Ohne ihre vielfältigen Beiträge wäre unser kulturelles und gesellschaftliches Leben um ein großes Stück ärmer. Das soll gefeiert werden! Die Woche vom 31. Oktober bis zum 07. November drehte sich im Rahmen der diesjährigen WUB wieder rund um die Indie-Buchläden in ganz Deutschland. Dieses Jahr sogar im Rekordaufgebot: über 700 Buchhandlungen waren dabei und verzauberten die Welt der deutschen Buchlandschaft einmal mehr mit unendlich viel Kreativität und Herzlichkeit. Die LITAFFIN-Autorinnen Victoria und Julia haben die WUB dieses Jahr in Berlin aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt: live vor Ort und übers Smartphone.
Knapper vor dem Startschuss der diesjährigen WUB hätten die neuen Corona-bedingten Einschränkungen nicht eingeführt werden können. Somit waren auch die Buchhandlungen in diesem Jahr besonders gefordert, die digitalen Möglichkeiten für sich zu nutzen. Dass dabei ein Programm mit besonders viel Herzblut, Spontanität und Unterhaltung rausgekommen ist, beweist ein Blick auf @indiebuchhandel – der diesjährigen Adresse für alles, was mit der Woche der Unabhängigen zu tun hatte. Neben kleineren Corona-konformen Formaten, die vor Ort stattfinden konnten, gab es dort ein originelles Angebot an digitalen Veranstaltungen, die nach Lust und Laune und ohne Angst vor Platzbeschränkung besucht werden konnten. Eine besonders schöne Tradition der WUB, die ursprünglich von der American Bookseller Association inspiriert worden war, ist der Autor*innensamstag zum Auftakt in die feierliche Woche. Mit viel Flexibilität und Offenheit für neue Regeln schlüpften auch dieses Jahr wieder Autor*innen in die Rolle von Buchhändler*innen und versorgten ihre Kund*innen in deren Lieblingsbuchhandlungen mit ganz persönlichen Leseempfehlungen, signierten Bücher oder beantworteten Fragen.
Obwohl dadurch weder reale Begegnungen noch das gemeinsame Feiern ersetzt werden konnten, hatte die Umstellung aufs Digitale zumindest einen Vorteil: Über #wub2020 konnten Interessierte in diesem Jahr in ganz viele unterschiedliche Veranstaltungen eintauchen sowie übers ganze Land verstreute Buchhandlungen bewundern und neu kennenlernen. Von Montag bis Freitag machten nämlich die Kaperfahrten der Buchhandlungen einen zentralen Aspekt des Programms aus, die für je einen Tag den Instagram-Kanal @indiebuchhandel für sich kaperten und unter #wub20takeover nach Lust und Laune einen Tag in ihrer Buchhandlung dokumentierten.
Neben dem WUB-Magazin am Abend, wo den interviewten Gästen aus der Buchbranche nicht nur zugehört, sondern auch aktiv Fragen gestellt werden konnte, stellte die Preisverleihung des diesjährigen #LieblingsbuchderUnabhängigen zum Abschluss der Woche ein Highlight dar.
Corona hin oder her – die WUB ist ein Herzensprojekt, das uns hoffentlich noch lange erhalten bleibt. Wenn auch auf ungewohnten Wegen, wurden auch in diesem Jahr wieder viele gemeinsame Erinnerungen gesammelt, Geschichten geteilt und Räume für all diejenigen geschaffen, ohne deren Einsatz unser Zugang zu Büchern nicht derselbe wäre.
Dem Glanz auf der Spur – ein literarischer Stadtspaziergang
Das Jahr 1905 war das Geburtsjahr zweier besonderer Frauen: Autorin Irmgard Keun und Buchhändlerin Marga Schöller. Eine Hommage an beide Frauen stellte direkt zum Auftakt der WUB ein literarischer Stadtspaziergang in Berlin dar. Dazu lud die nun seit 90 Jahren bestehende Marga-Schoeller-Bücherstube ein. Mittelpunkt des Ausflugs: der Roman Das kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun. Die Leitung übernahm Michael Bienert, Literaturwissenschaftler und Publizist, der am Mittwoch zuvor sein Buch Das kunstseidene Berlin: Irmgard Keuns literarische Schauplätze im Verlag Berlin Brandenburg veröffentlichte. Vom Treffpunkt an der Marga-Schoeller-Bücherstube in der Knesebeckstraße 33, Berlin-Charlottenburg, begab er sich mit uns Spazierfreudigen und seinem Buch im Gepäck auf die Suche nach dem Glanz von Keuns Berlin – oder was davon noch übrig war.
In Das kunstseidene Mädchen erweckt Irmgard Keun eine Protagonistin aus dem Köln der Weimarer Republik zum Leben, die sich nach dem Glanz der Hauptstadt sehnt. Nach dem süßen Leben, nach Theater, teuren Cafés und danach, selber ein Glanz zu sein. Die Schauplätze des Buches reihen sich unter anderem um den Kurfürstendamm, der leuchtend, laut und kostspielig stets als eine Verlockung für gutbetuchte Bürger*innen galt. Und so führte uns auch der literarische Spaziergang über den noch immer sehr lauten, grellen, hellen und vollen Kurfürstendamm, vorbei an Häusern, welche zwischen Starbucks-Filialen und teuren Herrenausstattern von einer längst vergangenen Zeit erzählten. Am damals glorreichen Café des Westens (dem heutigen Kranzler-Eck) spürten wir der Berliner Bohème nach und in der Meinekestraße 6 betrachteten wir das Geburtshaus von Irmgard Keun. Zum Nachdenken kamen wir am Savigny-Platz, der letzten bekannten Adresse Keuns vor ihrer Flucht ins Exil. Der Ausflug voller Anekdoten, Zitate und Bilder aus dem Berlin der 20er Jahre war nicht nur informationsreich, er weckte auch die Frage in mir, ob Berlin eigentlich immer noch über seinen „Glanz“ verfügt, welcher nicht nur Irmgard Keun zu ihren Geschichten inspirierte.
