass alle sensiblen Details bei mir bleiben, nur ich lese und schreibe die Nachrichten. Wenn man zum Beispiel anonym veröffentlichen möchte, das ist natürlich möglich. Keine*r erfährt, wer hinter diesen Texten steht.
Wie wählst du deine Themen aus?
Meistens basierend auf politischen Verhältnissen, Büchern und was ich aktuell als für wichtig empfinde oder welchem Thema ich mehr Raum geben möchte. #1 sollte zeigen, in welche Richtung ich mit Literarische Diverse gehen möchte: Engagement. Bei #2 habe ich gerade ‚Sprache und Sein‘ von Kübra Gümüşay gelesen, bei #3 sollte eigentlich schon Liebe anstehen, weil ich mich zu der Zeit mit bell hooks ‚all about love‘ beschäftigte. Jedoch kamen dann die Unruhen am Bundestag und ich habe Widerstand einfach mehr gefühlt. Das Thema der Ausgabe #5 steht übrigens schon!
Im Podcast Solidaripod sagst du: „Ich hab keinen Bock Rednerin für Diversity zu sein. Sondern ich will einfach nur geile Literatur rausbringen.“ Geht dadurch, dass der Fokus so auf Diversität gelegt wird, die Anerkennung für die hohe Qualität der Texte, die du verlegst, verloren?
Meiner Meinung nach absolut nicht, und ich hoffe nicht, dass Menschen so denken. Mein Anspruch an die Texte ist sehr hoch, das heißt, sie müssen mich literarisch schnell catchen können. Aufgrund der hohen Einsendungen fällt die Wahl radikal aus, das heißt, der Raum im Magazin ist begrenzt, so auch die Anzahl der Texte.
Ein hoher Anspruch heißt für mich allerdings noch lange nicht, dass die Texte nicht niedrigschwellig sein dürfen.
Für mich ist es wichtig, eine gute Mischung aus einem warmen Bauchgefühl, guten Texten oder eben Marginalisierung zu haben. Diese Kombination macht für mich die Stärke des Magazins aus. Es ist immer eine Art Spagat, ein Balanceakt, aber auch eine große Verantwortung. Jede Veröffentlichung schließt eine andere aus. Ich bin mir dessen bewusst.
Nervt es, immer wieder auf Diversität angesprochen zu werden? Provozierst du das nicht auch, wenn es im Namen mit drin ist?
Darüber habe ich mit Georgina Fakunmoju von myPoC-Bookshelf gesprochen. Sie meinte, ihr Account müsste gar nicht so heißen, würde es schon genug PoC-Repräsentation in der Literaturbranche geben. Literarische Diverse würde nicht auf diese Weise existieren und so heißen, wenn man nicht auf einen Missstand aufmerksam machen wollte. Ein Name kann aber als fluider Arbeitsbegriff gesehen werden, um Fortschritt anzuregen. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie sich das in ein paar Jahren entwickelt und ob ich den Namen ändern kann. Ich verspreche nicht, dass es für immer bei Literarische Diverse bleiben wird. Aber das sehe ich jetzt ehrlich gesagt noch nicht.
Für mich ist es außerdem von Bedeutung, wer mich zu Talks einlädt. Natürlich sage ich Nil İdil Çakmak vom Solidaripod zu. Wir haben ähnliche Interessen und suchen auf Augenhöhe einen Austausch. Ich habe aber keine Lust, mit weißen Menschen darüber zu reden, warum es wichtig ist, verschiedene Stimmen zu veröffentlichen. Ich möchte miteinander sprechen und wachsen, nicht bei Null anfangen und Basics erklären.
Im Podcast erzählst du auch, dass du weg davon möchtest, dass der Fokus so sehr auf dem Schreiben über eigene Betroffenheit liegt.