„Hier gibt’s nur gute Bücher – ehrlich!“
In der Hauptstadt werden Lesefreudige mit ganz unterschiedlichen Vorlieben und Wünschen glücklich – den vielen inspirierenden Indie-Buchläden Berlins sei Dank! Die Buchhandlung Hundt Hammer Stein, die ihr Zuhause an der Schwelle von Prenzlauer Berg und Mitte hat, ist eine davon. Am Mittwoch nahmen sie uns mit hinein, oder besser gesagt hinunter, in ihre Schatztruhe voller wunderbarer Bücher. Kurz vor Mittag ging‘s los. Zuerst wurde gezeigt, mit welchem Kiez wir es hier eigentlich als Zuschauer*innen der Ferne zu tun haben. In einem schwindelerregend schnellen Video wurden wir mitgenommen in die von Herbstsonne beleuchtete Alte Schönhauser Straße und zielten bestimmt auf das orange leuchtende Logo an der Nummer 23/24 zu. Einmal angekommen ging’s auch schon die schwarzen Treppenstufen hinunter – das Team lud zur Einstimmung erst mal in Ruhe auf einen symbolischen Willkommensespresso ein. Obwohl das Schild am Eingang darauf verweist, dass höchstens sechs Menschen im Laden verweilen dürfen, bekamen am 04. November ganz viele Neugierige einen Einblick in diese sympathische Buchhandlung, in der das Kaffeetrinken einen mindestens so hohen Stellenwert hat, wie all die Bücher, die bis zur Decke aufgetürmt darauf warten, von bücherfreundlichen Händen herausgezogen zu werden. Im Laufe des Tages stellten sie das Team, ihre Abläufe und das Sortiment vor. Neben sorgsam ausgewählten literarischen Neuheiten aus Deutschland und der Welt wird bei Hundt Hammer Stein unter anderem auch großen Wert auf Kuriositäten und besondere Schätze von Independentverlagen gelegt. Wem es zudem gerne unheimlich zumute ist, kann es sich – beim Kaffee, versteht sich – in der Krimiecke gemütlich machen. Der Spruch auf dem Schild vor der Buchhandlung ist also Programm: „Hier gibt’s nur gute Bücher – ehrlich!“.
Ich kann es kaum erwarten, mich davon bald auch in persona überzeugen zu lassen. Mein Highlight waren übrigens die hauseigenen Tassen von Hundt Hammer Stein, alle passend zur Buchhandlung angefertigt, mit Logo oder Spruch.
„Bücher, die Zuversicht stiften“ – das Lieblingsbuch der Unabhängigen
Keine WUB ohne das Lieblingsbuch der Unabhängigen! Seit fünf Jahren wird im Rahmen der Woche unabhängiger Buchhandlungen der Literaturpreis „Lieblingsbuch der Unabhängigen“ verliehen. Dafür reichen alle teilnehmenden Buchhandlungen ihre belletristischen Herzensbücher ein. Aus den fünf meistgenannten Titeln wird im Anschluss eine Shortlist erstellt. Während der WUB haben die teilnehmenden Buchhandlungen dann die Möglichkeit, aus diesen fünf Büchern ihr persönliches Lieblingsbuch zu wählen. Dabei zählen keine Verkaufszahlen oder Statistiken, sondern einzig und allein das Leseerlebnis.
Wibke Ladwig, Social-Media-Beauftragte der WUB
„Lieblingsbuch, da steckt Liebe drin. Da passiert etwas zwischen Leser*in und Buch, was sich vielleicht auch von rein literaturwissenschaftlichen Kriterien abhebt. Das sind Bücher, die sowohl von den Buchhändler*innen geliebt und geschätzt werden, als auch von der Leserschaft und das über eine lange Zeit.“
Die diesjährigen Herzens-Shortlist:
- Marianengraben von Jasmin Schreiber, Eichborn
- Die Unschärfe der Welt von Iris Wolff, Clett-Kotta
- Zugvögel von Charlotte MCConaghys, S. Fischer
- Offene See von Benjamin Myers, Dumont
- Ich bleibe hier von Marco Balzano, Diogenes
Die fünf Bücher haben einige Gemeinsamkeiten, wie etwa der Bezug zur Natur, zum Meer, zum Wasser. Aber es seien auch Bücher, erklärt Wibke Ladwig bei der Bekanntgabe des Siegerbuches, „die Zuversicht stiften, die einen auch in irgendeiner Weise zeigen, […] dass der vorgegebene Weg nicht immer einer ist, den man beschreiten muss.“ Insgesamt haben dieses Jahr über 800 unabhängige Buchhandlungen abgestimmt. Am Samstag, dem 07. November wurde das #LieblingsbuchderUnabhängigen bekannt gegeben. Auch dies erfolgte Pandemie-gerecht per Livestream und Zoom relativ pünktlich um 11 Uhr am Vormittag.
Und gewonnen hat: Benjamin Myers „Offene See“ aus dem Dumont Verlag!
Damit endete die ereignisreiche Woche der unabhängigen Buchhandlungen mit vielen Leseempfehlungen, neu entdeckten Buchhandlungen und der Erkenntnis, dass die unabhängigen Buchhandlungen mit ihrer Energie, den vielen neuen Ideen und ihren besonderen Charakteren unverzichtbar für unser kulturelles und gesellschaftliches Leben sind. In diesem Sinne bedanken auch wir uns für die gelungene #WUB2020 und freuen uns aufs nächste Jahr!
Von Julia Walser und Victoria Lückemann
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