Ja, ich habe das Gefühl, so langsam passiert das auch. Jede*r kann über alles schreiben, zumindest bei mir. Wenn es dann eben über eine Betroffenheit ist, gerne. Es muss aber nicht sein, das sollen Autor*innen wissen. Ich denke, viele fühlen sich in ihrem Schreiben eingeschränkt, denn irgendwie möchte man ja auf diese Themen aufmerksam machen. Das ist wie mit dem Namen, wir sind eben noch lange nicht darüber hinaus, dass das Offensichtliche in der Dominanzgesellschaft beziehungsweise der Literaturbranche angekommen ist, deswegen heißt der Verlag so, deswegen schreiben Menschen darüber, eben, um andere zu sensibilisieren.
Allerdings glaube ich, dass viele Autor*innen noch für ein weißes Publikum schreiben und sich damit zu oft selbst erklären. Ich frage mich, wie wir in zehn, zwanzig Jahren lesen werden und was sich verändern wird. In Deutschland läuft alles immer etwas langsamer ab als in anderen Ländern, wie England zum Beispiel. Da gibt’s bereits eine Studie, in der BIPoC Autor*innen zugeben, für ein weißes Publikum zu schreiben, um publiziert zu werden, denn: weiße Menschen der Branche geben gleichzeitig zu, für ein weißes Publikum Bücher zu machen. Es bedingt sich also gegenseitig und ich weiß nicht, ob die deutsche Branche das so offen zugeben würde. Wichtig für meine Arbeit ist: Ich mache Bücher für alle, für weiße privilegierte sowie marginalisierte Stimmen.
Literatur ist für mich ein möglicher Ort für Austausch und Gemeinschaft, die ich fördern möchte, also möchte ich so viele Menschen wie möglich erreichen und langfristig die Branche aufmischen.
Hast du aus diesem Grund zusätzlich zu deinem Magazin noch den gleichnamigen Verlag ‚Literarische Diverse‘ gegründet?
Genau! Ich wollte bestimmten Autor*innen einen eigenen Raum geben, weil es mehr Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit bringt als im Magazin selbst.
Das erste Buch, das du in deinem Verlag herausgebracht hast, ist ein Gedichtband. Warum hast du dich für Lyrik entschieden?
Ich war mit Ọlaide bereits vorher lange im Austausch – sie ist im ersten Magazin erschienen. Irgendwann hat sie erzählt, dass sie an einem Lyrikband arbeitet und ich erzählte von meinem Plan, Bücher publizieren zu wollen. So fanden wir zusammen. Außerdem liebe ich Lyrik!
Hast du Wünsche für den Literaturbetrieb?
Ich wünsche mir, dass sich Diversität so weit normalisiert, dass marginalisierte Stimmen der Branche angehören können, jenseits einer Betroffenheit. Ich wünsche mir, dass marginalisierte Stimmen selbstverständlich dabei sind, damit Schüler*innen mit ihnen aufwachsen. Dass Autor*innen nicht als Sprachrohr für andere gesehen werden.
Ich habe auf Instagram gesehen, dass eine Lehrerin dir geschrieben hat, die dein Magazin im Unterricht benutzt.
Ja, das war echt schön. Auch Dozent*innen benutzen die Magazine für ihre Seminare. Wenn ich mir vorstelle, dass ich solche Texte in der Schule gelesen hätte und mit ihnen aufgewachsen wäre, wäre ich jetzt ein anderer Mensch. Stattdessen gab es für mich vorrangig Literatur von alten, weißen Männern, die meine Realität absolut nicht widerspiegelten. Ich bin sehr froh, dass sich auf der Schulebene etwas bewegt und freue mich, nun nach elf Jahren Arbeit im Literaturbetrieb, einen eigenen Teil beitragen zu können und Menschen auf diese besonders schöne Art zu empowern.
Was wünschst du dir für die Zukunft von ‚Literarische Diverse‘? Vielleicht in ein paar Jahren?
Diversität als Norm und für meinen Verlag: Magazine, Romane und Lyrikbände herausbringen und den Verlag bekannter machen. Ganz fern, dass er nicht mehr Literarische Diverse heißen muss. Aus heutiger Perspektive finde ich den Namen aber notwendig und einfach sehr aussagekräftig. Man erkennt sofort, was ich bezwecken möchte.
Das erkennt man wirklich, liebe Yasemin – vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, mit mir zu sprechen!
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